In größeren Unternehmen sind an den zentralen Kaufentscheidungen meist mehrere Personen beteiligt. Sie bilden das sogenannte Buying Center. Und die Herausforderung an potenzielle Lieferanten lautet, die Entscheidungsprozesse in diesem Personenkreis so zu beeinflussen, dass ihr Unternehmen den Auftrag erhält – zu attraktiven Konditionen. In einem Buying Center gilt es folgende Personengruppen zu unterscheiden:
Schritt 1: Das Buying Center analysieren
– die Anwender (User), die mit der gekauften Lösung arbeiten,
– die Einkäufer (Buyer), die den Auftrag unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten verhandeln (und gegebenenfalls erteilen),
– die wirtschaftlichen Entscheider (Decider), die aufgrund ihrer Position die finale Entscheidung über die Problemlösung und deren Lieferanten treffen,
– die Experten/Techniker in der Organisation (Experts), die darauf achten, dass die Lösung technisch und organisatorisch den Anforderungen entspricht.
Diese Personen(-gruppen) haben an die Problemlösung meist unterschiedliche Erwartungen. Während zum Beispiel die Anwender primär darauf achten, dass die Lösung unkompliziert zu handhaben ist, achten die Einkäufer darauf, dass sie „preis-wert“ ist. Und während zum Beispiel die Geschäftsleitung vor allem darauf schaut, dass das Unternehmen mit der Lösung seine strategischen Ziele erreicht, achten die Experten/Techniker primär darauf, dass diese mit den Prozessen und der technischen Infrastruktur harmoniert.
Wie Kaufentscheidungsprozesse in den Unternehmen verlaufen, hängt stark vom Produkt beziehungsweise der Problemlösung ab. Haben diese eine geringe strategische Relevanz – wie zum Beispiel das Büromaterial – sind in größeren Unternehmen die Top-Entscheider meist nicht involviert. Anders ist es bei Problemlösungen, die für das Erreichen der Ziele des Unternehmens eine hohe Bedeutung haben, die (wie zum Beispiel eine Computeranlage) auf die Bedürfnisse des Unternehmens abgestimmt sein müssen und bei deren Kauf das Unternehmen mit dem Lieferanten sozusagen eine Partnerschaft über die Lebensdauer des Systems eingeht. Bei ihrem Kauf behalten sich die Top-Entscheider in der Regel zumindest das finale Entscheidungsrecht vor.
Schritt 2: Die nötigen Kundeninfos erlangen
Die wichtigsten Fragenkomplexe, die potenzielle Lieferanten bezüglich des Buying Centers zu klären haben, sind:
– Wer sind seine Mitglieder?
– Welche Entscheidungskriterien sind für die einzelnen Mitglieder/Funktionsgruppen die wichtigsten? Und:
– Welchen Einfluss haben sie auf die finale Kaufentscheidung?
Um die Kaufentscheidung zu seinen Gunsten zu beeinflussen, benötigt der potenzielle Lieferant also viele Informationen. Zum Beispiel über die Marktposition des Unternehmens und die Herausforderungen, vor denen es steht – betriebswirtschaftlich, technisch und marktbezogen. Zudem darüber, wie das Unternehmen aktuell die relevanten Probleme/Aufgaben löst; des Weiteren darüber, wie Entscheidungsprozesse in dem Unternehmen ablaufen.
Manch relevante Erst-Information lässt sich durch eine Online-Recherche erlangen. Für andere gilt es, das firmeneigene Netzwerk zu aktivieren – zum Beispiel zu Mitbewerbern, Lieferanten oder Kunden des Unternehmens, zu denen die eigene Organisation eine Beziehung hat. Viele wichtige Infos lassen sich jedoch nur im Kontakt mit Mitgliedern der Kundenorganisation ermitteln. Also gilt es diese auf den unterschiedlichsten Ebenen (zum Beispiel auf der Techniker- und der Verkäuferebene) aufzubauen.
Schritt 3: Ein Selling-Team formieren
Wichtig ist es zudem, ein sogenanntes Selling-Team zu bilden, das gemeinsam daran arbeitet, vom Zielkunden den gewünschten Auftrag zu erlangen. Der Aufbau solcher Selling-Teams – als Pendant zum Buying Center – ist im B2B-Vertrieb, bei dem oft kundenspezifische Lösungen entwickelt werden, gang und gäbe, denn hieran wirken neben den eigentlichen Verkäufern häufig auch Techniker, Mitarbeiter des (Verkaufs-)Innendiensts sowie nicht selten Teile der Geschäftsleitung mit.
