Es ist ein Freitag Anfang Oktober. Wir erreichen Uli Klenke, Markenchef der Deutschen Telekom, morgens um halb neun im Auto auf dem Weg zur Arbeit in Bonn. Die Straßen sind leer, denn freitags fährt kaum noch ein Mensch in sein Büro in einem Unternehmen, die meisten von ihnen arbeiten mobil oder im Homeoffice. Dabei befinden wir uns noch vor der vierten Corona-Welle.
Über dem Eingang des Telekom-Gebäudes prangt zu diesem Zeitpunkt noch die riesige Aufschrift „Office Home“. Diese Willkommensbotschaft war im Herbst Teil einer breit angelegten Kampagne, denn die Telekom hätte ihre Leute zumindest zeitweise gern wieder ganz analog zusammen gehabt. Vom Frühstücksangebot über Bands bis zum Achtsamkeitstraining hatte sich der Konzern deswegen viel einfallen lassen. „Das hat gut funktioniert und wurde von vielen sehr gut angenommen“, erzählt Uli Klenke.
Der Markenchef holte in diesen Zeiten sein rund 60 Köpfe starkes Marketingteam jeden Dienstag physisch zusammen. Weil so viele Menschen zu Coronazeiten nicht in einem Raum sein sollten, buchten die Marketiers kurzerhand sehr viele Besprechungsräume und trafen sich jeweils zu dritt oder viert.
Homeoffice vs. Kreativprozess
„Der Mensch ist ein soziales Wesen“, sagt Uli Klenke, „wir brauchen den Austausch. Und gerade wir als Marketingleute brauchen den Diskurs. Du musst auch mal über eine Idee streiten können, sonst landest du immer im Konsens beim kleinsten gemeinsamen Nenner“. Per Webex lasse sich zwar diskutieren, aber „du siehst die Körpersprache nicht, du siehst die Enttäuschung nicht, es kann immer nur einer reden, man kann sich nur schwer ins Wort fallen. Das macht einen kreativen Prozess super schwierig.“
Dass das gemeinsame Arbeiten nach rund eineinhalb Jahren remote work Chancen und Tücken gleichermaßen birgt, ist dem Telekom-Management durchaus bewusst, wie der herrlicher Konzernfilm „Home Office Routine im Office Home“ zeigt. Klar ist aber auch: Die alten Zeiten mit Anwesenheitspflicht, 9to5-Arbeitszeit und Fünf-Tage-Präsenz im Unternehmen sind für Wissensarbeiterinnen und -arbeiter vorbei.
Hybride Arbeitsmodelle werden sich durchsetzen, da ist sich die New-Work-Gemeinde sicher. Wie aber kommen unter solchen Bedingungen Zusammengehörigkeitsgefühl, Loyalität und Teamspirit zustande?
Das Leben ist zu kurz für schlechte Jobs
Das Band zwischen Mitarbeitenden und ihren Arbeitgeber*innen hat sich in der Pandemie vielfach als brüchig erwiesen. Aus den USA kamen im Oktober die Meldungen von „The Big Quit“, einer nie gekannten Kündigungswelle. Amerikanerinnen und Amerikaner kehren Unternehmen millionenfach den Rücken. Microsoft hatte bereits im April 2021 in seinem Work Trend Index gemeldet, dass über 40 Prozent der befragten Menschen über einen Jobwechsel nachdenken. Und der Personaldienstleister Hays stellt eine „Rückkehr zu mehr Selbstbewusstsein bei der Jobsuche fast überall auf der Welt“ fest. Corona habe die Menschen gelehrt, dass das Leben einfach zu kurz ist, um einem Job nachzugehen, der sie nicht glücklich macht.
In einem bemerkenswerten Interview mit „Harvard Business Manager“ spricht Microsoft-CEO Satya Nadella von einem „great reshuffle“, einer großen Umbildung: „Not only are people talking about when, where, and how they work, but also why they work. They really want to recontract, in some sense, the real meaning of work and sort of asking themselves the question of which company do they want to work for and what job function or profession they want to pursue.“
Nach gut eineinhalb Jahren Pandemie steht die Arbeit auf dem Prüfstand. Fragen nach Sinn und Purpose werden gestellt und nach einem gemeinsamen Ziel.
