Es ist eine illustre Koalition, die das Bündnis mit Facebook eingeht: Die New York Times ist dabei, der britische Guardian, die BBC, Buzzfeed, National Geographic sowie mit Bild und Spiegel zwei deutsche Web-Riesen. Die Artikel erscheinen im News-Feed der Facebook-Nutzer, der für die Medien als innovativer Vertriebskanal fungieren soll. Bei Axel Springer traut man der Kooperation offenbar großes Potenzial zu und setzt auf learning by doing. Bild-Digitalchefredakteur Julian Reichelt: „Bild muss immer da sein, wo unsere Leser und User sind. Fast 30 Millionen Menschen in Deutschland erleben ihren digitalen Alltag auf Facebook. Deswegen sind wir gespannt, ‚Instant Articles’ auszuprobieren und gemeinsam mit Facebook Lösungen zu entwickeln, die unsere (…) Inhalte auf dieser Plattform noch schneller, leichter, reibungsloser und aufregender erlebbar machen.“ Reichelts Pendant bei Spiegel Online, Florian Harms, sieht es gegenüber Horizont ähnlich: „Wir betrachten diese Kooperation als spannende Gelegenheit, neue Präsentationsformen für unsere redaktionellen Inhalte auszuprobieren und aus diesen Erfahrungen zu lernen.“
Zugang zur Zielgruppe schaffen
Der direkte Draht zum Nutzer, aber auch der Zugang zu Zielgruppen, die von sich aus kaum noch oder gar nicht auf die Idee kommen, die Portale der klassischen Medien anzusteuern, reizt viele Medienmacher. Hier lassen sich nun wertvolle Erkenntnisse gewinnen, wie diese Klientel „tickt“ und welches Nutzungsverhalten sie an den Tag legt. Dennoch ist davon auszugehen, dass – allen Bekundungen der Beteiligten zum Trotz – die Medienhäuser in diesem Deal Junior-Partner sind: Am Ende müssen sie darauf hoffen, dass Facebook mit offenen Karten spielt, denn seinen ständigen Veränderungen unterworfenen Algorithmus wird das weltgrößte Netzwerk ebenso wie der Suchmaschinen-Gigant Google niemals preisgeben. Das Gleiche gilt für die den Partnern zugeleiteten Informationen über die Nutzer und die Performance der Vermarktungsformate. Hier gilt: Vertrauen ist gut, Kontrolle gibt es nicht. Einer der Gründe, warum viele Medien dem Instant Articles-Angebot skeptisch gegenüber stehen.
Was aber sind aber jenseits der Experimentierlust die grundlegenden Motive der einzelnen Player im neuen Inhalte-Verbund? Wer hat die größten Chancen, davon zu profitieren? Und was treibt Medien wie auch Facebook an? Hier die wichtigsten Punkte:
1. Phalanx-Gedanke ade: Wer jemals an eine Geschlossenheit und Solidargemeinschaft der Medienhäuser gegenüber Google, Facebook & Co. glaubte, hat sich gründlich geirrt
Trotz Leistungsschutz-Initiativen und Kartellklagen gibt es keine belastbare Front gegen das Geschäftsmodell der Innovatoren aus dem Silicon Valley, nämlich ohne eigene Inhalte Milliarden an Werbeeinnahmen zu generieren. Es reicht, wenn etwa Google mit einem 150 Millionen Euro-Scheck winkt, um Qualitätsmedien reihenweise zu verleiten, den eingeschlagenen Pfad zu verlassen und einen möglicherweise faustischen Pakt mit den US-Konzernen einzugehen. In schwierigen Zeiten und unter Druck ist sich jeder Verleger selbst der Nächste, diese Regel gilt mehr denn je. Die Gefahr, eine Chance zu verpassen oder Schlusslicht bei einer digitalen Entwicklung zu sein ist größer als die Angst, in einer ungleichen Allianz zerrieben zu werden. Wer wie Bild oder Spiegel jetzt beim Facebook-Deal mitmacht, riskiert langfristig die Zerfaserung der eigenen Markenstrategie. Der Content könnte am Ende blau statt rot eingefärbt sein, weil Nutzer den Absender und Urheber von der Plattform nicht mehr unterscheiden können. Man kann nur darüber spekulieren, ob die Offerte des Social Networks an die Medien ein unmoralisches Angebot ist, um einen Keil in die oft beschworene Einheit der Verlage zu treiben – Tatsache ist, dass die Heterogenität der Interessen der verschiedenen Journalisten-Häuser mit den heute publizierten Pressemitteilungen offensichtlicher denn je erscheint.
2. Mobile First ist Nummer eins auf der Agenda
Mit Instant Articles schafft Facebook auf seiner App eine Software-Lösung, die den von praktisch allen Medienhäusern genutzten Systemen weit überlegen ist. Bei vielen Verlagen gibt es aufgrund mangelnder Digitalerlöse einen Investitionsstau im technologischen Bereich. Die exponentiell wachsenden Zuriffe von Smartphones und Tablets stellt die Unternehmen vor ein weiteres Problem: Es wird immer schwieriger, mit der Entwicklung mitzuhalten. Lange Ladezeiten und Inkompatibilitäten auf etlichen Endgeräten sind die Folge und werden von Nutzern durch Abwanderung zu Konkurrenzangeboten bestraft. Laut Techcrunch hat Facebook die sonst üblichen Ladezeiten bei Instant Articles auf weniger als ein Viertel reduziert. Zudem erlaubt es das Angebot, selbst startende Videos u.ä. in die Artikel einzubinden und im bei Smartphone-Darstellung üblichen Einspalten-Layout ruckelfrei auszuliefern. Die meisten Verlage laufen dieser Entwicklung hinterher; da ist es gewiss eine verlockende Idee, auf die Programmier-Gurus aus dem Silicon Valley zu setzen statt eine bestenfalls zweitklassige und zudem teure Inhaus-Variante zu entwickeln.
