Herr Choi, Facebook hat kürzlich die Ergebnisse einer neuen Video-Wirkungsstudie für den Handel veröffentlicht, die gemeinsam mit der GfK und großen deutschen Einzelhändlern wie Kaufland, Penny und Rewe umgesetzt wurde. Eine zentrale Erkenntnis war, dass Viewtimes kein Indikator für die Abverkaufswirkung sind. Was bedeutet das im Detail für werbende Unternehmen?
JIN CHOI: Wir haben fünf digitale Kampagnen analysiert, von denen vier auch im crossmedialen Vergleich mit TV signifikant nachweisen konnten, dass keine Verbindung zwischen der Länge der angeschauten Videos und dem Absatzimpuls besteht. Das gleiche Ergebnis hatte bereits eine Studie zur crossmedialen Werbewirkung im vergangenen Jahr ergeben. Seinerzeit waren 13 der 15 erfolgreichsten Kampagnen nicht diejenigen mit den längsten Viewtimes. Das ist eine Korrelation – und mehr als ein Indiz. Wir vertreten deshalb den Standpunkt, dass bei mobilen Videos Kreation und Aufmerksamkeit stärkere Treiber sind als Viewtime.
Welche weiteren Erkenntnisse konnten Sie aus der Studie ziehen?
Grundsätzlich haben sich typische Mobile-First-Ansätze bestätigt. Es gibt in der Industrie ja diverse Diskussionen über die richtigen KPIs und Metriken in den verschiedenen Medienkanälen. Im Bewegtbildbereich ist die Diskussion über Viewtime und Viewability natürlich bedeutsam. Aber im Markt ist dabei noch nicht durchweg klar, dass sich diese beiden Kennzahlen speziell mobil aufgrund der sehr schnellen Nutzung anders verhalten.
Inwiefern?
Bei Facebook und Instagram ist das Nutzungsverhalten sowohl im Feed als auch in den Stories vergleichsweise sehr schnell. Deswegen müssen Marken ihre Kommunikation und Kreation auch so gestalten, dass sie hier funktionieren. Das heißt, sie müssen schnell mit Marken- und Produktbotschaften kommen. Zudem wird auf mobilen Endgeräten meist ohne Sound konsumiert, die Kampagnen müssen also so gestaltet werden, dass sie auch ohne Ton allein durch Text- und Bildsprache verstanden werden. Eine andere Erkenntnis ist, dass Markenkommunikation, die für Mobile-First gedacht ist, immer auch auf großen Bildschirmen funktioniert – nicht aber andersherum. Darüber hinaus wurden bei den Kampagnen der Studie durchschnittlich ein Drittel aller Facebook- und Instagram-Videoanzeigen von Personen gesehen, die mit Fernsehwerbung nicht erreicht wurden.
Wie sieht der richtige Mix aus TV- und Online-Werbung aus?
Wir versuchen vom Grundsatz her, Empfehlungen auszusprechen, die nicht nur unsere, sondern auch andere Kanäle betreffen. Wir wollen schließlich unsere Partner erfolgreich machen. Und das geht realistisch betrachtet mit Facebook und Instagram allein nicht – so gern wir wollten. Es gibt für jeden Kanal gute Gründe, letztlich kommt es auf die Zielsetzung der jeweiligen Marketingmaßnahmen an. Wenn Marken beispielsweise hohe Reichweiten in jungen Zielgruppen haben wollen, dann wäre es fahrlässig, sich als Werber nicht mit mobilen Reichweiten auseinanderzusetzen. TV ist dagegen nach wie vor ein wichtiges Medium zum schnellen Reichweitenaufbau. Am Ende kommt es auf einen guten Mix an: In unserer Video-Impact-Studie 2018 für den FMCG-Bereich haben wir festgestellt, dass ein TV-Kontakt, der mit einem Facebook- oder Instagram-Kontakt ergänzt wird, 117 Prozent Steigerung beim Absatzimpuls erfährt. Außerdem haben wir in den Video-Wirkungsstudien gesehen, dass immer 30 bis 40 Prozent der Facebook- und Instagram-Kontakte inkrementell zu TV sind.
