Es ist eine ungewöhnliche Offensive: Prominente Vertreter der Kommunikations- und Werbewirtschaft wehren sich gegen die Dominanz großer US-Plattformen im digitalen Anzeigengeschäft. „Freiheit braucht das ganze Bild“ lautet der Claim der „Initiative 18“, eines gemeinnützigen Vereins mit Sitz in Köln, den Manfred Kluge ins Leben gerufen hat. Kluge ist Chairman DACH der Omnicom Group und Urgestein der Mediaagenturen-Szene. „Es ist an der Zeit, Missstände klar zu benennen“, findet der 56-Jährige. Das Ziel: Die Sicherung einer freien und vielfältigen Medienlandschaft als 18. Sustainable Development Goal (SDG) der Vereinten Nationen.

Hintergrund ist der wachsende Anteil der Werbebudgets, der nicht mehr in Qualitätsmedien fließt und klassischem Journalismus damit langfristig den Boden entzieht: 2023 landeten fast zwei Drittel des digitalen Nettowerbe-Spendings in Deutschland bei einer der großen Plattformen wie Google, Amazon und Meta. Auf diese Weise trage die Werbebranche indirekt zur Finanzierung demokratiefeindlicher Inhalte und Fake News bei, warnt die Initiative 18. Zu Kluges Mitstreitern gehören unter anderen Norman Wagner, Managing Director von Utiq, Nina Haller, CMO bei Experience One, und Klaus-Peter Schulz, Geschäftsführer des Verbands Die Mediaagenturen.

Nur Angst vor Wettbewerb?
Die jüngsten Entwicklungen geben ihnen recht: Nach X verkündete auch Facebook die Abschaffung des Faktenchecks. Laut einer aktuellen Umfrage der Score Media Group befürchten 69 Prozent der Deutschen eine Zunahme von Desinformation. „Künstliche Intelligenz wird diesen Trend noch befeuern“, glaubt Kluge.

Die bislang 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen gibt es seit 2015, zu ihnen zählen Gesundes Leben, Saubere Energie oder der Kampf gegen Armut. Die SDGs dienen Regierungen und Institutionen als Leitlinien; auch Unternehmen richten ihre Nachhaltigkeitsstrategien an ihnen aus. Die Forderung nach freien und sicheren Medien würde in diesen Katalog gut passen. Warum aber kommt die Initiative aus der Werbebranche und nicht von den Medien selbst?
„Wir sind halt schneller darauf gekommen“, meint Verbandsgeschäftsführer Klaus-Peter Schulz. Man suche den Schulterschluss zu Medienorganisationen. Initiator Kluge verweist auf einen weiteren Aspekt: Wenn Verlagshäuser gegen die großen Plattformen Front machten, setzten sie sich dem Vorwurf aus, Eigeninteressen zu verfolgen, nach dem Motto, „ihr habt ja nur Angst vor dem Wettbewerb.“ Das Engagement der Werbewirtschaft mag insoweit tatsächlich glaubwürdiger sein – allerdings profitiert auch sie von einer vielfältigen Medienlandschaft mit einer großen Zahl von Mandaten.
Journalistenverband sieht Rückenwind für eigene Initiativen
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) unterstützt das Anliegen. „Es ist gut zu wissen, dass wir mit unserem Eintreten für Qualitätsjournalismus nicht allein sind“, sagt DJV-Vorsitzender Mika Beuster auf Anfrage der absatzwirtschaft. „Die Kritik an den Plattform-Konzernen teilen wir.“
Vorsichtiger äußert sich der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV). Hauptgeschäftsführer Jörg Eggers begrüßt es zwar, wenn Initiativen über den Zusammenhang zwischen Werbespendings, der Finanzierung privater Medien und Meinungsbildung in der Demokratie aufklären, „umso mehr, wenn im Wettbewerb zwischen redaktionellen Medien und Big-Tech-Plattformen um Werbebudgets eine Lanze für die Medien gebrochen wird.“ Bauchschmerzen bereitet ihm indes die Vorstellung, die Verteilung von Werbegeldern an die Güte eines Mediums zu knüpfen. „Wer entscheidet das? Nach welchen Kriterien? Wir wollen nicht vergessen, dass es auch die Entscheidungen der Mediaagenturen waren, die den Pressemedien zum Nachteil gereichten.“

Omnicom-Chairman Kluge räumt ein, „im Glashaus“ zu sitzen, weil viele Agenturen Partnerschaften mit großen Digitalkonzernen pflegen. Die Initiative sei kein Aufruf zum Boykott der Plattformen. „Dennoch ist es Zeit für Aufklärung. Vertrauenswürdige Inhalte sind das so notwendige Korrektiv für Desinformation und Deep Fakes.“ Was sich die Initiative wünscht, ist eine Mischung aus Regulierung, gesellschaftlichem Diskurs und Förderung von Medienkompetenz, um die Position von Value Media zu stärken.
Werbekunden reagieren unterschiedlich
Noch fehlt es dafür an Durchschlagskraft, eine im August vergangenen Jahres gestartete Petition stagniert bei 950 Unterschriften. Bis zum Frühjahr soll nun eine Kampagne die Bekanntheit der Forderungen steigern. Mit Kaminabenden und Präsentationen auf Veranstaltungen richtet sich Kluge direkt an Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft. Auch zur Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der UN in New York bestehe Kontakt, sagt er.
Bei Werbekunden löst die Initiative offenbar ein geteiltes Echo aus. Einige reagierten aufgeschlossen, berichtet Klaus-Peter Schulz, andere verwiesen auf ihre Kampagnenziele. Doch spätestens seit X-Chef Elon Musk begonnen hat, Konzerne zu verklagen, die ihre Werbung auf seiner Plattform gestoppt haben, dürfte dem einen oder anderen dämmern, dass eine zu große Abhängigkeit von den dominanten US-Playern teuer werden kann – nicht zuletzt unter dem Aspekt Brand Safety.