Die „New York Times“ hatte in einem großen, investigativen Special über die „Follower-Fabrik“ doziert. Man war der Gerichtsdokumente habhaft geworden, die bei der Anklage gegen die „Reichweiten-Verkäufer“ Devumi Verwendung fanden. Und darin befand sich eine Kundenliste. Und wer die Kundenliste sorgfältig studierte – was die „NYT“ tat –, der fand auch Namen von Sportstars, Hollywood-Größen, Senatoren und Abgeordneten des britischen Unterhauses. Und außerdem fand die „NYT“ eine Geschäftsbeziehung zu Hello-Society, einer Influencer-Agentur, die zur „NYT“ gehört.
Ein Vierteljahr später nutzte Unilevers Marketingleiter Keith Weed eine Pressekonferenz, um das Thema Influencer Fraud auf die Agenda zu heben. Unilever befürchtet einen Schaden von bis zu 20 Prozent falsch ausgewiesener Reichweite. „Im besten Fall ist es missverständlich, im schlechtesten Korrup-tion“, polterte Weed gegenüber dem „Wall Street Journal“, unmittelbar vor dem Cannes-Festival.
Das Kaufen von Fans ist dabei nur die offensichtliche Spitze des Eisbergs. Darunter hat sich eine rege Fan-Industrie entwickelt, die in der Lage ist, aus dem kleinen Instagram-Sternchen über Nacht einen leuchtenden Influencer mit fünfstelligem Monatseinkommen zu machen. Aber Weed sieht nicht nur die Influencer selbst in der Pflicht, sondern vor allem auch die Plattformen, die großen sozialen Netzwerke. „Einige Plattformen tun einiges, um Fraud zu bekämpfen. Aber sie müssen viel mehr tun und das transparent darstellen. Die werbungtreibende Industrie muss sicher sein können, dass die Plattformen sauber sind“, sagt Weed.
Und das sind sie nicht, sagen die Statistiker. Forscher der University of Southern California haben Twitter analysiert und gehen davon aus, dass 15 Prozent der Konten nicht von echten Menschen, sondern von Bots geführt werden. Das Analyse-unternehmen Points North Group sieht den Schwerpunkt von Influencer Fraud vor allem bei mittelgroßen Konten zwischen 50 000 und 100 000 Followern. Hier seien 20 Prozent der Follower wertlos. Den Vogel aber schießt die Influencer-Plattform Sway ab. Dort hat man gezählt, dass von 118 007 Kommentaren lediglich 20 942 von echten Menschen stammten.
So geht Influencer Fraud
Das Kaufen von Fans und Followern ist für viele ein Kavaliersdelikt. Alles beginnt dort, wo Feedback in den sozialen Medien für die Teilnehmer zum wichtigen Teil ihres Selbstbilds geworden ist. Wer nicht andauernd Nachrichten bekommt und von seinem Smartphone „gestört“ wird, scheint nicht wichtig. Die Menge der Fans auf Facebook oder Instagram ist Ausdruck der persönlichen Beliebtheit.
Und von hier ist der Übergang in den geldwerten Vorteil nur ganz kurz. Tatort Xing (oder Linkedin). Verfügt ein Bewerber auf einen Job über ein stattliches Fan-Konto, so scheint er in der heute so bedeutenden Disziplin „Net-working“ ein Spezialist zu sein, und das qualifiziert für höhere Aufgaben und höhere Gehälter. Gleiches gilt für die Spitzenpolitik. Wer kein „dickes“ Profil hat, dem wird nicht zugehört, und das trägt den Rückschluss in sich, dass er auch nichts Wichtiges zu sagen hat.
Bei angehenden Influencern verhält es sich ein wenig anders. Für sie ist der Vernetzungsgrad in den sozialen Medien keine zusätzliche Qualifikation, sondern es ist die eine Kerndisziplin. Und gerade in der ersten Phase können 50 000 neue „Freunde“, die für ein paar Hundert Euro bei Devumis Mitbewerbern erstanden werden können, den wichtigen Unterschied machen. Nämlich den hin zum leistungslosen Grundeinkommen von ein paar Tausend Euro monatlich. Dann funktioniert die Selbstständigkeit, dann wird profiliert und die Marke geschärft, und möglicherweise spielen die -falschen Freunde in ein paar Monaten überhaupt keine Rolle mehr, aber so einfach wird man sie auch nicht wieder los. 3,5 Millionen gefälschte Accounts und über 200 Millionen Twitter-Follower hat allein Devumi vermittelt. Das ergeben die Recherchen der „New York Times“ in den Gerichtsakten.
