Der Food Campus Berlin will die Ernährung der Zukunft revolutionieren. Mit Beteiligten aus Forschung, Start-ups und etablierten Unternehmen soll hier ein Zentrum für Innovationen entstehen, das Lösungen für die globalen Herausforderungen im Ernährungsbereich bietet. Momentan befindet sich das Projekt noch in der Entwicklungsphase, die Finanzierung erfolgt durch private Investitionen sowie durch Partnerschaften mit der Stadt Berlin.
Wir haben mit Lia Carlucci, Geschäftsführerin des Food Campus, über die Zukunft der Ernährung und die Rolle von Technologien wie KI und Robotik im künftigen Ernährungssystem gesprochen.
Frau Carlucci, der Food Campus Berlin hat eine klare Mission: die Zukunft der Ernährung neu zu gestalten. Welche Vision verfolgen Sie mit dem Projekt?
Wir sind überzeugt, dass es einen Ort wie den Food Campus braucht, um die Zukunft der Ernährung zu gestalten. Unser derzeitiges Ernährungssystem ist weder nachhaltig noch langfristig tragfähig. Für jeden Euro Umsatz entstehen etwa 1,50 Euro an Kosten durch Umwelt- und Gesundheitsschäden. Wir wollen eine Plattform schaffen, die die Transformation der Lebensmittelbranche unterstützt, vorhandene Lösungen skaliert und neue Ansätze entwickelt. Unsere Vision ist ein zirkuläres Ernährungssystem, das nachhaltig ist und die Bedürfnisse der Menschen erfüllt.
Sie verfolgen einen holistischen Ansatz, er soll verschiedene Bereiche zusammenbringen – von der Forschung bis zur Produktion, von Start-ups bis hin zu etablierten Unternehmen. Welche Vorteile bietet dieser Ansatz gegenüber traditionellen Innovationszentren?
Große Herausforderungen erfordern umfassende Lösungen. In der Lebensmittelbranche herrscht häufig ein Silodenken, in dem jeder nur seine eigene Nische im Blick hat. Wir sind überzeugt, dass wir durch die Zusammenführung unterschiedlicher Akteure – seien es Saatguthersteller, Lebensmittelproduzenten, Forschungseinrichtungen oder Technologie-Start-ups – einen Wandel bewirken können. Der Food Campus kuratiert ein Netzwerk, das alle Aspekte des Ernährungssystems abdeckt. Unsere Philosophie lautet: Innovation braucht Reibung. Wenn alle einer Meinung sind, gibt es keinen Fortschritt. Daher fördern wir den Austausch zwischen verschiedenen Disziplinen, um wirklich neue und kreative Lösungen zu entwickeln.
Um Reibung zu einem erfolgreichen Ergebnis zu führen, braucht es eine gute Kommunikation. Wie schaffen Sie das in einem interdisziplinären Innovationszentrum?
Kommunikation ist der Schlüssel. Es beginnt mit einem gemeinsamen Werteverständnis. Alle Beteiligten müssen den Willen mitbringen, aktiv an der Gestaltung der Zukunft mitzuwirken. Uns ist wichtig, dass die Unternehmen, die sich bei uns engagieren, Nachhaltigkeit und Innovation als Teil ihres Kerngeschäfts begreifen und nicht nur als Marketinginstrument. Auf dieser Grundlage schaffen wir Räume für den Austausch – sowohl physisch als auch digital. Der physische Campus wird ein Ort sein, an dem Menschen aus verschiedenen Bereichen zusammenkommen, aber bis zur Fertigstellung nutzen wir unsere digitale Plattform, um die Community zu vernetzen und gemeinsam an Projekten zu arbeiten.
Sie haben den Food Campus Digital bereits angesprochen. Welche Rolle spielt diese digitale Plattform, und wie unterstützt sie die Vision des Food Campus?
Die digitale Plattform ist ein essenzieller Bestandteil unserer Strategie. Sie ermöglicht es uns, schon jetzt eine Community aufzubauen und den Austausch zu fördern, bevor der physische Campus fertiggestellt ist. Derzeit haben wir bereits über 10.000 Fachleute aus der Lebensmittelbranche in unserem Netzwerk. Diese Community hilft uns, Themen zu schärfen, Wissen zu teilen und gemeinsame Projekte zu initiieren. Auch nach der Eröffnung des physischen Campus wird die digitale Plattform eine wichtige Rolle spielen, insbesondere bei der internationalen Zusammenarbeit. Wir sind bereits in Gesprächen mit Partnern in Singapur und Ruanda, um das Konzept der Ernährungswende global zu verbreiten. Die digitale Plattform ermöglicht uns dabei eine größere Reichweite und Flexibilität.
Sie sprechen oft über Smart Proteins und Circular Economy als Fokusthemen. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen bei der Einführung solcher innovativen Konzepte in die Mainstream-Ernährung?
Eine der größten Herausforderungen liegt im kulturellen und emotionalen Bereich. Ernährung ist tief in unserer Kultur verankert und oft emotional besetzt. Neue Produkte wie alternative Proteine oder fermentationsbasierte Fleischalternativen oder zellbasiertes Fleisch werden häufig als unnatürlich oder gar bedrohlich empfunden. Deshalb ist eine klare und transparente Kommunikation essenziell, um Vertrauen zu schaffen.
Wie wollen Sie Vertrauen schaffen?
Wir müssen den Menschen zeigen, dass diese Produkte nicht nur sicher, sondern auch besser für die Umwelt und unsere Gesundheit sind. Ein weiteres Hindernis ist die Skalierung dieser Technologien. Viele der Lösungen sind bereits verfügbar, aber die Produktionskapazitäten sind noch nicht ausreichend, um den Massenmarkt zu erreichen. Hier wollen wir als Food Campus unterstützen, indem wir Start-ups und etablierte Unternehmen zusammenbringen und ihnen die notwendige Infrastruktur bieten.
Welche Rolle spielen Technologien im Ernährungssystem der Zukunft? Und wie setzen Sie diese Technologien bereits heute ein?
Technologien wie KI und Robotik haben das Potenzial, die gesamte Wertschöpfungskette der Lebensmittelproduktion zu revolutionieren. In der Landwirtschaft können Agrarroboter beispielsweise präzise bestimmen, wo Pestizide eingesetzt werden müssen oder wo Krankheitsherde frühzeitig erkannt werden können. Das reduziert den Pestizideinsatz und steigert gleichzeitig den Ertrag.
Wie hilft dabei Künstliche Intelligenz?
In der Produktentwicklung ermöglicht KI es, Rezepturen zu optimieren und sensorische Daten zu analysieren, sodass neue Produkte schneller und effizienter entwickelt werden können. Auch in der Lebensmittelproduktion selbst sehen wir einen zunehmenden Einsatz von Robotik, gepaart mit KI und Machine Learning, etwa zur Unterstützung in der Gastronomie, wo Roboter Mahlzeiten zubereiten und so den Fachkräftemangel ausgleichen können. Diese Technologien sind ein wichtiger Bestandteil unserer Bemühungen, die Effizienz und Nachhaltigkeit der Lebensmittelproduktion zu steigern.