Image vs. insight: die Bundeswehr auf TikTok

Die Bundeswehr rekrutiert seit genau drei Monaten junge Menschen über TikTok. Das hat einen merklichen Beigeschmack. Eine Analyse von Laura Schenk. 
Bundeswehr TikTok
Krieg spielen - das macht die Bundeswehr auf TikTok, um junge Menschen anzuwerben. (© Unsplash)

Seit Juni dieses Jahres fährt die Bundeswehr eine neue Strategie im Personalmarketing. Pünktlich zum Tag der Bundeswehr am 8. Juni wurden erstmals Videos auf TikTok hochgeladen, begleitet von längeren YouTube-Videos.  

Diese Clips dokumentieren einen „Roadtrip“ durchs Land zu verschiedenen Standorten der Bundeswehr. Vier Influencer*innen tauchen in die Welt der Bundeswehr ein, probieren sich in verschiedenen Bereichen aus und absolvieren Herausforderungen – mal klettern sie, mal tauchen sie im U-Boot ab, mal simulieren sie einen Ernstfall. Eingeteilt in Team Rot und Team Blau geht es darum, wer die Challenges am Ende gewinnt. Klingt nach Abenteuer. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zur Realität: Alles bleibt spielerisch, alles bleibt unterhaltsam. 

Aus der Küche in den Bundeswehr-Van 

Selma (@notselma), Can (@canderkoch), Tizian (@strizi09) und Tina (@tinaneumann) sind Influencer*innen aus der Unterhaltungsbranche, die das Bild der Bundeswehr in den sozialen Medien mitgestalten sollen. Ihre Inhalte drehen sich normalerweise ums Kochen, Comedy oder ihr alltägliches Leben.  

Auf Nachfragen aus der Community, wie die Influencer*innen denn ausgewählt wurden und warum man auf TikTok veröffentliche, schreibt Bundeswehr Exclusive, ein offizieller YouTube-Channel der Truppe: „Die Hauptserie findet momentan auf TikTok statt, weil dort auch eine geeignete Zielgruppe vertreten ist. Genauso passen die ausgesuchten Creator*innen gut ins Konzept: Sie bringen frischen Wind in das Ganze und erkunden die Bundeswehr für unsere Community.“ Aha. Offenbar sollen die Creator*innen mit ihrer lockeren Art Interesse und Neugier für die Bundeswehr wecken. 

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Laut Bundeswehr ist auf TikTok „die geeignete Zielgruppe“ für ihre Arbeitgeber-Kampagne vertreten. (© Screenshot YouTube/BundeswehrExclusive)

Bundeswehr auf TikTok mit Spotify-Playlist und Gewinnspielen 

Was auf den ersten Blick wie eine abenteuerliche Reise durch Deutschland wirken soll, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als umfassendes Marketingpaket. Neben den Influencer*innen, die die verschiedenen Standorte der Bundeswehr besuchen und sich den auferlegten Challenges stellen, können die Zuschauer*innen nicht nur Fragen stellen und am Diskurs teilnehmen, sondern auch Serien-Merch gewinnen. Begleitet wird die Serie außerdem durch Hinweise auf eine eigens erstellte Spotify-Playlist und Gewinnspiele.  

Diese Elemente lassen die Kampagne mitunter recht befremdlich wirken. Die Ernsthaftigkeit des Themas soll durch eine Überdosis Unterhaltung und Interaktivität kaschiert werden. Man spielt auf dem Kanal Krieg. Der Waffeneinsatz wird zum Abenteuer, das Schlachtfeld zum Spielplatz. Natürlich in slow motion oder begleitet von der passenden Musik. 

