Eine Kolumne von Frank Puscher
Wenn es eines Beweises dafür bedarf, dass Print lebt, dann ist das der Ikea-Katalog. Er gehört in das haushaltliche Bücherregal wie früher nur der Brockhaus, der Duden, das Telefonbuch und – je nach Neigung – die Bibel oder der Koran. „Erst mal sehen, was Ikea hat“, wurde zum geflügelten Diskussionsansatz einer ganzen Generation (geboren irgendwann zwischen 1960 und 1985), sobald ein Mitglied der Tischrunde auf die Idee kam, man könnte doch vielleicht etwas an der Einrichtung ändern. Selbst heute noch treibt es Studentenpärchen irgendwann in die Vorstädte, wo sie sich – gestärkt durch ein reichhaltiges Kötbullar-Frühstück – in den verwinkelten Gängen auf die Suche nach der eigenen Zukunft machen.
Und was heißt hier „Vorstädte“. Ikea erfindet sich gerade neu und erobert in Hamburg die City. Nicht die richtige, aber zumindest die von Altona. Dort entsteht der erste Innenstadt-Ikea der Welt. Der erste? Hhmm. Als gebürtiger Stuttgarter weiß ich es besser. In der Kronenstrasse, direkt neben dem Hauptbahnhof gab es damals einen. Man konnte dort die ganzen Accessoires, Teelichter und ein paar Pflanzen direkt mitnehmen. Die Möbel durfte man beim freundlichen Personal bestellen und in der Nachbarstadt Esslingen abholen.
Hat sich nicht durchgesetzt, das hybride Konzept. Der Laden in Stuttgart wurde geschlossen, man zog aufs platte Land nach Ludwigsburg und Sindelfingen. Und in der feierlichen Präsentation des „ersten“ City-Center von Ikea in Altona wurde der schwäbische Ausrutscher schamhaft verschwiegen. Ikea erfindet sich eben immer wieder neu.
Das gilt eben auch für das 220-millionenfach gedruckte Machwerk voll von Nyvolls, Gurlis und Vitviken. 2013 war man mit der – originell betitelten – Aktion „Let´s Netz“ gestartet und verband Katalog und App. Augmented Reality (AR) heißt die Technik, die es dem User erlaubt, im Smartphone den im Katalog abgebildeten Schrank tatsächlich zu öffnen. Und darin findet er Schrankbretter. Man hält es kaum für möglich. Auch die Schubladen im Kastenbett Brimnes lassen sich tatsächlich ausziehen. Ein Wunderwerk der Technik.
Auf 44 Seiten prangt das kleine Smartphone-Symbol rechts oben, das dem User Interaktivität suggerieren soll. Die Interaktivität besteht darin, dass der Nutzer zunächst die Ikea-Katalog-App herunter zu laden hat. Diese hat im Download 6,30 Megabyte. Das funktioniert. Will man dann aber Produkte scannen, lädt die App die eigentlichen Katalog-Daten nach. Sage und schreibe 58 Megabyte. Und wofür? Das weiß eben keiner, weil der Call-to-action nur heißt „Scannen und mehr entdecken“. Die Erklärungsseite bleibt auch ziemlich vage: „Über den ganzen Katalog verteilt warten jede Menge Videos, Animationen, Bildergalerien, Tipps und interaktive Funktionen darauf, von dir entdeckt zu werden“. Hmm. 44 = jede Menge? Was sind „interaktive Funktionen“?
Interessanterweise verzichtet die Erklärungsseite auf einen Hinweis zur Downloadgröße. Sie verzichtet auch auf einen QR-Code, mit dem man den User direkt zur Ikea-App (es gibt nämlich zwei verschiedene) in den jeweiligen Store lotsen könnte.
Das größte Manko aber ist und bleibt der bescheidene Inhalt, der nur selten wirklichen Mehrwert liefert. Dabei könnte es so einfach sein. Letzten Spätsommer, kurz nach Erscheinen des ersten AR-Katalogs forderte der Autor, also ich: „Die Paradedisziplin für AR heißt „Simulation“. Wie sehen denn die neuen Ikea-Möbel in den eigenen vier Wänden aus?“ Und was hören wir aus der Presseabteilung des Möbelriesen: „ Through the magic of augmented reality (they = die Möbel) will be able to be superimposed in a place within their (Users) home.” Yes, we can. Es werden 90 Links drin sein. Leider kleben Sie wieder an Einzelseiten, nicht an Produkten, wie erste Vorabversionen des Katalogs im Netz vermuten lassen. „Dieses Jahr macht Augmented Reality den Unterschied“, sagt Ikea. Hoffentlich macht man bei der Verwendung von Augmented Reality auch einen Unterschied … seitens Ikea. Die Erklärungsseite „9“ verlautbart in der Onlinevorschau kein Wort über die Simulation. Die Call-to-actions in den Seiten sind winzig. Offiziell soll die App am 25. Juli erscheinen.
Natürlich ist es viel zu spät für gute Ratschläge. Aber damit der nächste Artikel an dieser Stelle bereits vorbereitet und mit Futter versorgt wird, hier meine ganz persönliche Wunschliste in Sachen Augmented Reality an Ikea.
1. Sagt den Usern, sie benötigen ein funktionierendes WLan für den Download.
2. Macht einen QR-Code auf die Erklärungsseite, damit ich nicht im AppStore über die Suche gehen muss.
3. Löst genau den gleichen Link aus, wenn ich den Code aus Versehen mit einem klassischen Codescanner wie Barcoo scanne.
4. Schreibt zum jeweiligen Link, was nach dem Scannen passiert.
5. Packt die Codes auch auf die Möbel im Laden, dann haben alles was davon.
6. Dafür braucht es natürlich ein öffentliches und kostenfreies WLan im Store. Gut für junge Zielgruppen, jede Wette.
7. Hinterlegt eine Bestellfunktion bei den Produkten, die mit digitaler Verknüpfung ausgestattet sind.
8. Und denkt euch sinnvolle Mehrwertanwendungen aus, die die Simulation ergänzen. Wie wäre es zum Beispiel mit einem PDF-Generator, der Screenshots vom neuen Möbel in alter AR-Umgebung zieht und daraus einen hübschen Individualkatalog fertigt. (Hmmm, Geschäftsmodell?) Den könnte man dann per eMail (Uihh: Kundenbindung!) zu den Usern schicken.
Entschuldigt für´s Duzen. Eigentlich mache ich das nicht. Aber wir haben schon eine so lange Beziehung, da kann man ja mal eine Ausnahme machen. Scannst Du noch oder baust Du schon auf?
Der neue Ikea-Katalog