Intelligente Konzepte oder Preisdumping?

Mit dem Fall des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung wird sich der Handlungsrahmen für das Marketing von Industrie und Handel signifikant verändern. Strategien, die jetzt entwickelt werden, entscheiden darüber, ob der Markt zum Basar wird, das große Feilschen beginnt oder aber intelligente Systeme der Absatzförderung und Kundenbindung entstehen.

Das Bild vom Verbraucher hat sich gewandelt: Galt dieser in den dreißiger Jahren aus Sicht des Gesetzgebers als leicht zu übervorteilen, als ein Kunde, der vor seinen eigenen Kaufentscheidungen geschützt werden muss, hält man ihn mittlerweile für mündig genug, um zwischen verschiedenen Angeboten zu unterscheiden. Hinzu kam, das durch die E-Commerce-Richtlinie, wonach im elektronischen Handel jeweils das Rechtssystem des Ursprungslandes Anwendung findet, eine Ungleichbehandlung deutscher Anbieter und damit ein Handlungszwang entstand. Der Wegfall von Rabattgesetz und Zugabeverordnung bedeutet allerdings nicht, dass der Kunde nun zum Freiwild des Werbers wird und alles erlaubt ist – im Gegenteil: Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden komplexer und die richterliche Rechtsfortbildung wird entstehende Grauzonen füllen müssen.

Rechtliche Hintergründe
Rein rechtlich gesehen zieht der Wegfall spezialgesetzlicher Regelungen das Aufleben genereller Normen, die bislang überlagert waren, nach sich. Beim Wettbewerbsrecht ist es das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), dessen Anwendungsbereich sich nun erweitert. Insbesondere die Generalklausel (§ 1 UWG), dem zufolge sittenwidrige Handlungen zu unterbleiben haben, wird zu einem Dreh- und Angelpunkt des neuen Rechts am POS. Die Generalklausel wird durch eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen, die eine Leitlinie erkennen lassen, konkretisiert. Es ist jedoch zu erwarten, dass in den nächsten Jahren die Auslegung der wettbewerbsrechtlichen Normen noch in weitaus größerem Umfang die Gerichte beschäftigen wird: Immer dann, wenn ein Werber oder Händler wieder einmal die Grenzen neu auslotet, wird sich ein Konkurrent und Kläger finden mit der Frage: „Darf der das?“

Die bisherige Rechtsprechung liefert vor diesem Hintergrund nur eine mäßige Orientierungshilfe, was erlaubt sein wird. Verboten bleibt beispielsweise der Kundenfang , das Aufbauen eines psychologischen Kaufzwanges und die gemeinsame Abgabe mehrerer Waren, wenn dadurch der Preis verschleiert wird.
Auch andere Rechtsnormen wie etwa die Preisangabenverordnung oder die Datenschutzgesetze werden künftig einen stärkeren Einfluß bekommen.

Die Auswirkungen der Reform
Die veränderten Grenzen des Wettbewerbsrechtes bieten eine Vielzahl von Möglichkeiten, die den Markt verändern werden. Dazu acht Thesen:

These 1: Der Wettbewerb wird sich intensivieren – es gibt keine Option, nicht mitzumachen
Die Verantwortlichen in Marketing und Vertrieb haben oft noch Wissensbedarf und nur selten fertige Konzepte. Studien belegen aber, daß die Marketingleiter mit größerer Preisintransparenz, ruinösem Preisdumping und stärkerer Preisdifferenzierung rechnen. Nicht wenige erwarten auch einen Preisanstieg für den Endverbraucher. Im Sinne einer „Self Fulfilling Prophecy“ kann mithin erwartet werden, dass eine Vielzahl von Unternehmen (auch zur Abwehr erwarteter Wettbewerber-Aktivitäten) Maßnahmen einsetzen und testen werden, die zu den vorgenannten Effekten führen und zumindest kurzfristig den Preiswettbewerb verschärfen werden.

These 2: Die Aufgabenverteilung zwischen Industrie und Handel verändert sich – der Handel übernimmt öfter die konzeptionelle Führung
Die großen Handelsorganisationen setzen sich überwiegend sehr viel differenzierter mit der Thematik auseinander als die Industrie. Insbesondere erkennt der Handel die Möglichkeiten, mit neuen Instrumenten nicht nur den Abverkauf und die Auslastung zu steuern, sondern auch den Kunden zu binden. Während bisher also die (Industrie-) Marke den Kunden an sich band, so kann sich das nun ändern: der Handel kann zum „Owner“ des Kunden werden und damit der Industrie noch stärker Strategien, Systeme und Konditionen diktieren oder aber Produkte mit einem eigenen Label vermarkten.

These 3: Jagd auf die Schnäppchenjäger – Instrumente, Argumente und Tonality werden sich verändern
Statt des großen pauschalen Preis-Dumpings sind mittelfristig eher differenzierte Wege der Rabattierung zu erwarten. Ansatzweise ist auch mit einer Übernahme von Instrumenten zu rechnen, wie man sie aus den USA kennt – „Buy ten, get one free“ etwa oder alle Arten von Zugaben, Garantien, Serviceleistungen. Dass sich die im amerikanischen Handel übliche aggressive Kundenansprache auch auf dem liberalisierten deutschen Markt durchsetzen wird, ist hingegen fraglich. Hierzu sind doch die Tonalitäten zu unterschiedlich und würden möglicherweise hinsichtlich Marke und Kundenbindung kontraproduktiv wirken. Auch ein Teil der in den USA eingesetzten Instrumente wird sicher nicht übernommen werden. Der Koppelung einer ärztlichen Untersuchung mit einem Einkauf beispielsweise sind schließlich noch standesrechtliche Grenzen gesetzt.