Content in Echtzeit und mit Topplatzierung 

Neben Social Media wird die Kampagne auf verschiedensten Kanälen unterstützt – von Außenwerbung (OOH und DOH) bis hin zu Audiospots auf Spotify und einer Snapchat-Lens. Hinter der Kampagne steht die Leadagentur Castenow in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Verteidigung, der Produktionsagentur Spin TV und der Mediaagentur Crossmedia. Das Ziel: Die erste Arbeitgeberwerbung der Bundeswehr auf TikTok, die die Grenzen des klassischen Employer Branding sprengen und neue Maßstäbe setzen soll. Das bedeutet, dass Inhalte nahezu in Echtzeit produziert werden, um eine vermeintliche Authentizität zu gewährleisten.  

Nach Angaben der beteiligten Agenturen, setze man bewusst auf Video- und Top-Feed-Platzierungen auf TikTok, Story Selection Ads sowie Voting- und Countdown-Sticker, um maximale Sichtbarkeit zu erreichen. Selbst kontextuelles Targeting auf Samsung Smart TVs wird nicht ausgelassen. All das zeigt, wie entschlossen die Bundeswehr ist, die digitale Generation für sich zu gewinnen. 

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Gemischte Reaktionen auf Bundeswehr TikTok-Kampagne 

Die Reaktionen auf die TikTok-Kampagne der Bundeswehr sind gemischt. Während nicht wenige Nutzer*innen in den Kommentaren ungeduldig verkünden, dass sie kaum erwarten können, sich zu bewerben, gibt es auch kritische Stimmen. Die Tonalität der Videos wird infrage gestellt: User, die angeben aktuelle oder ehemalige Soldat*innen zu sein, bemängeln, dass die Inhalte zu unrealistisch seien. Der Ton sei zu freundlich, die Bedingungen nicht wie im typischen Soldatenleben. Positivere Zuschauerstimmen betonen die Unterhaltungsqualität der Clips.  

Einige fordern die Rückkehr zu früheren Formaten wie der YouTube-Serie „Die Rekruten“, die sie als realistischer empfinden. Dort begleitete man Rekrut*innen für einige Zeit. Die Regeln, der Umgangston und der Alltag in der Bundeswehr wurden – vermutlich – authentischer gezeigt, allerdings immer noch angepasst mit Musik und Schnitten. 

Hintergrund: Personalmangel 

Die Entscheidung der Bundeswehr, TikTok für ihre Personalwerbung zu nutzen, basiert anscheinend auf einem ernsthaften Personalproblem. Die internationale Lage, insbesondere der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, macht die Situation noch dringlicher. Medienberichten zufolge wäre die Bundeswehr im Verteidigungsfall nicht ausreichend aufgestellt.  

Im vergangenen Jahr waren 17,6 Prozent der Stellen unbesetzt. Außerdem hat 2023 mehr als jede*r Fünfte der angehenden Soldat*innen innerhalb der ersten sechs Monate den Dienst quittiert. Auch Influencer Can, der Teil der TikTok-Kampagne war, stieg vorzeitig aus. Das ist eine Entscheidung, die in einem Ernstfall keine Option wäre. Darauf wird in der Kampagne natürlich nicht hingewiesen. 

Format lässt Ernsthaftigkeit vermissen 

Tatsächlich thematisiert die TikTok-Serie die Ernsthaftigkeit des Soldatenberufs nur am Rande. Kritische Aspekte, wie die Möglichkeit, im Einsatz zu sterben, werden zu selten angeschnitten. Die psychischen Belastungen des Soldatenlebens und die Herausforderungen im Umgang mit Waffen kommen kaum zur Sprache. Auch die Diskussion über die Rolle der Bundeswehr in Krisensituationen oder die ethischen Dilemmata, die mit einem Militärdienst verbunden sein können, kommen zu kurz. 

Wo sind da die tatsächlichen Zerstörungen? Wo sind die physischen und psychischen Narben derer, die im Kriegsgebiet waren? Wo sind die Gespräche mit Angehörigen, mit Eltern, Geschwistern, Partner*innen von getöteten Soldat*innen?  

