Wie könnte es auch anders sein? Oder in anderen Worten: Wie müsste das Marketing aufgestellt sein, um auf Innovationen zumindest hoffen zu dürfen? Rezepte für die Bereitstellung eines innovativen Umfeldes oder die Erzeugung einer produktiven Innovationsstruktur und Innovationskultur gibt es viele. Mit massiven Differenzen. Aber auch mit einigen Gemeinsamkeiten. Um die „Produktion des Neuen anzukurbeln“ (Hirschi) bedarf es – so mit historisch-empirischen Studien abgesichert – vor allem der Grundlagenforschung.
Neugierde und ein großes Budget
Was zeichnet erfolgreiche, also grundlegende Innovationen erzeugende Forschung aus? Erstens: Es fehlt zu Beginn der Arbeit eine klare Vorstellung vom Ergebnis. Zweitens: Der notwendige Zeitbedarf für die Erreichung des Ziels ist nicht von vorneherein abzusehen. Drittens: Eine Struktur existiert, die es erlaubt, viel Geld und Personal in die Forschungsarbeit zu investieren. Viertens: Eine offene, Disziplinen übergreifende und von Neugierde sowie Skeptizismus geprägte Kommunikationskultur existiert. Fünftens: Gearbeitet wird frei von externer Anleitung und Steuerung.
Es ist für jeden teilnehmend Beobachtenden offensichtlich, dass die Realität des heutigen Marketings nichts gemeinsam hat mit dem, was man vor diesem Hintergrund als erfolgversprechendes Innovationsklima bezeichnen könnte. Wenn letzteres mit den oben genannten fünf Eckpunkten umschrieben werden könnte, herrscht in ersterem
(1) die Kopflosigkeit des heroischen Pragmatismus. Wir hecheln schulterklopfend von „quick-win“ zu „quick-win“. Dabei vergessen wir vor lauter Begeisterung über unsere (vermeintlichen) Lösungen die Probleme, um die es eigentlich geht. Unbeirrbar ignorieren wir, dass es nichts Praktischeres gibt als eine gute Theorie.
(2) das Dogma des Excel-Sheets. Immer wieder füllen wir vor Projektbeginn tagesgenaue Pläne über mehrere Jahre hinweg aus. Dann himmeln wir die ausgedruckten (dadaistischen Kunst-) Werke an – und wissen doch, dass sie schon auf dem Weg vom Laptop zum Drucker veraltet waren.
(3) der Terror des Geizes und der Irrsinn des haltlosen Spardrucks. Wir dementieren jeden Zusammenhang zwischen Aufwand und Ertrag. Ritualisiert fordern wir „dramatisch mehr“ für „deutlich weniger“, glauben sogar an diesen Blödsinn und lamentieren ununterbrochen über allgegenwärtige Qualitätsmängel – bei anderen.
(4) der blinde Glaube an die Segnungen der Konkurrenzkräfte des Marktes. Nur Wettbewerb, so sind wir ohne Wenn und Aber sicher, führt zu Höchstleitungen. Möglichst knallharter Wettbewerb. Der „Pitch“ ist heilig. Die vertrauensvolle, partnerschaftliche Zusammenarbeit ist dagegen suspekt.
(5) das Diktat der (vermeintlichen) Konsumentenwünsche. Jeden staatlichen Versuch, unser Denken zu beeinflussen, bekämpfen wir lautstark. Den Götzen „Kundenwunsch“ beten wir dagegen hingebungsvoll an und lassen uns von der „unsichtbaren Hand“ der Marktforschung freudig an der Nase herum führen.
Es scheint dann zusammengefasst nur folgerichtig, dass grundlegende Innovationen im Marketing Mangelware sind. Daher erregen uns leider nur „Innovatiönchen“. Und wir leiden unter einem Marketing, das ein Verhältnis zur Innovation hat „wie Betrunkene zur Kopulation: Unser Verlangen wird groß, unsere Rede lang und unser Gelingen gering“ (Hirschi).
Über den Autor: Dr. Jürgen Häusler ist Chairman von Interbrand Central and Eastern Europe. Der Markenexperte betreut zahlreiche renommierte Unternehmen in der strategischen Markenführung. Er ist Honorarprofessor für Strategische Unternehmenskommunikation an der Universität Leipzig, publiziert laufend zum Thema Marke und hält Vorträge an Universitäten, auf Kongressen und Tagungen.