Wer hat Schuld?
Christoph Kastenholz, Gründer und Geschäftsführer der Influencer-Agentur Pulse, die unter anderem das männliche Top-Model Daniel Fuchs (@magic_fox) vermarktet, mahnt allerdings zur Umsicht: „Nicht immer kann der Influencer wirklich etwas dafür. Fan-Verkäufer spielen schon mal selbstständig 5 000 Fans zusätzlich in den Account und schreiben dann eine Mail mit der Anfrage, ob man nicht mehr davon haben will.“
Gleiches mag für „wohlmeinende“ PR-Agenturen gelten oder für Freunde des angehenden Influencers, die ihm eine Freude machen wollen. Ob Lionel Messi tatsächlich 20 Prozent seiner Zielgruppe in Indien findet, dem Land der ausgewiesenen Fußballbegeisterung, ist nicht abschließend zu beweisen oder zu ächten. Ein auffälliges Muster ist es allemal. Die Influencer-Agentur Indahash hat sich darauf spezialisiert, Konten zu prüfen, und veröffentlicht regelmäßig „verdächtige“ Fälle aus der Prominenz.
Doch gekaufte Fans sind aus Sicht professioneller Account-Manipulateure total oldschool. Sie wissen, dass die Vermarktungs- und Mediaagenturen Accounts nach solchen Mustern durchsuchen. Das Auffälligste: In der Wachstumskurve der Reichweite des Influencers zeigen sich überproportionale Spitzen. Und damit man die nicht so leicht erkennt, werden gekaufte Fans eben nicht mehr in einem Schwung zu einem Konto addiert, sondern in kleinen, unmerklichen Dosen hinzu-gefügt. Vollautomatisch. Auch die Qualität des gefälschten Engagements wird besser. Oberflächliche und belanglose Jubel-Posts werden ersetzt durch detailstarke Kommentare. Dazu setzen die Fälscher inzwischen die gleiche künstliche Intelligenz ein, die auch dazu dient, Sentiment-Analysen in sozialen Netzwerken oder bei Bewertungen durchzuführen.
Aber kein Angebot ohne Nachfrage. Viele Influencer sind selbst recht findig, wenn es um die Erweiterung ihrer Zielgruppe geht. Die direkte bilaterale „Verfolgung“ wird zum Beispiel mit Hashtags wie „#follow4follow“ ausgelöst, „#like4like“ ist die harmlosere Variante. „Wenn sich solche Hashtags in einem Account häufen, wird er nicht aufgenommen oder fliegt raus“, sagt Chris Jungjohann, Head of Sales in Deutschland bei der Influ-encer-Agentur Takumi. Eigenen Angaben zufolge lehnt Takumi 93 Prozent aller Vermarktungsanfragen ab.
Noch schwieriger zu identifizieren sind die sogenannten Pods. Das sind Gruppen von Influencern, die sich gegenseitig starkmachen. Hier von Fraud zu sprechen ist bereits grenzwertig, denn die Reichweitensteigerung, die dadurch entsteht, dass andere, nicht gebuchte Influencer eine Kampagne weitertragen, ist ja per se kein Nachteil. Nur wenn es die falsche Reichweite ist, entsteht ein Problem. „Fakt ist, wir beobachten eine Zunahme solcher Pods“, sagt Takumi-CEO Mats Stigzelius. Und digitaler Fraud wäre nicht digitaler Fraud, wenn nicht auch Bots in irgendeiner Form beteiligt wären. Und davon gibt es jede Menge. Es gibt Bots, die versuchen, Fake Accounts zu erzeugen und damit „Fan“ zu werden. Auch diese Methode ist nicht leicht zu identifizieren, denn inzwischen stehlen Bots ganze Konten, deren Daten, Bilder und Videos. Und genau damit wird ein neuer Account angelegt, der dem alten täuschend ähnlich sieht. Da wird zum Beispiel im Accountnamen ein kleines „l“ verwendet statt des großen „I“. Dann werden noch die Fans des alten Accounts vollautomatisch angeschrieben und zum Wechseln aufgefordert.