Großzügige Homeoffice-Lösungen gelten als Antwort auf Fachkräftemangel und Mitarbeiterfluktuation. Trotzdem rufen große Firmen wie Amazon, Otto und die Deutsche Bank ihre Mitarbeiter ins Büro zurück. Unternehmen hinterfragen ihre Homeoffice-Lösungen zunehmend kritisch, auch auf die Gefahr hin, als altbacken und stehengeblieben zu gelten. Denn die Arbeitsweise hat auch Kehrseiten.
Die drängendste Frage ist unverändert die nach der Produktivität und Effizienz im Homeoffice und den möglichen negativen Folgen, die es haben kann, wenn sich Kolleg*innen weniger direkt austauschen, wenn sie ihre Work-Life-Balance mehr in Richtung „Life“ oder „Work“ verschieben oder wenn sie eher kündigen, weil die Bindung ans Unternehmen sinkt.
Laut der Universität Konstanz, die das Thema seit Corona in der Langzeitstudie „Konstanzer Homeoffice Studie“ erforscht, arbeiten einfach Angestellte im Schnitt 2,79 Tage mobil, bei Führungskräften sind es 2,47 Tage. In der letzten Welle 2024 hatten 31 Prozent der Führungskräfte den Eindruck, dass die Effizienz der Prozesse kritisch zu betrachten ist. Bei den Mitarbeitenden ohne Führungsverantwortung waren es nur 15 Prozent. Dass die Kommunikation leidet, sehen 43 Prozent der Führungskräfte so – und immerhin fast jede*r dritte Mitarbeitende ohne Führungsverantwortung.
Quelle: Future of work Lab Universität Konstanz: „Konstanzer Homeoffice Studie“, Mai 2024, Langzeitstudie / Onlinebefragung mit 1023 erwerbstätigen Teilnehmenden, davon 476 mit Führungsverantwortung, Zeitraum: 16.-19.04.2024, Marktforschungsinstitut: Bilendi/Respondi
„Führungskräfte und Mitarbeitende haben unterschiedliche Erwartungen an Homeoffice. Während die Mitarbeitenden vor allem Autonomie wollen, sind die Führungskräfte dafür verantwortlich, dass Team und Arbeit laufen“, sagt Kilian Hampel vom Future of Work Lab der Universität Konstanz, der gerade zum Thema promoviert hat. Und das kann eben auch bedeuten, die Prozesse zu hinterfragen und gegebenenfalls zu verändern.
Otto: Unternehmenskultur geprägt von Begegnungen
Der Versandhändler Otto hat sich entschieden, die bisherigen Regelungen zu ändern. Nach weitgehender Freiheit gilt nun seit Jahresbeginn: Die Hälfte der Zeit soll im Büro gearbeitet werden. Das ist immer noch recht großzügig. Konkurrent Amazon hat die Mitarbeitenden zu Jahresbeginn komplett zurückgeholt. Otto-Sprecherin Eugenia Mönning begründet die Entscheidung ihres Unternehmens: „Wir wünschen uns mehr Präsenz, weil wir nie ein Remote-Only-Unternehmen waren und sein wollten. Unsere Unternehmenskultur ist geprägt von Begegnungen und dem persönlichen Miteinander.“ Konkret erhofft sich Otto kürzere Kommunikationswege und schnellere Abstimmungsschleifen.
„Man muss sich genau ansehen, welche Auswirkungen es hat, wenn Leute sich nicht treffen. Wenn vor allem im direkten Austausch Ideen geboren werden, braucht man körperliche Anwesenheit. Das geht dann nicht anders“, sagt Oliver Stettes, Leiter Themencluster Arbeitswelt und Tarifpolitik des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln.
Gerade in kreativen Branchen wie Marketing und Werbung, in denen Teamgeist seit jeher großgeschrieben wird, besteht die Gefahr, dass es nicht unbedingt zur besten Lösung kommt, wenn viel im stillen Kämmerlein gemacht wird. „Die Ergebnisse sind viel besser, wenn man in einem Raum ist. Dann geschehen diese Zufälle, die dazu führen, dass Kreation richtig, richtig gut wird“, sagt Jo Marie Farwick, Gründerin und Geschäftsführerin der Kreativagentur Überground, deren Mitarbeitende seit Ende der Corona-Maßnahmen alle und immer vom Büro aus arbeiten. Kreative Ansätze würden härter diskutiert, Themen schneller geklärt, aber auch neue Mitarbeitende besser integriert. Farwick ist überzeugt: „Vor allem Auszubildende und Junioren lernen nichts zu Hause. Sie müssen mitbekommen, wie man gut diskutiert, besser streitet und um die besten Ideen ringt.“
Onboarding bei Serviceplan weitgehend live
Die Serviceplan-Agenturgruppe hat ihre Homeoffice-Regelungen 2024 verschärft und gibt nun eine Anwesenheit von 80 Tagen im Jahr vor. Das Onboarding sollte jedoch überwiegend live im Büro gestaltet werden, „weil sich so der zwischenmenschliche Spirit besser entwickelt“, sagt Martina Staudinger, Geschäftsführerin der zur Serviceplan-Gruppe gehörenden Mediaplus Group. „Für neue oder junge Mitarbeitende ist die Hürde höher, eine kurze Frage zu stellen, wenn sie nur mobil arbeiten.“ Wer weniger fragt – sei es, wo welche Dateien abgelegt werden, sei es, wie bestimme Prozesse funktionieren – braucht jedoch länger, um im neuen Job anzukommen, was sich wiederum negativ auf die Effizienz auswirkt.
