Von Christian Fahrenbach
Wer im Großraumbüro von Sparks & Honey mitten in Manhattan Platz nimmt, erlebt einfache Regeln: Alle Besucher dürfen zu den täglichen Besprechungen kommen – aber alle, die bei den „Culture Briefings“ Platz nehmen, müssen auch mitreden. Zuvor werden die Gäste freundlich begrüßt. Agentur-Mitarbeiter führen sie vorbei an Wänden mit handgroßen Waben, auf denen Icons und Begriffe stehen wie „Edible Tech“, „Drone Economy“ oder „Micro Tribes“ und erklären die groß aufgehängten 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. In der Mitte des Raumes stehen mehrere Schichten eines Halbkreises um eine kleine Tischrunde im Inneren. Wenige Minuten nach zwölf begrüßt ein Moderator die per Stream online zugeschalteten Zuschauer. Dann beginnt das Briefing dieser selbstbetitelten „Kulturberatung“.
Es folgt eine wilde Mischung aus Gesprächsfetzen über neue Insta-Memes, Studienergebnisse und das jüngste TV-Event des Vorabends. Das Ganze erinnert eher an eine viel zu schnelle TV-Talkrunde als an eine Agentur, nur dass dort eben nicht sofort das Publikum mitreden muss: „Wenn Autohersteller ein Abo einführen, was könnten sie von Fehlern von euch Journalisten lernen?“ wird gefragt, oder: „Genetische Daten von 23&me als Grundlage für einen neuen Lippenstift-Farbton – würde das bei deinem Freundeskreis mit 60-jährigen Frauen im Mittleren Westen funktionieren?“
Memes, Impulse, Trends, Produkte
Der Austausch fliegt schnell hin und her und die Runde lacht viel, während die Teilnehmenden in maximal einer Stunde mehrere Dutzend „Impulse“ genannte Themen der vorangegangenen 24 Stunden durchsortieren und an größere Trends anflanschen. Inspiration dafür gibt es überall, Ernstes mischt sich mit Albernem, abgelegene Tiktok-Accounts sind genauso Thema wie Werbeclips vom Superbowl, und eine neue K-Pop-Band wird genauso verortet wie Donald Trumps jüngste Kommentare in einer Fox-News-Talkshow. Im Hintergrund arbeitet eine „Q“ genannte Datenbank mit inzwischen mehr als 50 Millionen Signalen, sagt das Unternehmen. Aus ihren Daten, gemischt mit viel menschlicher Expertise in einem diversen Team, entstehen Whitepaper, Marktanalysen und Strategieberatung.
Neulinge kommen trotz des hohen Unterhaltungsfaktors kaum hinterher. Ein erster Impuls „passt zu unseren Beauty-Accounts, bitte weiterleiten“, die nächste Anmerkung dürfte die „Banking-Business Mitglieder im Advisory Board“ interessieren, das dritte Thema sei im größeren Zusammenhang des „Kulturelements Wellness Design“ zu sehen, eine Aufschrift der Waben, die an den Wänden hängen. Hierarchien sind von außen kaum erkennbar, schnelle Gags sitzen und die Konzentration bleibt meilenweit über üblichem „Jour Fixe“-Durchschnitt.
Ein CEO mit Erfahrung im Friedenscorps in Kasachstan
Geschäftsführer Terry Young erklärt, dass der riesige Aufwand und die Offenheit für neue Einflüsse einer einfachen Leitfrage folgen: „Wie identifizieren wir ein Signal, wenn es zum ersten Mal auftritt, und wie verknüpfen wir es dann mit einem Unternehmen?“ Young überrascht auf den ersten Blick als Chef einer so luftigen Trendagentur: Pullover statt Fifth-Avenue-Werber-Anzug, zugewandtes Interesse im Gespräch statt Schwadronieren im Dauer-Pitch. Auch seine Biografie ist ungewöhnlich: Berater bei McKinsey in China, Aufbau eines Start-ups, mehr als zwei Jahre Freiwilligenarbeit mit dem US-Friedenscorps im Westen Kasachstans.
Eine Kommunikations- und Strategieberatung rund um das Thema „Kultur“ aufzubauen war zur Gründung 2012 eine ungewöhnliche Idee, erinnert der CEO sich. „Heute aber sehen wir ganze Organisationen, die Teams für „Cultural Strategy“ aufbauen“, sagt Young, dessen Agentur auf mehr als 85 Vollzeitkräfte angewachsen ist.
Lynne Greene, die zu Beginn der Agenturgeschichte mit Estée Lauder ein wichtiger Pilot-Kunde für das Unternehmen war, glaubt, dass die meisten Leute entweder sofort verstehen, welchen Mehrwert die Agentur bringen kann – oder nie. „Bevor Sparks & Honey ihr Modell hatten, gab es umständliche Marktforschung, die dann der Führungsetage überreicht wurde“, sagt sie. „Heute erleben wir in den Briefings und Reports, wenn irgendwo ein Funke entsteht, wir fragen, für wen der wichtig ist – und vor allem: Wie bringen wir das dann ins Geschehen im Unternehmen? Einzig auf einen Impuls hinzuweisen, wäre furchtbar oberflächlich.”