Die Influencer*innen verbinden geschickt ihren Charme mit der Werbung für die Bundeswehr. Gesprächspartner*innen sind bodenständig und sympathisch und dahingehend durchaus gut ausgewählt. Ein harmonisches Image steht im Vordergrund, das durch verwackelte Eigenaufnahmen authentisch wirken will. Angesichts der aktuellen geopolitischen Lage erzeugt die Kampagne aber ein mulmiges Gefühl.  

Es ist, als wolle die Bundeswehr zeigen, dass der Dienst bei ihr nichts weiter als ein spaßiges Abenteuer sei.  Das ist fehl am Platze, verharmlosend und potenziell gefährlich. Den Dienst mit der Waffe als Abenteuer zu inszenieren, könnte junge Menschen mit falschen Erwartungen anziehen. Solche könnten enttäuscht oder überfordert sein, wenn sie herausfinden, dass das Soldatenleben offenbar gar nicht so viel mit einem Roadtrip zu tun hat. Dann hätte man noch mehr Anwärter*innen, die den Dienst frühzeitig abbrechen, weil sie merken, dass es nicht das ist, was sie sich vorgestellt haben. 

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Dialog mit potentiellen Bewerber*innen 

Seit dem Ende des „Roadtrips“ sind weitere Formate hinzugekommen: Auf Messen wie der Gamescom tritt die Bundeswehr in direkten Wettbewerb mit der Polizei Berlin, präsentiert sich in mitreißenden Imagefilmen, die mit actionreicher Musik unterlegt sind und auf unterhaltsame Weise Einblicke in die verschiedenen Bereiche der Bundeswehr geben. Man zeigt auch interessante Aspekte der Infrastruktur und beantwortet häufig gestellte Fragen zum Berufseinstieg und -leben. 

Auf TikTok selbst zeigt sich die Bundeswehr generell bemüht, den Dialog mit der Community zu pflegen. Kommentare werden aufgegriffen – wird Kritik laut auch mal trotzig. In anderen Fällen antwortet das Karriereteam sachlich. Oft wird empfohlen, Beratungstermine auszumachen. Auf jeden Fall nimmt die Bundeswehr „Social Listening“ ernst. Das Team fragt nach und antwortet, manchmal mehrfach. 


Die Bundeswehr „informiert“, wie sie es sagt, angehende Soldat*innen jetzt auch auf ihrem TikTok-Kanal. Zumindest über die positiven Aspekte des Jobs. (© Screenshots TikTok/Bundeswehr Karriere)


Militärvideos zwischen Schminktipps und Comedy 

Und interessant sind viele der Videos ohne Frage. Ob nun, weil die Vielfalt in Uniform dargestellt wird, weil man auf TikTok wirbt, obwohl die App aus Datenschutzgründen für aktive Soldat*innen verboten ist; oder aber, um zu beobachten, wie die Bundeswehr als staatliche und militärische Institution modernes Personalmarketing betreibt. 

Die scheinbar harmlose Darstellung von militärischen Abläufen und Herausforderungen in einem Kontext, der sonst eher von Tanzvideos und Lifestyle-Tipps geprägt ist, hat jedoch einen merklichen Beigeschmack. Die digitale Generation soll angesprochen werden. Mit kurzweiligen, witzigen und coolen Videos. Man will authentisch wirken – aber, ohne völlig ehrlich zu sein. 

Laura Schenk (ls, Jahrgang 2002) ist seit August 2023 Werkstudentin bei der absatzwirtschaft und hat immer Lust, sich neuen Themenbereichen zu widmen. Eine besondere Vorliebe hat sie für kubistische Malerei und das Schreiben in all seinen Formen. Ihrer Heimatstadt Leipzig hat sie 2023 sogar einen Kurzgeschichtenband gewidmet. Sie studiert dort Kommunikations- und Medienwissenschaft und engagiert sich crossmedial bei Lokalzeitungen und beim Radio.