Welchen ROI können Sie im Handelsunternehmen für Facebook und Instagram garantieren?
Wir sind etwas zurückhaltender, ROIs im Handelsbereich zu kommunizieren. Denn es gibt einfach zu unterschiedliche Kampagnentypen. Kategoriespezifische Kampagnen sind ganz anders zu bewerben als sortimentsübergreifende. Grundsätzlich zeigt sich in unseren Studien, dass Werbung auf Facebook und Instagram einen Sales-Uplift im Korridor von drei bis zehn Prozent liefern kann.
Vor welchen Herausforderungen steht der Handel bei der digitalen Kommunikation?
Die Kunden werden immer aufgeklärter und tauschen sich immer mehr aus, die Produktkommunikation und -realität werden dadurch immer transparenter. Geprägt durch die mobile Nutzung, sind es Kunden inzwischen gewohnt, Informationen, Service und Dienstleistungen jederzeit und überall zu bekommen. Der Handel muss deshalb aufpassen und dafür sorgen, dass Dienstleistungen und Produkte so aufgestellt sind, dass sie die Erwartungshaltung der Konsumenten erfüllen. Das ist eine große Herausforderung, denn der Handel funktioniert von der Website über die mobile Website, von der Produktebene bis zum Fulfillment mit zahlreichen Touchpoints. Er muss sich aufgrund dieser Komplexität und der Erwartungshaltung auf Konsumentenseite mehr als andere Industrien mit mobilen Endgeräten auseinandersetzen – der Service ist genauso prägend für die Markenwahrnehmung wie eine gute Kommunikation.
Hat der Handel das verstanden?
Das ist schwierig, so global zu beantworten. Der Handel ist ja unheimlich breit aufgestellt mit unterschiedlichsten Industriesegmenten. Grundsätzlich haben wir in den vergangenen zwei bis drei Jahren eine ganz schöne Progression wahrgenommen. Die digitale Transformation des Handels hat in den Köpfen der Führungskräfte mittlerweile definitiv einen festen Platz. Von daher gehe ich auch davon aus, dass die Bandbreite an Marketingdisziplinen, die weit über Kommunikation hinaus geht, sich zeitnah noch viel stärker hin zu einer „Customer Lifetime Value“-Steuerung und -Gestaltung entwickeln wird. Händler werden ihre Silos aufbrechen und sich so aufstellen, dass sie an jedem Kontaktpunkt mit den Konsumenten kommunizieren können.
Wie kann Facebook dabei helfen?
Wir werden beispielsweise in Zukunft unseren Service „Click-to-WhatsApp“ in Deutschland ausrollen. Es wird ein Handelsangebot im Anzeigenformat geben und der Nutzer kann sich entscheiden, über WhatsApp mit dem Händler zu kommunizieren. Damit möchten wir Händlern helfen, Kommunikation und Interaktion inklusive Beratung deutlich enger zusammenzuführen. Ich möchte in diesem Zusammenhang aber betonen, dass das Anliegen der Kunden, sicher zu kommunizieren, für uns dabei an erster Stelle steht. Sie müssen also eine proaktive Zustimmung für eine Kommunikation mit dem Handel geben.
Wenn Sie heute Marketingentscheider im Handel wären: Wie würden Sie Ihr Budget crossmedial verteilen?
Ich würde mir zum einen die Verteilung der reichweitenstarken Videokampagnen angucken und deren Effektivität, Effizienz und Zusammenspiel hinterfragen. Zwischen TV, Out-of-Home und Mobile gibt es im Upper Funnel sehr viele Synergien, um dort zu kommunizieren, wo die Nutzer sind. Im Mid-Funnel ist davon auszugehen, dass Printkommunikation, Zeitungsbeileger, Broschüren und Briefbuchsendungen exponentiell an Bedeutung verlieren werden. Das hat vor allem mit dem Thema Nachhaltigkeit zu tun. Kunden werden sich immer mehr fragen, wie mit Rohstoffen verfahren wird und demzufolge auch sämtliche Printprodukte auf den Prüfstand stellen. Digitale Kanäle werden die Lösung sein! Zu guter Letzt glaube ich, dass die ständige Verbesserung der Themen Delivery und Fulfillment eine größere Rolle spielen wird. Jeder Händler wird sich über kurz oder lang mit E-Commerce, dem Omnichannel-Ansatz und Marktplätzen befassen müssen.