Kern des Erfolgs ist Trendforschung mit Substanz
Kern der Agenturarbeit ist es, Impulse zu bleibenden Trends zusammenzuführen und zu versuchen, deren längerfristige Bedeutung zu bewerten. „Wirklich brillante Innovation hat doch meistens damit zu tun, bestehende Punkte miteinander zu verbinden“, erklärt Greene den Vorteil des ständigen Aggregierens und Kombinierens. Impulse, Trends und deren mögliche Entwicklung sind auch die Elemente der hauseigenen Q-Plattform, einem Teil der Agenturarbeit, der anders als beispielsweise detaillierte Whitepaper zur Zukunft von Philanthropie oder zu Konsumentenforschung im Jahr 2030 nicht offen zugänglich ist.
Aber auch solche Reports allein dürften genug Anregungen liefern, um Konzern-Strategieabteilungen monatelang beschäftigt zu halten. So lautet ein Beispiel aus dem „Business Bets 2022“-Report: „Unternehmen werden ein wachsendes Interesse daran haben, das Wohlergehen ihrer Mitarbeitenden sicherzustellen – pandemiebedingte Stress-Symptome erfordern langfristige Wellness-Lösungen“. Wer so etwas wirklich intern und im eigenen Angebot berücksichtigen will, hat zu tun.
Im Unternehmens-Manifest: der Geist einer Kommune
Über diese Substanz hinaus gelingt es der Agentur von außen betrachtet sehr gut, zwei Kernwerte tatsächlich zu leben: Offenheit und Inklusion. Schon das Unternehmens-Manifest liest sich dazu stellenweise wie in einer Kommune: „Wir glauben an eine Wirtschaft, die für etwas Größeres als nur Profite steht. Die Zukunft verlangt Kollaboration, um kleine und große Herausforderungen zu lösen. (…) Wir sind mit unseren Schicksalen und unser aller Zukunft unauflöslich miteinander verbunden und das Zeitalter von Geheimnissen, übervorsichtiger Zurückhaltung und verschlossenen Türen liegt in der Vergangenheit.“ Tatsächlich belegen die Briefings diesen Anspruch. Dass dort Gäste zugelassen sind, umfasst wirklich alle Gäste, denn sogar die Mitarbeitenden aus der Konkurrenz-Agentur einige Stockwerke über den Räumen von Sparks & Honey werden aufrichtig freundlich begrüßt und sind zum Austausch eingeladen.
Die Mischung aus Kultur-Youtube-Show, Mitarbeitertraining und Eigenwerbung zur Agenturarbeit zieht: Rund 5.000 Gäste monatlich kamen vor Pandemie-Zeiten – inzwischen sitzen zwar weniger Live-Gäste im Studio, stattdessen wurden die Online-Aktivitäten noch weiter verstärkt. Drei Mal wöchentlich postet der Stream live bei LinkedIn, alle Ausgaben stehen bei Spotify als Podcast bereit – passend zum „Business Bet 2022“ (ein weiterer dieser selbstgeschöpften Begriffe aus einem Report des Unternehmens), dass Audio eine „Brückentechnologie zum Metaverse“ werde.
Ein Azubi-Programm für Menschen mit drei Jahrzehnten Berufserfahrung
Hinzu kommt, dass Diversity nicht bei Kategorien wie Hautfarbe, Herkunft und sexueller Orientierung aufhört, auch wenn sich laut interner Umfrage 10 Prozent der Mitarbeitenden Ende 2021 als nicht-binär identifizierten und jede achte Person sich dem LGBTQ+-Spektrum zurechnete. Für sie gibt es auf Wunsch spezielle Krankenversicherungs-Pakete, die eingetragene Lebenspartnerschaften Verheirateten gleichstellen und auch Kosten für Geschlechtsangleichungen übernehmen.
Stattdessen setzt das Unternehmen auch darauf, den branchenüblichen Jugendfetisch aufzulösen: Für das „Cultural Apprentice Program“ werden ausschließlich „Lehrlinge“ gesucht, die mindestens 30 Jahre Berufserfahrung mitbringen, um ihnen neue Fähigkeiten beizubringen. Das Ziel hier: „Rewire instead of retire“ – neu verdrahten statt in den Ruhestand schicken.
Dass viele der so an die Agentur gebundenen Veteranen exzellente Netzwerke von früheren Stationen mitbringen, hilft dann auch wieder der Beratung. Auch ein Advisory Board-Netzwerk funktioniert anders als bei vielen anderen Sparringspartner-Zusammenschlüssen. Die Agentur erwartet nicht nur von den 65 Mitgliedern Ratschläge zu Sparks & Honey, sondern liefert ihnen auch immer wieder Impulse aus der täglichen Kultur-Arbeit, damit diese im eigenen Umfeld glänzen können.
Nach all dem Content bleibt ein Gefühl: der Wunsch nach mehr
Dass all diese Wetten auf neue Werte und Prozesse mit verlässlich zweistelligen Wachstumsraten aufgehen können, liegt einerseits zwar auch an guten Verbindungen zum Start vor zehn Jahren – Young war gut vernetzt, namhafte Accounts kamen schnell an Bord und inzwischen gehört die Agentur zum Kommunikationsriesen Omnicom.
Andererseits bleibt von all den Reports und Briefings mit ihren tiefergehenden Querverweisen und Takeaways weit abseits vom üblichen oberflächlichen Zukunftsgeraune vor allem ein Eindruck: Man will am Ende noch mehr wissen.