Für Staudinger hat Büroarbeit noch weitere positive Auswirkungen. „Man sollte den sozialen Aspekt nicht vernachlässigen: Viele kommen aus anderen Städten und suchen Anschluss. Diesen bekommt man nicht allein zu Hause“, so die Geschäftsführerin. Wer allein in seiner Wohnung ist, kann vereinsamen. Auch die Hilfsbereitschaft kann steigen, wenn direkter sichtbar ist, wer frühmorgens schon da ist und trotzdem lange bleibt: „Wenn man abends noch zu zweit im Büro sitzt, fragt man eher nach, ob man noch helfen kann. Online passiert das seltener“, so Staudinger.
Führungskräfte müssen Arbeit gleichmäßig verteilen
Gerade dieses „nicht sehen“, wie die Kolleg*innen ausgelastet sind, kann dazu führen, dass sich Arbeit immer ungleicher verteilt: Einerseits gibt es Mitarbeitende, die immer mehr übernehmen, weil sie andere nicht fragen wollen, andererseits solche, die ihr Leben stärker Richtung „Life“ optimieren.
Die Universität Konstanz sieht hier vor allem die Führungskräfte in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Arbeit gleichmäßig verteilt wird und sich nicht manche Mitarbeitende wegducken, während andere nicht mehr wissen, wann sie zwischen all den Teams-Calls die übrige Arbeit machen sollen. Auch für solche Viel-Arbeiter*innen kann die Rückkehr ins Office Vorteile bringen, glaubt Oliver Stettes: „Wenn eine Person im Homeoffice zu viel arbeitet und selbst keine Grenze setzen kann, muss man diese zu ihrem Schutz ins Büro holen.“
Private Erledigungen während der Arbeitszeit
Das gilt erst recht für diejenigen, die zu Hause weniger produktiv sind, als im Büro. Auch wenn das ungern thematisiert wird, ist Arbeitszeitbetrug ein Thema: Das Softwareunternehmen TimO – Time Management Office hat im November 2024 eine Studie veröffentlicht, laut der über 70 Prozent der Arbeitnehmer*innen während der Arbeitszeit private Erledigungen machen. „Der Anteil derjenigen, die privaten Tätigkeiten nachgehen, ist im Homeoffice höher“, sagt Achim Haas, Online-Marketing-Manager von TimO. Er liegt bei über 80 Prozent. Haas rät Arbeitgebern daher, klare Regeln aufzustellen, was Pausen sind und was nicht.
Quelle: Tim-O: „Arbeitszeitbetrug: ein unterschätztes Problem in Unternehmen“ /
Befragung von 1000 Arbeitnehmende und 373 Führungskräfte aus Unternehmen,
Zeitraum: September 2024, Marktforschungsinstitut: Consumerfieldwork
Die Gründe für den Arbeitszeitbetrug sind vielfältig. Der häufigste ist „eine Art Wiedergutmachung für unbezahlte Überstunden. Es geht oft um ein Gerechtigkeitsgefühl“, erklärt Haas. Denn – und auch das ist Teil der Wirklichkeit – immer wieder werden Arbeitsstunden nicht erfasst. Seien es die Mails, die abends noch schnell auf dem Handy gecheckt und beantwortet werden, oder sei es, dass die tägliche Mindestarbeitszeit überschritten ist und Arbeitnehmer sich aus den Zeiterfassungssystemen ausloggen, aber trotzdem weiter machen, weil Deadlines dies erfordern.
Büropflicht führt zu hoher Fluktuation
Bei Überground gibt es zwar Office-Plicht, aber dafür keine Überstunden und auch keine Wochenendarbeit, betont Gründerin Farwick. Dass sie die Mitarbeitenden nach Corona ins Büro zurückgeholt hat, blieb jedoch nicht folgenlos. Angesichts des anhaltenden Fachkräftemangels können Arbeitnehmer*innen mehr fordern und gerade die Flexibilität des mobilen Arbeitens steht bei vielen ganz weit oben auf der Liste der Erwartungen, die sie an ihren Job haben. Die Fluktuation bei Überground war enorm. Trotzdem hat Farwick an der Anwesenheit festgehalten: „Auch wenn es schwieriger ist, Mitarbeitende zu finden: Es gibt bei uns kein Recht auf Homeoffice.“ Selbst ein so digitales Thema wie Künstliche Intelligenz zu implementieren, funktioniere vor Ort besser als virtuell, sagt sie.
Grundsätzlich gilt: Wie zufrieden Mitarbeitende mit den jeweiligen Regelungen sind, hängt vor allem davon ab, wer darüber entscheidet, wie gearbeitet wird. Während Mitarbeitende vor allem Autonomie wollen, sind Führungskräfte dafür verantwortlich, dass das Team und die Arbeit laufen. Der Interessenskonflikt ist vorprogrammiert. Aktuell halten laut Konstanzer Homeoffice-Studie ein Drittel der Führungskräfte eine stärkere Präsenzpflicht für sinnvoll, aber nur 19 Prozent der Mitarbeitenden ohne Führungsverantwortung.
Ganz zu Hause bleiben, will jedoch laut Uni-Konstanz-Wissenschaftler Hampel auch kaum einer: „Die wenigsten Mitarbeitenden wünschen sich 100 Prozent Homeoffice.“ Die Vorteile, insbesondere die sozialen, werden durchaus gesehen. Aus Sicht von IW-Mitarbeiter Stettes ist der Weisheit letzter Schluss bei der richtigen Verteilung zwischen Office und Homeoffice noch nicht gefunden: „Ich glaube, wir befinden uns gerade in einer Übergangsphase.“