Es ist Donnerstagmorgen. Dominik Wichmann, Chefredakteur des „Stern“, steht in der Kita, verabschiedet den Nachwuchs. Sein Telefon klingelt, ein Medienjournalist ist dran – ob er von seiner bevorstehenden Ablösung wisse, fragt er. Es erwischt Wichmann eiskalt. Nach nur 15 Monaten ist der zuvor als Hoffnungsträger gehandelte Chefredakteur des „Stern“ Magazingeschichte. Wichmann ist kein Einzelfall. Wenn es mit der Medienmarke nicht läuft, werden Verlagsmanager immer nervöser und dünnhäutiger. Ein schneller Wechsel, das nächste neue Konzept – alles scheint besser, als abzuwarten und der Entwicklung Zeit zu geben. Doch die „Higher and Fire“- Mentalität und die Richtungswechsel tun Marken selten gut. Welche Folgen haben Imageprobleme für den Anzeigenerfolg? Fest steht: Alle entlassenen Chefredakteure wie Dominik Wichmann („Stern“), Jörg Quoos („Focus“) und „Spiegel“-Chefredakteur Wolfgang Büchner, bekamen keine Zeit, neue Pläne umzusetzen. Bei der Brigitte (Gruner + Jahr) werden alle reinen Textredakteure betriebsbedingt gekündigt. Die Frage: Wie viel Schaden hinterlässt eine solche Praxis? Und verlieren Verlage an Glaubwürdigkeit und somit auch wichtige Werbekunden?
Doch was passiert, wenn eine Marke an Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit verliert?
Ist es bereits dann so weit, wenn die Blattmacher an der Spitze in schneller Folge ausgetauscht werden? Klaus Brandmeyer, Geschäftsführer der Brandmeyer Markenberatung GmbH & Co. KG, wiegelt ab. In seiner Erinnerung muss er in einem solchen Fall weit zurückgreifen: „Die Affäre der Hitler-Tagebücher ist ein Beispiel, wie eine Marke gegenüber den Lesern an Glaubwürdigkeit und an Wirksamkeit gegenüber den Werbetreibenden verlieren kann.“ Trotzdem ist die Bedeutung der großen Marken weiterhin unantastbar. „Unternehmen denken bei Werbeetats immer erst einmal an Anzeigen im „Stern“ oder „Spiegel“, sie sind also durchaus auch beeinflusst durch das Image, in dem sie werben.“ Das Chaos in den Verlagen schadet laut Brandmeyer den Marken im Moment nicht – die Depotwirkung der aufgeladenen Medienmarken ist immer noch vorhanden. Unternehmen schauen allerdings kritisch auf die Entwicklungen und fragen sich: Investiere ich weiterhin in Medienmarken, die an Auflage und Reichweite verlieren?
Andrea Malgara, Geschäftsführer und Partner der Mediaplus Gruppe, sieht auch kein Imageproblem von Marken – zumindest nicht gegenüber den Konsumenten: „Den Leser da draußen interessiert es nicht wirklich, wer Chefredakteur ist und wer nicht. Doch Medienschaffende und Werbekunden achten schon sehr darauf.“ Malgara weiter: „Im Großen und Ganzen werden wir weiterhin in Print investieren, solange die Kernzielgruppe vorhanden bleibt und das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt.“ Und hier liegt für manche Werbekunden das Problem: Obwohl die Auflage rapide sinkt, erhöhen Verlage die Anzeigenpreise. Die Not scheint groß, da will man zumindest mit den wenigen Anzeigen noch Geld verdienen. Viele Unternehmen wollen aber gerade wegen sinkender Auflage nicht den gleichen Preis zahlen. Daher locken Verlage mit Rabatten, bieten für den gleichen Preis mehr Anzeigenfläche an. „Entscheidend dürfte sein, ob die Zeitschrift die Zielgruppe erreicht oder nicht. Wird das Image eines Magazins geschwächt, führt dies unweigerlich zu einem Auflagenrückgang in der für Anzeigenkunden interessanten Zielgruppe“, so Karsten Kilian, Markenstratege und Leiter des Masterstudiengangs Marken- und Medienmanagement an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Die Verlage spielen also durch ihre Hauruckentscheidungen mit dem Feuer.
