Von Nico Esch, dpa
Er war der König der Branche und zugleich ein Phantom. Seinen Namen kannte jeder, nahezu an jeder Ecke hing zeitweise das Logo, weiße Schrift auf blauem Grund. Das Gesicht dazu hatte dagegen kaum jemand je gesehen – bis das Imperium am Ende war. Quasi aus dem Nichts hatte Anton Schlecker eine Drogeriekette mit gewaltigen Ausmaßen aufgebaut – und am Ende ging er höchstpersönlich damit unter. Ein Lebenswerk in Trümmern, Tausende Mitarbeiter auf der Straße, der Gründer pleite und schließlich angeklagt und verurteilt.
Am 28. Oktober wird Anton Schlecker 75 Jahre alt. Der König von einst ist er längst nicht mehr, dafür inzwischen wieder das Phantom von früher, gut verborgen hinter hohen Mauern in seinem Heimatort Ehingen am Rande der Schwäbischen Alb. Das Gefängnis blieb Anton Schlecker erspart. Zwar befanden ihn die Richter vor knapp zwei Jahren des Bankrotts für schuldig. Im Wissen um eine bevorstehende Insolvenz habe er Geld an die Seite geschafft. Anders als seine Kinder Lars und Meike, die das Landgericht Stuttgart ins Gefängnis schickte, bekam Schlecker selbst aber eine Bewährungsstrafe. Seither ist es wieder still geworden um ihn. Alle Anfragen laufen ins Leere.
Im März 2017 hatte das Gericht begonnen, in monatelanger Kleinarbeit das Ende des Imperiums unter die Lupe zu nehmen. Bevor Schlecker von da an jeden Prozesstag auf der Anklagebank verbringen musste, war er sogar vielen seiner eigenen Leute völlig unbekannt gewesen.
„Ich habe Herrn Schlecker in all den Jahren kein einziges Mal persönlich kennengelernt“, berichtet Christel Hoffmann, damals Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates. Über Jahre seien Einladungen zu Gesprächen nicht einmal beantwortet worden, in den letzten zwei, drei Jahren habe Schlecker dann immerhin Absagen ausrichten lassen.
Konsequentes Meiden der Öffentlichkeit
Mit Anfang 30 hatte der Metzgermeister Mitte der 1970er-Jahre den Grundstein für sein Milliardenreich gelegt und die Öffentlichkeit seither konsequent gemieden. Ausnahme war 1999 nur der Prozess gegen die Männer, die gut zehn Jahre zuvor seine Kinder entführt hatten.
Auch als sein Lebenswerk Anfang 2012 am Ende war, tauchte Schlecker nicht auf. Die Pressekonferenz mit dem legendär gewordenen Satz „Es ist nichts mehr da“ gab damals Tochter Meike. Sohn Lars nahm in dieser Zeit als erstes Familienmitglied überhaupt an einer Betriebsratskonferenz teil, wie sich Hoffmann erinnert.
Schlecker hatte seine Firma als eingetragener Kaufmann und nicht etwa als GmbH betrieben. So konnte er viele Geheimnisse um seine Geschäfte machen, haftete aber auch persönlich mit seinem Vermögen – völlig unüblich bei dieser Größenordnung der Firma. „Die Insolvenz für mein Unternehmen war für mich unvorstellbar“, sagte er vor Gericht.
Arndt Geiwitz hat daran keinen Zweifel. „Ich habe vor Gericht ganz klar gesagt: Herr Schlecker hat niemals mit der Insolvenz gerechnet“, sagt der Insolvenzverwalter der Drogeriekette, der bis heute der Herr über die Reste des Schlecker-Imperiums ist. Und bereichert habe sich die Familie auch nicht. Selbst Ende 2011 hätten die Mitarbeiter noch Weihnachtsgeld bekommen. Es habe, eigentlich ungewöhnlich in solchen Fällen, bei Eintritt der Insolvenz auch keine Lohnrückstände gegeben.
„Eine Übersprungshandlung“
Dass die Kinder noch kurz vor dem Ende Millionen aus der Firma zogen? „Eine Übersprungshandlung“, sagt Geiwitz. Die Familie zahlte das Geld später an den Verwalter zurück. Trotzdem war es der Hauptgrund dafür, dass Lars und Meike Schlecker deutlich härter bestraft wurden als ihr Vater. Eine Strafe, die Geiwitz für überzogen hält. „Die Bewährungsstrafe kann man vertreten“, findet er. Mit der Haft für die Kinder hingegen habe er nie gerechnet – auch wenn er einige Transaktionen immer als kritisch angesehen habe.
Der Insolvenzverwalter hatte die Abwärtsspirale im Prozess detailliert nachgezeichnet. Wie Schlecker versuchte, mit immer mehr Läden noch größer zu werden, mehr Einkaufsvorteile zu generieren, um noch billiger werden zu können. Wie die Kunden trotzdem wegblieben, weil die Läden klein, alt und unattraktiv waren. Und wie ein neues Ladenkonzept – ohnehin viel zu spät – scheiterte, weil Geld fehlte.
Schleckers Lebensleistung nötigt sowohl Geiwitz als auch Christel Hoffmann durchaus Respekt ab. „Ein tüchtiger Kaufmann war Herr Schlecker ohne Zweifel. Er hat eine Marktlücke entdeckt und mit seiner Frau ein Imperium aufgebaut“, meint die frühere Betriebsratschefin. Aber der Umgang seiner Führungskräfte mit den Mitarbeitern, den er so zugelassen habe, habe sehr zu wünschen übrig gelassen, kritisiert sie. Das sei erst spät besser geworden.
Ruhig, unarrogant, aber beratungsresistent
„Sein größtes Problem war die Beratungsresistenz“, sagt Geiwitz. Schlecker sei ein ruhiger, „völlig unarroganter Mensch“. Aber er habe immer geglaubt, alles allein am besten zu wissen, habe immer nur auf das eigene Unternehmen geschaut, nicht darauf, was Konkurrenten wie Müller, dm oder Rossmann anders und besser gemacht hätten. Per Fax hätten die Filialen ihre Waren bestellt, das Controlling sei hanebüchen gewesen. Alles um zu sparen – mit letztlich komplett gegenteiligem Effekt. „Das war fahrlässig“, sagt Geiwitz. Diesen Vorwurf müsse man Schlecker machen.
In der ehemaligen Zentrale in Ehingen arbeiten noch immer sieben Schlecker-Leute und unterstützen die Insolvenzverwaltung etwa bei der Immobilienverwaltung oder in Sachen Buchhaltung und Personal. Das Verfahren ist so gut wie durch, abgesehen von den Kartellklagen gegen Lieferanten, mit denen Geiwitz um einen dreistelligen Millionenbetrag streitet. Er kämpfe damit für die Gläubiger, allen voran die ehemaligen Beschäftigten und die Bundesagentur für Arbeit, betont der Verwalter – zur Not bis in die letzte Instanz.
Hoffmann sagt, die meisten ihrer damaligen Kolleginnen hätten wohl zumindest emotional inzwischen einen Schlussstrich ziehen können. Darüber hinaus aber nicht. Ein großer Teil hoffe, über Geiwitz‘ Klagen noch etwas aus der Insolvenz zu bekommen. „Ich weiß, dass es viele Kolleginnen gibt, die weit unter dem Gehalt arbeiten müssen, das sie bei Schlecker bekommen haben“, sagt sie.
Dass sie noch einmal etwas von Anton Schlecker hören, eine Entschuldigung zum Beispiel, würde sie allen Kolleginnen und Kollegen wünschen, sagt sie. „Ich bezweifle das aber stark.“
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