Herr Bohlen, Sie sind Musiker, Produzent, PR-Manager und Sekretärin in Personalunion. Bleibt da die Kreativität nicht auf der Strecke?
BOHLEN: Kreativität beschränkt sich ja nicht auf das Musikmachen. Wenn ich mich von der Produktidee über die Produktion bis hin zur Vermarktung um die gesamte Wertschöpfungskette kümmere, dann ist genau das für mich Kreativität. Die meisten Künstler legen ein Ei, wenn es Ihnen gerade in den Sinn kommt, und warten dann darauf, dass ein anderer es für sie ausbrütet. Da bin ich anders. Das dürfte auch daran liegen, dass viele Künstler nicht wirklich etwas gelernt haben. Ich habe immerhin meinen Diplom-Kaufmann, habe elf Semester BWL studiert, und das mit einer ziemlich heftigen Fächerkombination: Revison, Treuhand, Steuern, Organisation und Leitung…
… und heute sagen Sie, das Wichtigste im Job sei Marketing. Dieses Fach haben Sie doch hoffentlich auch belegt?
BOHLEN: Nein, Marketing nicht. Das wollte ich nicht machen, weil es damals unheimlich angesagt war. Ich bin auch hier meinem Prinzip treu geblieben, mich antizyklisch zu verhalten. Außerdem bringt es einem persönlich am meisten, wenn man sich durch etwas durchquält, was einem nicht so leicht fällt. Meiner Laufbahn im Musikbusiness hat das jedenfalls nicht geschadet, ganz im Gegenteil. Und kreativ bin ich ja auch, wenn ich mir ein Geschäftsmodell überlege. Ein Beispiel: Nachdem die Idee für meine Autobiographie geboren war, habe ich mir ein Jahr lang Zeit gelassen, um den Gedanken reifen zu lassen. Ich habe mir in dieser Zeit genau überlegt, wie das Produkt und das Marketing aussehen müssten, damit das Buch ein Erfolg wird. Erst als ich das komplette Paket in meinem Kopf hatte, habe ich angefangen, das Projekt zu verwirklichen.
Und die Rechnung ging auf?
BOHLEN: In diesem Fall, muss ich sagen, ging sie voll auf. Das Buch ist inzwischen eines der erfolgreichsten Bücher der letzten Jahrzehnte. Solche Erfolge sind im Mediengeschäft, in der Musik und auch in den meisten anderen Branchen natürlich die Ausnahme. Die meisten neuen Bücher und Platten sind nach kürzester Zeit wieder aus dem Handel verschwunden. Generell ist es doch so: Von 20 Sachen, die ein Manager anpackt, klappt nur eine.
Bei Dieter Bohlen ist das anders?
BOHLEN: Also ich würde sagen, bei mir ist der Schnitt schon ein bisschen besser. Bei den großen Plattenlabels kommen von 100 Songs fünf in die Charts. Bei mir landeten von 103 Platten 100 in den Charts. Ehrlich, ich kann mich an keine Platte der letzten zwanzig Jahre erinnern, die nicht in die Charts gekommen wäre. Wissen Sie, eine gute CD herausbringen, das können viele. Was dann wirklich über den Erfolg entscheidet, ist das Marketing. Zum Beispiel die neuen Platten von Grönemeyer und Westernhagen: Es war doch klar, dass Grönemeyer in seiner jetzigen Situation absolut unangreifbar ist. Er hat seine Frau verloren und thematisiert das auf seiner neuen CD. Die Platte möchte jeder haben. Und da fällt den Marketingleuten von Westernhagen nichts besseres ein, als kurz nach Grönemeyer die CD auf den Markt zu bringen. Was ist passiert? Kaum war die Westernhagen-Platte da, wurde sie mit dem Erfolg von Grönemeyer verglichen und konnte nur zweiter Sieger werden. Warum, um alles in der Welt, hat Westernhagen nicht ein halbes Jahr gewartet, bis der Grönemeyer-Boom abgeklungen ist. Da sitzen bei Westernhagens Plattenfirma zehn Ober-Marketingstrategen, bekommen Super-Gehälter und machen sich über solche Dinge offenbar keine Gedanken.
Das Buch seit Wochen Platz 1 auf der Bestseller-Liste, 100 Millionen verkaufte Platten, Konzerte mit bis zu 250 000 Zuschauern – mal angenommen Ihre Erfolge sind kein Zufall: Wie funktioniert das System Bohlen?
BOHLEN: Nein, mit Zufall hat das wenig zu tun. Da gibt es immer handfeste Gründe. Zum Beispiel brachte unsere ausgeklügelte Marketingstrategie rund um das Buch bislang 400 Millionen Kontakte. Da wird es dann leichter verständlich, dass wir schon über 450 000 Bücher verkauft haben.
Wie bekommt man 400 Millionen Kontakte mit potenziellen Kunden?
BOHLEN: Hier hat jede Synergie funktioniert, jeder Ansatz, unabhängig vom Medium. Wir hatten zum Beispiel einen Chat, der von T-Online und Bild organisiert wurde. In der ersten Stunde wurden 24 Millionen Klicks und 120 000 Downloads gemessen. Und auch bei den Fernsehauftritten habe ich nichts dem Zufall überlassen. Schon ein Jahr zuvor habe ich Thomas Gottschalk ein Fax nach Malibu geschickt und ihn gefragt, ob ich mit meinem Buch in seine Show kommen kann. Meine Stärke ist: Ich sehe jeden Tag die Menschen, die darüber entscheiden, was in den Medien stattfindet, ich treffe auch Bosse aus der Werbung und der Industrie. Mir macht es riesigen Spaß, diese Leute zusammenzubringen, Dinge anzustoßen und einzufädeln, Synergien zu sehen und sie zu nutzen.
Ist dieses Networking das Marketing der Zukunft?
BOHLEN: Solche vernetzten Ansätze wird es in Zukunft häufiger geben. Zudem könnte das Ganze noch viel besser funktionieren. Doch wissen Sie, was alles so schwer macht? Das Ego der Leute. Das Ego ist der größte Erfolgskiller überhaupt. Wenn die Menschen es schaffen würden, über ihren Schatten zu springen, ihre Eitelkeiten hin und wieder zu vergessen, wäre schon viel gewonnen, dann wären die Synergien noch viel gewaltiger.
Sie haben eigentlich alles erreicht. Dennoch: Was würden Sie sich noch wünschen?
BOHLEN: Das, was ich zur Zeit mache, dieses Marketing, das macht mich sehr glücklich. Es macht mir im Moment mehr Spaß, als die Musik. Wenn ich ganz frei ein Leben wählen könnte, würde ich genau dieses Leben wählen. Was ich als Abschluss meines Schaffens – so in ein paar Jahren vielleicht – noch gerne machen würde: Ich wäre gerne Marketing-Chef in einem großen Unternehmen.
Das ist nicht Ihr Erst.
BOHLEN: Doch! Ich weiß, ich habe gesagt, dass ich so etwas bislang gescheut habe, wegen all der administrativen Dinge, die mit so einem Job verbunden sind. Dennoch würde mich das wirklich reizen, denn ich war noch nie so ein richtiger Angestellter. Vielleicht kann man da ja doch sehr viel bewegen.
Zur Ausgabe 1/2003