Intelligente Kundenansprache im Zeitalter der Network Economy

Kaum ist Customer Relationship Management (CRM) in aller Munde, taucht mit E-CRM bereits eine erste Abwandlung dieses Begriffs auf. Dabei geht es bei Electronic-CRM um den gleichen Grundgedanken, jedoch bezogen auf den digitalen Kundendialog.

Durch die wachsende Popularität des Internets werden immer mehr Geschäftsprozesse über dieses interaktive Medium abgewickelt. Gerade hier ergeben sich über eine individuelle Kundenbetreuung noch große Potenziale. Die hierfür einzusetzenden E-CRM-Techniken wie personalisierte oder individualisierbare Web-Auftritte versprechen bei erfolgreicher Projektrealisierung einen Zusatznutzen für den Kunden. Durch den intelligenten und automatisierten Einsatz von E-CRM-Techniken sollten sich somit neben der Senkung der Transaktionskosten zusätzlich zufriedenere und profitablere Kunden gewinnen lassen.

Vom CRM zum E-CRM
Im Vordergrund des Customer Relationship Management steht das Erkennen von Kundenbedürfnissen sowie der Aufbau einer Beziehung mit dem Kunden und damit die Ausrichtung des Gesamtunternehmens auf den Kunden. Da ein Kunde im Laufe der Zeit gegenüber dem Unternehmen mehrere Rollen einnehmen kann (Nichtkunde, Interessent, Kunde, abwanderungsgefährdeter Kunde) ist es das Ziel von CRM, diese Rollen zu erkennen, zu definieren und entsprechende Reaktions-Szenarien für den jeweiligen Kunden zu entwerfen. Mit den rasanten Entwicklungen der Internet-Technologien sind neue Formen im Umgang mit dem Kunden nicht nur möglich, sondern auch unabdingbar geworden. Personalisierte Portale, Shops und Informationsdienste stehen vor der Herausforderung, dem Kunden individuell genau das zu geben, was er haben will, um ihn damit dauerhaft zu binden. Keine Selbstverständlichkeit, wie man meinen könnte.

Neukundengewinnung statt Kundenbindung
Denn Unternehmen der New Economy aber auch der Old Economy sind eifrig bemüht, ihr Geschäft im weltweiten Netz möglichst rasch auszuweiten. Also statt Kundenbindung, fokussieren die meisten Unternehmen das Gewinnen neuer Kunden. Vielfach herrscht die Meinung vor, dass mit Kundentreue im Web nicht zu rechnen sei, da sich ein Großteil der Web-Besucher sowieso mit einem Mausklick wieder verabschiedet. Dabei können sich Kunden im Web ausgesprochen loyal verhalten, vorausgesetzt, dass ein Unternehmen mit seinem Angebot und seinem Auftritt im Web ihr Vertrauen gewinnt und Ihnen hilft, sich zurecht zu finden.

E-CRM als digitaler Kundenbindungsprozess
In der Fachliteratur und den einschlägigen Fachzeitschriften trifft man auf die unterschiedlichsten Begriffsdefinitionen, wenn es um die Thematik E-CRM geht. In der Folge wird unter E-CRM der Aufbau und die Pflege von digitalen Kundenbeziehungen verstanden, wobei Kunden zum Dialog Endgeräte einsetzen, deren primäre Funktion die Kommunikation durch eine Internetverbindung ist. Diese sogenannten Internet-Endgeräte oder Minicomputer umfassen neben herkömmlichen PCs auch Terminals für Fernsehen (NetTVs, Set-Top-Boxen), Personal Digital Assistants (PDAs), Internet Smart Phones und zukünftig mobile Surfpads.