Lassen Sie uns zum Abschluss aus aktuellem Anlass noch einmal das Thema wechseln: Facebook hat vergangene Woche drei neue Ad-Optionen für Werbetreibende herausgebracht – Poll Ads, Playable Ads und Augmented Reality Ads: Können Sie schon ein erstes Zwischenfazit geben, wie die Services hierzulande angenommen werden?
Digitale Werbung wird immer mehr zu einem von Kreativität getragenen Dialog zwischen Marken und Konsumenten. 60 Prozent der Unternehmen auf Instagram verwenden jeden Monat ein interaktives Element in ihren Stories. Wir haben diese drei neuen Werbeformate entwickelt, um Marken dabei zu unterstützen, sich auf vielfältige Art mit ihren Kunden auszutauschen und kreative Interaktionen zu fördern. In den USA haben wir gesehen, dass zum Beispiel Poll Ads im Feed Markenbekanntheit und Conversions steigern – in fünf von neun Lift-Studien haben Poll Ads eine höhere Auswirkung auf beide Metriken gezeigt, als Videoanzeigen.
Haben Sie auch ein Beispiel für die anderen neuen Werbeformate?
Der Sportschuhhersteller Vans hat in Zusammenarbeit mit unserem Creative Shop eine Playable Ad entwickelt, bei der Nutzer die Vans-Legende Steve Van Doren einen Berg hinunterlenken und dabei verschiedene Geschenke einsammeln lassen können. Dieses Format führte zu einer Steigerung der Werbeerinnerung von 4,4 Punkten sowie einer Steigerung der Favorability von 2,4 Punkten. Ich freue mich schon darauf, zu sehen, wie Marken hier in Deutschland diese neuen interaktiven Formate für sich einsetzen.
Was können Facebook und Instagram als Werbeplattform besser als Tik Tok?
Zunächst begrüßen wir es, wenn weitere Apps in den Markt der jungen Zielgruppen eintreten. Das hilft der gesamten Ökonomie, sich schneller auf die Dringlichkeit von mobiler Werbung einzustellen. Je mehr Plattformen da sind, desto mehr müssen sich Marketer auch mit den mobilen Kanälen befassen. Und Tik Tok macht das absolut gut, ich persönlich empfinde die App als totale Bereicherung. Gleichzeitig ist und bleibt Instagram absolut unique – allein schon aufgrund der Tatsache, dass wir schon deutlich im Markt positioniert sind. Mit IGTV, Stories, dem Feed und dem Discovery-Bereich sind wir in der visuellen Kommunikation sehr breit aufgestellt. Unser anderes Alleinstellungsmerkmal ist unsere riesige Reichweite: Facebook wird allein in Deutschland täglich von 24 Millionen Menschen genutzt und bei Instagram gibt es mehr als eine Milliarde monatlich aktive Nutzer weltweit.
Vita Jin Choi
Jin Choi (48) ist seit August 2013 bei Facebook in Deutschland. Seit 2017 arbeitet er als Group Director DACH für die Bereiche FMCG, Retail, Entertainment & Media sowie Tech & Telco. Nach dem Studium der Kommunikationswissenschaften arbeitete Choi zunächst unter anderem für die WAZ-Gruppe. Zu seinen anschließenden beruflichen Stationen zählen die Bertelsmann Broadband Group sowie RTL Disney Fernsehen, wo er zuerst als Head of Sales und von 2005 bis 2009 als Director Sales & Marketing sowie als Mitglied der Geschäftsleitung fungierte. 2010 ging Choi als Senior Vice President und Country Manager Germany zu MTV Networks nach Berlin. Hier war er seit 2011 zudem für das gesamte nordeuropäische Ad-Sales- sowie Digital-Geschäft verantwortlich.
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