3. Auch Facebook kann vom Deal profitieren
Wer Chancen und Risiken abwägt, spricht zumeist über die Situation der Medien. Allerdings hat auch Facebook ein strategisches Interesse, Inhalte von Verlagen auf die Social Media-Plattform zu integrieren. Zwar ist die Nutzerzahl mit mehr als einer Milliarde weltweit gigantisch, doch gerade in sehr jungen Zielgruppen sinkt das Interesse an der Plattform deutlich. Somit könnte Facebook bestrebt sein, auf Dauer weniger Spaß-Community zu sein und stattdessen mehr journalistisch relevante Themen zu verbreiten, um der dann „erwachseneren“ Hauptzielgruppe gerecht zu werden. Schon jetzt gibt es einen Trend zu längeren Lesestücken, die immer häufiger geteilt werden. Derartiger Content könnte künftig von professionellen Anbietern massenhaft zur Verfügung gestellt werden, wie es beim Pilotprojekt jetzt bereits der Fall ist. Vorerst dürften jedoch lange Artikel von New York Times, Guardian oder Spiegel im Newsfeed der Nutzer eher wie Fremdkörper wirken. Eine Boulevardmarke wie Bild scheint mit ihren Inhalten und Darreichungsfomren (ebenso wie Buzzfeed) deutlich näher am gängigen Beuteschema der Facebook-Gemeinde. Auch deshalb ist das Instant Articles-Engagement sicherlich kein Selbstgänger, es kann – zumindest für einige der Medienpartner – auch fruchtlos bleiben. Vorgänger wie Snapchat Discover oder Facebook Paper erwiesen sich trotz des Hypes zum Launch als Flops (Paper), bzw. sind noch nicht über den Experimentiert-Status hinausgewachsen (Discover).
4. Wenn Instant Articles ein Erfolg werden soll, müssen die Medien neue Wege gehen
Der Blick ins eigene Facebook-Profil und die dort in der Timeline auftauchenden Inhalte zeigt, welche Inhalte besonders schnell den Weg zu den Nutzern finden – und das dürfte nicht jedem Medienmacher gefallen. Die Community hat eine eigene Sprache und Kommunikation entwickelt, zu der klassische journalistische Formen kaum passen. Wer hier gesehen und gelesen werden will, muss schnell reagieren können, Mut zur Meinung haben und am besten ein Bewegtbildangebot im Gepäck haben. Da fällt es schwer zu glauben, dass gegen diese schnelllebige Newswelt eins zu eins herübergeschobene Inhalte von den Nachrichtenportalen eine Chance haben. Wahrscheinlicher ist, dass die Medien lernen, ihre Leseransprache und Erzählform für Facebook zu „übersetzen“. Das aber bindet zusätzliche Ressourcen und lohnt nur bei horrenden Nutzerzahlen im Netzwerk – denn mehr schlecht als recht vermarkteten Traffic haben die in der IVW erfolgreichen Nachrichtenportale bereits selbst im Überfluss. Für die Medien, die zum Start dabei sind, hat die Kooperation den Charakter eines digitalen Workshops: Sie können von anderen als den ihnen bekannten Nutzern lernen und ihre Angebote für diese optimieren. Heißt aber auch: Ohne Lernbereitschaft und aktives Zutun bleibt der neue Vertriebskanal eine leere Röhre.
5. Medien und Instant Articles – ein Feldexpriment, aber auch nicht mehr
Kritiker werden bemängeln, dass Bild, Spiegel Online oder auch die große New York Times mit dem Facebook-Bündnis ein Stück ihrer Unabhängigkeit aufgeben, und sie haben Recht damit. Niemand kann garantieren, dass der US-Konzern alle Medien gleich behandelt; er könnte zum Beispiel von ihm selbst vermarktete Artikel bevorzugen und mehr Nutzern in den Feed legen als solche, von denen er wirtschaftlich nicht profitiert. Nur Naive glauben an das von den Monopolisten aus dem Silicon Valley propagierte Gesetz der Gleichbehandlung. Dass die Weitergabe von Content ohne Link auf die Seite des Urhebers der Quantensprung im digitalen Vertrieb sei, wie es etwa Buzzfeed-Gründer Jonah Peretti postuliert, ist ebenfalls eine arg steile These. Der Link ist nur dann tot, wenn man sich um die eigene Marke nicht weiter schert, und das könnte fatale Folgen haben. Verteufeln sollte man das Instant Articles-Bündnis aber auch nicht. Die bei vielen Medienhäusern zu beobachtende Entschlossenheit zum Vorwärtsdenken sowie die neu entfachte Experimentierlust sind allemal zielführender als das Lamentieren und Jammern der Vergangenheit. Lernen kann man nur an den Nutzern und deren Verhalten, und dies ist nunmal nirgends so transparent wie im Digitalen.