Das Nutzungsverhalten digitaler Angebote kann mit Hilfe geeigneter Analysemethoden sehr genau untersucht werden. Wenn man bedenkt, dass jeder Mausklick eine elektronische Spur in Form von Logfiles auf dem Webserver oder in Datenbanken hinterlässt, so fallen jeden Tag Unmengen an Daten an. Die große Kunst besteht darin, aus diesen vorherigen Interaktionen ex post die Präferenzen der Kunden zu extrahieren. Verhält sich ein Kunde während des Besuchs der Website entsprechend einem vorher ermittelten Präferenzmuster, so wird ihm ein individuell auf dieses Präferenzmuster zugeschnittener Content (z.B. Produktangebot) präsentiert. Die Reaktion oder eben Nicht-Reaktion auf individuellen Content wird ebenfalls erfasst und findet Eingang in Folgeanalysen. Somit lässt sich nach und nach eine beziehungsoptimierende Feedback-Schleife etablieren, wobei die Treffsicherheit durch den Lerneffekt aus vergangenen Interaktionen immer genauer wird. Somit werden Unternehmen in die Lage versetzt, in Form einer automatisierten Dialogkommunikation auf die Kundenbedürfnisse personalisiert und in Echtzeit eingehen zu können.

E-CRM-Bausteine
Aus den unzähligen digitalen Spuren, welche Kunden per Mausklick bei ihrem Web-Besuch hinterlassen, lassen sich über die Generierung von Besucherprofilen Kundenpräferenzen ableiten. Dabei bilden die folgenden drei Instrumente das Gerüst eines E-CRM-Vorhabens:

  • Leistungsfähige Datenbanken und Data Mining Algorithmen erlauben den Unternehmen, Kundendaten zu erfassen, ihre Kunden differenziert und personalisiert zu erkennen und entsprechend zu behandeln.
  • Interaktivität über entsprechende Hardware- und Software-Applikationen ermöglicht dem Unternehmen direkt mit dem Kunden zu kommunizieren und umgehend eine adäquate Antwort zu erhalten.
  • Mass Customization verschafft als Technologie den Unternehmen die Möglichkeit, personalisierte Produkte und Dienstleistungen anbieten zu können, indem unterschiedliche Kunden unterschiedliche Produkte oder Services erhalten.

Erst eine intelligente Integration dieser drei Aspekte in den Produktionsprozess ermöglicht die Optimierung des Outputs eines Anbieters, um die Loyalität der Kunden erhöhen zu können.

Mit individualisierbaren Websites zur Kundenbindung
Individualisierbare Websites bieten den Kunden die Möglichkeit, sich eine eigene Website zu konfigurieren, wobei die Konfigurationseinstellungen bei einem Wiederholungsbesuch der Website beibehalten werden wie beispielsweise bei „mein Yahoo!“. Dabei können der Content der Website wie beispielsweise Wetterinformationen oder Servicefunktionalitäten wie E-Mail-Versand individuell nach eigenen Wünschen zusammengestellt werden. Mit einer individualisierbaren Website verfolgen Unternehmen die Strategie – über das eigentliche Kerngeschäft hinweg – Zusatzinformationen und –Services bereitzustellen, so dass Kunden sämtliche Informationsbedürfnisse im Web möglichst über eine einzige Homepage abdecken können. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kunden bei einem Konkurrenzunternehmen diese Services in Anspruch nehmen, sinkt dabei mit der Menge an Informationen, die er bereits im Rahmen der Individualisierung abgespeichert hat.

Data Mining und Echtzeitreaktion
Die kundenindividuelle Ansprache beginnt mit der Analyse der Daten, welche die Kunden während des Dialoges in Form von Web Server Logs oder sogenannten Tracking-Daten hinterlassen. Die Anwendung von Data Mining Algorithmen auf diese Daten, auch als Web Mining bezeichnet, extrahiert aus diesen in der Regel unstrukturierten Daten Besucherprofile. Vereinfacht ausgedrückt versteht man unter Data Mining die Analyse von Daten unter Anwendung statistischer Verfahren. Die verschiedenen Besucherprofile sind durch bestimmte Charakteristika gekennzeichnet und lassen sich mit Hilfe von Regelwerken beschreiben (eine einfache Regel aus einem Onlinebuchshop könnte folgendermaßen aussehen: “Wenn Suchbegriff = ’Data Mining’ & Buchdetails angefordert = ’Ja’ dann ist Kaufwahrscheinlichkeit = 79 Prozent“).