Gemeinsame Ziele erzeugen Corpsgeist
Zuallererst aber stellt sich derzeit vielen Führungskräften die Frage, wie sie ihre Mitarbeitenden wieder um sich scharen können. Und wie Menschen sich nach Monaten in den eigenen vier Wänden, unzähligen Online-Meetings, Chats und Dokumenten-Sharing wieder als Team begreifen, an einem Strang ziehen und miteinander erfolgreich arbeiten.
Viele Unternehmen haben sich dafür schon während der Lockdowns ins Zeug gelegt. Die Bitou-Gruppe zum Beispiel, auf Teambuilding und Teamtraining spezialisiert, meldet starke Nachfrage: In den ersten Lockdowns switchten die Firmen auf Online-Events, beim Abflauen waren hybride Veranstaltungen gefragt und in diesem Frühherbst gab es einen Run auf die Organisation „echter“ Events. „Den Unternehmen war es in den vergangenen Wochen und Monaten sehr wichtig, dass sich die Leute ‘in echt‘ wiedersehen“, berichtet Pia Kessler, Projektmanagerin und Prokuristin von Bitou Süd. Leider ist mit dem Anstieg der Coronafallzahlen Anfang November die Hoffnung auf physische Weihnachtsfeste weitgehend perdu, „wir haben Stornierungen für Weihnachten und wechseln jetzt doch wieder zu Online-Formaten“, sagt Pia Kessler.
Von Speeddating bis Game-Quiz-Formate
Bei Online-Teamevents geht es derzeit vor allem darum, dass sich die Menschen privat austauschen, persönlich kennenlernen und einfach gemeinsam etwas machen und Spaß haben. Es geht darum, Kontakt herzustellen. Die Bandbreite solcher Formate reicht vom virtuellen Team-Aufstieg auf den Mount Everest oder das gemeinsame Wetten bei virtuellen Pferderennen bis hin zu Auktionen, bei denen die Mitarbeitenden eine Geschichte zu ihrem ganz persönlichen Lieblingsgegenstand erzählen. Außerdem sind Formate beliebt, die den Arbeitsalltag kurz und knackig auflockern, wie etwa Drei-Minuten-Speeddatings, zugeloste Kaffeepausen oder Game-Quiz-Formate.
Uli Klenke erzählt davon, dass das Team nach der Flutkatastrophe im Ahrtal gemeinsam Unrat weggeschafft und gespendet hat. Demnächst werden sie in Bonn teamintern „Bares für Rares“ nachspielen – mit Telekom-Mediachef Norman Wagner als Horst Lichter, der selbstgemachte und kuriose Dinge vom Team höchstbietend versteigert. Der Erlös geht ebenfalls ins Ahrgebiet.
„Das ist eine Idealvorstellung dessen, was man tun kann, denn gemeinsame Ziele, die nicht zwingend auf Projektebene hängen, erzeugen Corpsgeist. Man muss Ziele finden, die die Leute tatsächlich mitnehmen und ihnen nicht übergestülpt werden – es sollte sich so wenig corporate wie möglich anfühlen“, so Klenke. Gemeinsam eine Geschäftsleitungspräsentation vorzubereiten sei nun mal etwas anderes, als eine Aufräumaktion in einem Katastrophengebiet.
Mastercard mit Nachhaltigkeits-Challenge
Auch Mastercard hat ein übergeordnetes Ziel ausgerufen: eine interne Nachhaltigkeits-Challenge soll dazu motivieren, auch privat etwas für den Klimaschutz zu tun.