Werbende Unternehmen blicken verhalten auf 2015
Die große Herausforderung: die anhaltende Fragmentierung der Medienlandschaft. Die aktuelle Umfrage der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) ermittelte, dass nur jedes dritte Unternehmen 2015 seine Mediaausgaben steigern will – im Vorjahr war es noch die Hälfte der Unternehmen. 39 Prozent werden die Höhe ihrer Budgets beibehalten, 30 Prozent ihre Etats verringern. Für 67 Prozent der Befragten führt die wachsende Vielfalt der Kanäle dazu, dass sich die Organisation in den Unternehmen verändern muss und somit der traditionelle Anzeigenmarkt im Printbereich weiter leiden wird. „Damit sind die Prognosen nicht ganz so optimistisch wie noch vor einem Jahr“, sagt Tina Beuchler, Vorsitzende der OWM. „Sie machen aber deutlich, dass die werbungtreibenden Unternehmen den Pessimismus anderer Umfrageergebnisse nicht teilen.“ Laut OWM erwarten die meisten Experten einen rasanten Anstieg von Bewegtbildwerbung im Netz sowie eine weitere Werbesteigerung auf Plattformen wie Youtube oder Facebook.
Tatsächlich schrumpften die Anzeigenseiten bei den drei großen Magazinen in den vergangenen Jahren rapide. „Spiegel“ und „Stern“ fielen von 5 138 und 4 536 Seiten im Jahr 2001, auf 1 725 („Spiegel“) und 1 995 („Stern“) Anzeigenseiten im Gesamtjahr 2013 zurück. Doch für den Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) sieht die Welt der Anzeigen im Printbereich immer noch rosig aus. Laut GroupM wurden im Jahr 2014 in Westeuropa mehr als 107,9 Milliarden US-Dollar in Werbung investiert. Tatsächlich gehen wir hier aber vom gesamten Anzeigenmarkt aus – der immer noch von TV angeführt wird. Von Januar bis September 2014 lag der Marktanteil von Onlinewerbung laut Nielsen Media Research bei elf Prozent – Tendenz steigend. Print gehört allerdings immer noch zu den Vorreitern im Anzeigensegment. Für den VDZ steht also positives Denken an der Tagesordnung – um eine angeknackste Branche auf Kurs zu halten.
Werbeplatzierung im Internet bekommt hohen Stellenwert
Klaus Brandmeyer weiß, dass die Position der Werbeplatzierung im Internet einen immer größeren Stellenwert erreicht: „Zeitschriften und Magazine haben ihre Werbetreibenden dazu verleitet, imagebildende Anzeigen zu schalten. Doch die heutigen Konsumenten wollen Contentanzeigen, sie wollen erzählbare Inhalte. Strategisches Storytelling setzt aber voraus, dass Agenturen und Unternehmen sich mit den Inhalten auseinandersetzen und Zeit in eine Kampagne investieren.“ Online muss also Geld bringen und Content generieren. Doch wie? Unternehmen wie Procter & Gamble verlassen sich schon lange nicht mehr nur auf TV-Reklame und Printanzeigen. Für seine Marken wie Wella und Gillette stellt der Hersteller Online in den Mittelpunkt und gibt dafür mehr als 20 Prozent seines 427 Millionen Euro hohen Mediabudgets aus. Die Verbindung von TV, Print und Online spricht so unterschiedliche Zielgruppen mit einer übergreifenden Storyline an. Auch der Axel-Springer-Verlag, der im Grunde immer weniger Verlag und immer mehr Digitalkonzern ist, hat diesen Weg konsequent eingeschlagen. Unter den Werbetreibenden mit den höchsten Werbeausgaben in Deutschland steht Axel Springer auf Platz vier, hinter Procter & Gamble auf Platz eins, L’Oreal auf Platz zwei und Ferrero auf drei. Springer gab bisher rund 275 Millionen Euro aus. Andere Verlage wie Gruner + Jahr setzen da lieber einfach klassisch den Rotstift an.
Zudem ist natürlich bei einem Auswechseln des Führungspersonals und einer damit einhergehenden Veränderung der Blattphilosophie, auch eine Veränderung der Zielgruppe möglich. Anzeigenkunden haben dann plötzlich ein Problem, wenn der „Stern“ ein anderes Publikum anspricht – und ihre Werbung nicht mehr den richtigen Ansprechpartner findet. Wenn es nach Kilian geht, sollten Zeitschriften und Tageszeitungen aus ihrer Komfortzone heraustreten. Und was geschieht mit „Spiegel“, „Stern“, „Focus“ und allen anderen Markenmagazinen? Die werden, sofern Mitarbeiter und Verlage sich einig sind, noch eine ganze Weile überleben. Allerdings sollte auch in Sachen Werbestrategie, Anzeigenmarkt, Werbeplatzierung und -einnahmen eine Neupositionierung stattfinden. Wichtig in all dem Chaos: Anzeigenkunden setzen auf Print und investieren weiter. Das Produkt Magazin wird nach wie vor von vielen geschätzt, nur die Zahlungsbereitschaft hat abgenommen – beim Leser sowie beim Anzeigenkunden.