Die Regelwerke können als Kauf- oder Präferenzmuster aufgefasst werden und sind im Idealfall das Ergebnis der Data Mining Analysen. Diese Regelwerke sind in der Web-Applikation (z.B. Online-Shop-System) zu hinterlegen. Sobald sich ein Kunde entsprechend eines Präferenzmusters verhält, bekommt der Kunde gemäß der zugrunde liegenden Regel den für dieses Präferenzmuster definierten Content in Echtzeit zu sehen. Mit Hilfe derartiger beziehungsoptimierender Feedbackschleifen lassen sich Präferenz- und Affinitäten-Gemeinschaften realisieren, die den Aufbau von differenzierten digitalen Kundenbeziehungen erst ermöglichen.

Mit Web-Personalisierung zur indivduellen Kundenansprache
Auf Basis der Reaktionen, die aus der Kommunikation mit dem Kunden resultieren, lassen sich die Kundenbedürfnisse immer genauer einkreisen, so dass sich die Kommunikation (Inhalte der Website, Werbung, angebotene Links, E-Mail) immer zielgerichteter und für den Kunden relevanter gestalten lässt. Obwohl das Internet eher den Anschein der Anonymität besitzt, haben Unternehmen hier bessere Möglichkeiten, die Kunden, ihr bisheriges Kaufverhalten und ihre Präferenzen zu ermitteln als bei einem herkömmlichen Vertriebskanal. Jeder Mausklick und jedes Business Event (z.B. ein im Web durchgeführter Kaufvorgang) kann elektronisch festgehalten werden und dient als Basis für die Personalisierungsbemühungen. Der gesamte Entscheidungsfindungsprozess eines Kunden bis zu einem Kauf oder Nichtkauf wird somit transparent.

Erfolgsfaktoren von E-CRM
Um in dem neuen, digitalen Umfeld erfolgreich zu sein, müssen bisherige Geschäftsmodelle und –prozesse aber gründlich überarbeitet werden. Die meisten Online-Unternehmen bemühen sich um den Aufbau von Online-Beziehungen, vergessen aber dabei, dass der Aufbau von digitalen Kundenbeziehungen mehr bedeutet als die Einführung teurer digitaler Kundenbindungsapplikationen. Selbst erfolgreich implementierte E-CRM-Software-Applikationen steuern in der Regel keinen Mehrwert zur Erhöhung der Kundenbindung bei, wenn das Design der Website die Kunden nicht anspricht, die Produkt- und Servicequalität zu wünschen übrig lässt und die Unternehmen ihre Back-Office-Prozesse, wie zum Beispiel ihre Supply-Chain, nicht im Griff haben.

Um eine digitale Beziehung zu einem Kunden aufzubauen, muss zunächst dessen Vertrauen gewonnen werden – gerade im Web, wo die Geschäfte auf eine gewisse Distanz abgeschlossen werden und die Risiken und Unsicherheiten weitaus größer sind. Vertraut ein Kunde einem Online-Anbieter, so wird er diesem wahrscheinlich auch eher seine persönlichen Daten mitteilen. Aufgrund dieser Informationen sind Unternehmen wiederum in der Lage, eine viel engere Beziehung aufzubauen. Dem Kunden können dann auf seine individuellen Präferenzen abgestimmte Produkte und Dienstleistungen angeboten werden, was im Umkehrschluss wieder sein Vertrauen und die Loyalität stärkt. Ein derartiger Regelkreis kann schnell in einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil münden.