These 4: Preisdumping als Nullsummenspiel – parallel entstehen intelligente Ideen und Systeme der Kundenbindung

Während sich nach einer ersten Phase des Testens neuer Instrumente mittelfristig eher ein differenzierter Umgang mit dem Instrument Rabatt und Zugabe durchsetzen dürfte, werden sich parallel intelligente Systeme herauskristallisieren, die überwiegend vom Handel eingesetzt werden. Neben allen Arten von Bindungsinstrumenten wie Clubsystemen und Kundenkarten, an denen heute nahezu jedes größere Handelsunternehmen arbeitet, werden das oft Systeme sein, die die Auslastung im stationären Handel steuern, wie etwa Sonderkonditionen für Käufe zu Tageszeiten mit geringer Kundenfrequenz, oder spezifische Zielgruppen ansprechen („Beamtennachmittag“, Altersrabatte, Rabatte für geschlossene Kundengruppen wie Mitarbeiter eines Unternehmens oder Vereins) .

These 5: Anreize rund um die Uhr – mit Systemen und Rabatten kanalisiert das Internet weitere Nachfrage

Der Absatzkanal Internet läßt vor dem Hintergrund des liberalisierten Wettbewerbsrechts neue Potenziale entstehen: Vernetzte Systeme werden denkbar. Beispielsweise können Handelsketten nach Ladenschluss zum E-Commerce-Anbieter werden und so rund um die Uhr für ihre Kunden erreichbar sein. Somit gilt auch für den Einzelhandel: In Zukunft liegen die Gewinne in der Verknüpfung von New und Old Economy zur „True Economy“.

These 6: Die Vielfalt der Rabattsysteme führt zu einem Ausleseprozeß – nur wenige Systeme überleben und beherrschen dann den Markt
Derzeit gibt es in Deutschland 300 verschiedene Kartensysteme. Ähnlich wie sich in Großbritannien aus einer Vielzahl von Rabattsystemen nur wenige große Systeme (z.B. Tesco, Saintsbury) herauskristallisiert haben, ist auch in Deutschland mit einer Bereinigung des Marktes zu rechnen. Gerade weil derzeit nahezu jedes größere Handelsunternehmen die Einführung oder Umstrukturierung einer Kundenkarte plant, werden viele Rabattsysteme wieder eingestellt werden bzw. nur die Systeme überleben, die ein imagestarkes Markenportfolio und attraktive Leistungen integrieren. Zum anderen wünscht der Kunde eine zentrale Karte, die er bei möglichst vielen Käufen, Online wie Offline, einsetzen kann. Die Rabattsysteme werden wie etwa bei webmiles.de medienübergreifend funktionieren müssen und erfordern erhöhten Werbebedarf.

These 7: Neben Chancen entstehen auch Risiken – die Entwicklung einer „Second Strike Capability“ wird lebensnotwendig
Wem es nicht gelingt, mit neuen Maßnahmen vorauszueilen und im Markt zu gewinnen, bedarf einer „second strike capability“, durch die er zumindest absichert, nicht den Anschluss an die Wettbewerber zu verlieren. Es müssen also Möglichkeiten geschaffen werden, gegen auf Verdrängung ausgelegte Marketingmaßnahmen der Konkurrenz wirksam Stellung zu beziehen. Insbesondere gegen gezielte Blockaden oder ein Pipeline Filling beim Saisongeschäft gilt es, gerüstet zu sein.

These 8: Rabatt gegen Marke – starke Marken müssen Orientierung vermitteln
Die Intransparenz nimmt zu und wird viele Kunden überfordern. Starken Marken kommt deshalb künftig noch mehr die Aufgabe zu, Werte und Orientierung zu vermitteln. Sie müssen – auch durch eine starke POS-Präsenz – dem Verbraucher Differenzierungskriterien anbieten und Preisoptiken korrigieren oder kompensieren.

Check up für Marketingstrategien
Das Verbraucherverhalten, der Handlungsraum und das Instrumentarium im Marketing verändern sich, es entstehen neue Chancen, aber auch viele Risiken von zum Teil erheblicher Dimension. Die bisherigen Marketingstrategien aller am Absatz Beteiligten müssen sich der neuen Situation anpassen bzw. müssen vor dem Hintergrund der neuen Situation überprüft werden. Es gilt, das Marketing einem grundsätzlichen Check Up zu unterziehen und in Szenarien mögliche Aktivitäten des Wettbewerbs und die Reaktionen in der Absatzkette durchzuspielen, um so Risiken und Chancen ermitteln, Entscheidungsgrundlagen schaffen und frühzeitig Maßnahmen entwickeln zu können.

Veranstaltungshinweis: Seminar zum neuen Wettbewerbsrecht am 8. Juni 2001 im Kurhaus Wiesbaden.
Anmeldung unter www.marketingpartner.de.

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Autor: Dipl.-Kfm. Peter Brügmann, Geschäftsführer Marketing Partner, Wiesbaden
eingestellt am 3.05.2001