Eine zentrale Aufgabe des Selling Teams ist es, den Neukundengewinnungsprozess – also die Strategie, wie der Kunde gewonnen werden soll – zu definieren. Hierfür gilt es zunächst die Bedürfnislage des Zielkunden zu erkunden. Hierbei hat sich das TAPA-Modell bewährt. Die TAPA-Analyse ist für die Hypothesenbildung wichtig, wie der Zielkunde zur gewünschten Kaufentscheidung geführt werden kann. Und die Ergebnisse der Analyse? Sie können in das letztlich erstellte Angebot oder die firmeninterne Präsentation einfließen.
– T = Trendanalyse: Welche Trends, Entwicklungen, kommen auf das Zielunternehmen zu?
– A = Auswirkungen: Welche Auswirkungen haben diese auf das Unternehmen?
– P = Probleme: Welche Herausforderungen ergeben sich hieraus für die Mitglieder des Buying Centers beziehungsweise ihre Funktionsbereiche?
– A = Auswirkungen: Welche negativen Auswirkungen hat es mittel- und langfristig für das Unternehmen und die Funktionsbereiche der Buying Center-Mitglieder, wenn das Problem nicht gelöst wird? Welche positiven Auswirkungen hat es, wenn das Unternehmen die Herausforderungen meistert?
Schritt 4: Dem Zielkunden einen Mehrwert bieten
Im Angebot gilt es die Leistungen des eigenen Unternehmens so zu präsentieren, dass für die Mitglieder des Buying Centers der Mehrwert des Angebots gegenüber Konkurrenz-Angeboten erkennbar wird. Zudem sollte das Angebot so gestaltet sein, dass für die Mitglieder des Buying Centers auch emotional erfahrbar wird: Das ist eine maßgeschneiderte Problemlösung für uns.
Steht das Angebot oder die Präsentation gilt es zu entschieden, welche Mitglieder des Selling Teams in die firmeninterne Präsentation oder den Pitch gehen. Diese Entscheidung sollte davon abhängig gemacht werden, wie sicher die Mitglieder des Selling Teams im Präsentieren sind, wer die Hauptentscheider im Buying Team sind und welchen Eindruck das Unternehmen hinterlassen möchte (zum Beispiel: „Wir sind ein innovatives Unternehmen“ oder „Wir sind ein etabliertes Unternehmen, dem Sie vertrauen können“).
Schritt 5: Den Auftritt beim Zielkunden trainieren
Wichtig ist vor dem Auftritt in der Kundenorganisation zudem ein Pitch- oder Präsentationstraining, bei dem die Teammitglieder in den verschiedenen Rollen im Buying Center schlüpfen – zum Beispiel in die Rolle der Einkäufer und der Geschäftsleitung. Trainiert werden sollten mit Rollenspielen folgende Phasen und Herausforderungen im Pitch oder in der Präsentation:
– Die Begrüßungsphase: Start – Wie gewinnen wir schnell die Aufmerksamkeit? Gestalten der Kennlernrunde – Wie schaffen wir ein perfektes Match mit dem Gegenüber schon in der Vorstellungsrunde? Wer sagt was für welches Buying Center-Mitglied?
– Die Präsentationsphase: Festgelegt werden sollte, wer welchen Part präsentiert; zudem welchen Typ auf der Kundenseite die jeweilige Person abholen soll – damit Rollenklarheit besteht.
– Die Argumentationsphase: In der Rolle des Kunden fallen den Teammitgliedern meist viele Einwände, Bedenken und Rückfragen ein. Diese gilt es zu sammeln, um dann zu überlegen, wie man sie abfedern kann.
– Abrunden: Geklärt werden sollte auch, wie das Team für das „We want you“-Gefühl beim Kunden sorgt; also das das Gefühl: „Wir sind begehrt! Der Anbieter bemüht sich um uns.“
Schritt 6: Realistische (Etappen-)Ziele formulieren
Vor dem Pitch oder der Präsentation sollte zudem definiert werden: Welches (Etappen-)Ziel wollen und können wir erreichen? Denn für den Verkauf komplexer Produkte/Dienstleistungen im B2B-Bereich gilt meist: Die Problemlösungen haben für den Kunden eine hohe strategische Relevanz und sind „costumized“. Deshalb fällt die Kaufentscheidung selten beim oder nach dem ersten Treffen. Vielmehr treffen sich, nachdem die Kundenorganisation eine Vorentscheidung für einen Lieferanten traf, zum Beispiel die Experten auf der Anbieter- und Kundenseite und erarbeiten gemeinsam die Detailanforderungen an die Lösung oder diese selbst. Diese Vorschläge werden dann erneut dem Buying Center präsentiert, bevor schließlich der Auftrag erteilt wird.
Zum Autor: Uwe Reusche ist einer der beiden Geschäftsführer des ifsm Institut für Sales & Managementberatung, Urbar bei Koblenz. Im September erschien von ihm und Dr. Till Reichert das Buch „Die B2B Sales Matrix: Strategische Akquise planen und systematisch umsetzen“.