Ein Kommentar
Schuld an dieser ganzen Misere sind die Influencer. Weil die Internet-Stars zunehmend genervt von Instagram sind, suchen sie nach Alternativen – und plötzlich wächst die App Vero rasend schnell. Mit ihren überaus hohen Reichweiten bescheren sie der neuen App Vero einen wahren Boom.
Vero soll eine ernstzunehmende Alternative zu Instagram, Facebook und deren Werbewelt werden. Problem ist, dass Vero in der Beta-Phase bis jetzt 500000 Mal im Google Play Store heruntergeladen wurde, dort aber „nur“ eine Bewertung von 2,5 erhält. „Ich würde es stark befürworten, wenn es endlich eine gute, werbefreie, algorithmusfreie Alternativapp zu Instagram gäbe, jedoch ist für mich die Eingabe der Telefonnummer zur Registrierung ein absolutes No-Go“, schreibt eine Nutzerin im Google-Shop. Und so reihen sich die Kritiken zur Anmeldung und Nutzbarkeit aneinander. Aber von vorne: Was macht die App anders als alle anderen?
Vero ist Latein und bedeutet „das Wahre”. Somit soll schon der Name vermitteln, wofür die App steht: Kein Datensammeln, keine Algorithmen und keine Werbung. So zeigt es auch der sympathisch daherkommende Werbespot.
Der Hype
Man könnte sagen, die App hat grenzenloses Potenzial. Sie will nur die Inhalte anzeigen, die der Nutzer tatsächlich sehen möchte, und das in chronologischer Reihenfolge. Das Besondere an der App ist allerdings ihre Aufteilung. So lassen sich nicht nur Fotos mit engen Freunden, Freunden oder Bekannten teilen, sondern auch Musik, Filme, Bücher, Links zu Artikeln oder Produkten. Für jeden Inhalt können die Vero-Nutzer festlegen, welche der drei „Freundes“-Kategorien ihn sehen kann.
Das Potenzial, hier Kaufentscheidungen zu beeinflussen, wäre groß. Das Potenzial, Produkte großflächig zu vermarkten, noch größer. Geld könnte Vero mit den Empfehlungen für Musik, Bücher oder TV-Serien verdienen. An den Links, die aus der App in entsprechende Stores führen, ist Vero schon jetzt beteiligt. Ansonsten will das junge Unternehmen werbefrei bleiben. Ayman Hariri, Gründer der App, erklärt im eigens formulierten Manifest, dass sie sich dazu entschieden haben, Vero zu einem werbefreien Service zu machen und ein Abonnement-Modell einzuführen. So sei der Service für die ersten Millionen Nutzer kostenlos, danach würden neue Nutzer gebeten, ein Jahresabonnement zu zahlen, um die Plattform zu unterstützen. Solange es sich um einen Betrag handele, der nicht mehr als zwei Tassen Kaffee im Monat überschreite, wird es wohl keine Welle der Empörung geben, hofft der Vero-Gründer. Doch weil andere Social-Media-Kanäle kostenlos nutzbar sind, könnten Kritiker hier ihren Unmut äußern. Klar ist aber auch: Schaltet Vero keinerlei Werbung auf der Plattform, bezahlt man doch gerne ein paar Euro im Monat.
Die Anwendung
Schauen wir uns die App näher an: Sie glänzt durch klares Design und ein ausdrucksstarkes Logo. Noch hat sie lange Ladezeiten, friert oft nach dem Öffnen ein oder schließt ganz. Deinstallationen und Neuinstallationen gehören zurzeit noch dazu. Man könnte von Kinderkrankheiten reden, denen die Techniker von Vero vermutlich schon auf den Grund gehen. Klare Kante zeigen sie bei dem „Recht am eigenen Bild”: Die Rechte an Fotos und Co liegen bei den Nutzern, es gebe keine Weiterverwertung, so schreibt es Vero in ihren AGBs. Die App lohnt sich vor allem für Künstler und Kreative, die nicht zwei Accounts pflegen wollen, sondern Privataccount und Businessaccount verbinden möchten. Denn wo was gespostet wird, bestimmt jeder selbst. Die App wirkt auf den ersten Blick chaotisch: In jeder Ecke gibt es Buttons, die eine andere Funktion besitzen. Hat man sich einmal durchgeklickt, erkennt man schnell, wie Fotos, oder Links hochgeladen werden und wie eine Beschreibung hinzugefügt werden kann.
Der Erfinder
Hinter der App steht Ayman Hariri, milliardenschwerer Geschäftsmann aus dem Libanon. Er ist der Sohn des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri, der 2005 bei einem Bombenattentat ums Leben kam. Hariri war frustriert über soziale Netzwerke und wie sie mit ihren Nutzern umgehen: „Als meine Mitgründer und ich begannen, Vero zu bauen, wussten wir, dass wir nicht Teil dieses Systems sein wollten – wir wollten, dass unsere Nutzer Kunden sind und nicht unser Produkt werden.“
Der Ausblick
An ein solches Versprechen haben sich Facebook und Google nicht gehalten. Ob sie dem Neuling mit ihrer Marktmacht das Leben tatsächlich schwer machen könnten, bleibt abzuwarten. Auch Snapchat ließ sich damals nicht von Zuckerbergs umwerben einlullen. Ob das Vero-Phänomen nur von kurzer Dauer ist, wie bei den Apps Ello oder Path, entscheiden am Ende die Nutzer – keine Marken und keine Konkurrenten.
Viele Social Media-Nutzer würden am liebsten unterschiedliche Inhalte mit unterschiedlichen Menschen teilen. Doch die herkömmlichen Social-Media-Kanäle lassen nur zu, dass wir das teilen, was wir am interessantesten finden. Wir bedienen heute unterschiedliche Plattformen und füllen sie mit jeweils unterschiedlichen Inhalten. Was ist mit dem Film, den wir gerne unserer Freundin empfehlen wollen? Oder dem Artikel, der uns nicht mehr aus dem Kopf geht? Vero lässt kulturelle Vielfalt zu – und das alles in einer App.