Seit Anfang September ist das Büro wieder geöffnet. Im Schnitt kämen die Kolleginnen und Kollegen zwei Tage pro Woche ins Büro, berichtete Juliane Schmitz-Engels,Head of Communications für Deutschland und die Schweiz bei Mastercard, im Oktober. Auch dem Zahlungsanbieter ging es darum, gemeinsame Erlebnisse zu schaffen – mit Teammeetings, Mittagessen, Teamsport oder Weihnachtsfeiern im kleinen Kreis. „Der persönliche Kontakt stärkt den Zusammenhalt der Teams und erleichtert die Zusammenarbeit“, sagt Juliane Schmitz-Engels.
Die Führungskraft ist entscheidend
Menschen verlassen bei einer Kündigung bekanntlich nicht Unternehmen. Sie verlassen Vorgesetzte. Das gilt mehr denn je. Teambuilding allein nützt Unternehmen wenig, wenn es an entscheidender Stelle hakt: der Führung. Mitarbeiterführung ist seit Beginn der Pandemie deutlich anspruchsvoller als früher – und die Verantwortung der Vorgesetzten größer. Wenn Menschen verstreut im Homeoffice und vor Ort arbeiten, müssen Führungskräfte mehr Zeit, Organisation und Aufmerksamkeit aufwenden, um jede und jeden zu motivieren, zu fördern und zu fordern.
Die Führungskraft sei in der Pandemie der entscheidende Hebel fürs Wohlbefinden der Beschäftigten, heißt es im Gallup Engagement Index 2020; laut einer aktuellen Gemeinschaftsstudie von Hays und Rheingold wünschen sich ganze 93 Prozent der befragten Mitarbeitenden eine vertrauensvolle Beziehung zum Vorgesetzen und einen Rahmen für flexibles und selbstständiges Arbeiten, sie möchten von den Führungskräften stärker einbezogen werden und auf Augenhöhe kommunizieren. Nur etwa zwei Drittel der Vorgesetzten handele entsprechend, so die Studie.
Vielerorts hat die Arbeit mit digitalen Tools zu einer Enthierarchisierung geführt. Es ist ein Unterschied, ob man an einem Konferenztisch sitzt oder sich online über ein geteiltes Dokument beugt. In Online-Formaten trauen sich auch diejenigen Menschen – beispielsweise per Chat – ihre Meinung zu äußern, die in persönlichen Meetings lieber den Mund halten. Es gilt, diese kollaborativen Ansätze ins Büro „hinüberzuretten“.
Weil Kultur und auch Ziele verloren zu gehen drohen, wenn man sich nicht ständig sieht, hat Uli Klenke in Pandemiezeiten begonnen, mit Objectives and Key Results (OKRs) zu arbeiten, jener Managementmethode, die engmaschig und transparent Ziele definiert. „OKRs geben jeder und jedem die Sicherheit über ihre Rolle im Unternehmen. Auch wenn sie ihre Führungskraft vielleicht eine Zeitlang nicht live erleben, wissen sie, welchen Beitrag sie zum Unternehmensziel leisten können.“
Der schlimmste Satz, den eine Führungskraft in einer pandemischen Situation sagen könne, sei: „Ist doch klar …“. Denn es sei eben nicht davon auszugehen, dass alle Teammitglieder das Gleiche unter „Ist doch klar“ verstünden.
Die Büchse der Pandora ist offen
„Unternehmen müssen sich richtig ins Zeug legen“, ist Stephanie Wißmann überzeugt, die gerade an der Uni Salzburg zum Thema promoviert, wie sich innovatives Arbeitsverhalten auf Unternehmen auswirkt. Loyalität und Bindung seien während der Pandemie nicht verlorengegangen. Sie hätte vielmehr zutage gefördert, was vorher schon vorhanden war.
Die Frage laute nicht, ob Menschen künftig analog oder digital arbeiten, sondern: „Haben wir ein gemeinsames Ziel und eine gemeinsame Motivation, dafür zu arbeiten?“ Nun ist die Büchse der Pandora geöffnet und lässt sich nicht wieder schließen. Managerinnen und Manager in Unternehmen werden reagieren müssen – Flexibilität, gute Führung, gemeinsame Ziele und Sinnhaftigkeit sind gefordert.