Datenschutz ist allgegenwärtig
Trotz der vielfältigen Möglichkeiten, welche die Informationstechnologie für das Management von Kundenbeziehungen bereitstellt, darf ein Aspekt auf keinen Fall vernachlässigt werden: Die Auseinandersetzung mit datenschutzrechtlichen Richtlinien in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten.
Gerade rund um das Internet sind Diskussionen zu datenschutzrechtlichen Fragestellungen an der Tagesordnung. Dabei trifft man immer wieder auf Cookie-Diskussionen, da diese im Verdacht stehen, den Datenschutz zu umgehen. Bei Cookies handelt es sich um kleine Textdateien, die von einem Web-Server auf den PC des WWW-Surfers übertragen werden. Der Missbrauch von Cookies führte bei vielen WWW-Surfern zu einem Vertrauensbruch und bei Betreibern personalisierter Websites zu einer Verunsicherung des Kundenstamms.

Einige Unternehmen haben die Cookie-Technologie ausgenutzt, um das Surfverhalten und die Besucherhäufigkeit anonymer WWW-Surfer über mehrere Websites hinweg zu erfassen. Gerade bei diesem sensiblen Thema macht sich eine Vertrauensbasis bezahlt, die ein Unternehmen mit seinen Kunden aufgebaut hat. Um dieses Vertrauen zu erzeugen, müssen Websites offen darlegen, wie sie mit personenbezogenen Daten verfahren. Gibt man dem Kunden die Möglichkeit, einen Einblick in die über ihn gespeicherten Daten zu haben, führt dies zu einer Stärkung der Kundenbasis und letztendlich zu einer Vertiefung und Stärkung der Kundenbeziehung.

Neue Wege im E-CRM
Trotz der hohen Erwartungen, die Unternehmen an das Internet geknüpft haben, blieben diese in einer Vielzahl der Fälle bisher unerfüllt. Das vorherrschende Modell für E-Commerce, die Kunden zur eigenen Website zu manövrieren, entspricht in der Regel nicht den Bedürfnissen der meisten Firmen oder ihrer Kunden. Eine Vielzahl der Unternehmen müssen sich daher von der Vorstellung befreien, mit der Bereitstellung einer Website besitze man bereits eine Internet-Strategie. Die Potenziale und Reichweiten des Internets und der zugrunde liegenden Technologien bieten heute bereits Möglichkeiten, um den Kunden individuell zugeschnittene Botschaften und Informationen genau in dem Augenblick zu liefern, wenn diese benötigt werden.

Mit der zunehmenden Bedeutung des Mobile Commerce gewinnt neben der inhaltlichen Fokussierung der Personalisierung zunehmend die regionale Fokussierung an Gewicht. Um im Rahmen der Allgegenwärtigkeit des Internet die Kunden rund um die Uhr begleiten zu können, sind die technologischen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Sämtliche Kundenschnittstellen sind in ein allumfassendes E-CRM-System zu integrieren, um kontextabhängige Dialoge über alle Schnittstellen realisieren zu können. Ein umfassendes Data Warehouse dient dazu, sämtliche bei der Kundeninteraktion anfallenden Daten zu erfassen und gezielt aufzubereiten. Der Einsatz flexibler Data Mining Lösungen liefert Aussagen über die Bedürfnisstrukturen der Kunden und ermöglicht, die Zielrichtung der Botschaften ständig neu zu bestimmen und individuell zuzuschneiden.
Man darf gespannt sein auf die Entwicklungen der nächsten Jahred Die technologischen Rahmenbedingungen sind jedenfalls zum Großteil bereits vorhanden, um kontextabhängig einen digitalen Kundendialog führen zu können.


Autor: Stefan Weingärtner, Senior Consultant, Dymatrix Consulting Group Stuttgart, ist Mitgründer des Beratungsunternehmens und verantwortet dort den Bereich E-Intelligence. Er ist Mitherausgeber der Buchreihe Information Networking und Autor des Buches „Kundenmanagement in der Network Economy“ (ISBN 3-528-05766-1, erschienen im Vieweg Verlag).
eingestellt am 25. April 2002

Weitere Artikel zum Thema: