Liebe Pendlerstau-Hasser, Jogginghosen-Zoomer und Vereinbarkeits-Verteidiger: Ihr müsst jetzt ganz ganz stark sein. Denn wie die Dinge stehen, könnte die Homeoffice-Welle gut ein Jahr nach offiziellem Ende der Corona Pandemie für viele bald zurück ins Büro schwappen. Erste Studien, leise kritische Stimmen gibt es ja schon länger. Doch jetzt hat die Berliner Agentur Antoni für ziemliches Aufsehen in der Branche gesorgt mit der Ansage, ihre rund 210 Beschäftigten zurück ins Büro zu pfeifen. Ab 1. März gilt bei Antoni für alle Vollzeitbeschäftigten eine „4+1“-Regelung, also vier Tage Präsenzpflicht in der Agentur, nur noch ein Tag Möglichkeit zum Homeoffice.
Interessant dabei finde ich vor allem, wie Matthias Schmidt, Chief Creative Officer bei Antoni, die neue Präsenzpflicht begründet. 1. Führung gehe zwar auch remote, in Präsenz aber „schneller, klarer und kräfteschonender“. 2. Die physische Nähe würde Onboarding und Talente-Förderung erleichtern. 3. Oft seien es Zufälle (beispielsweise Ideen bei Gesprächen in der Kaffeeküche), die Arbeiten besser machten. Und 4. würden sich gerade „Top-Performer“ nach Präsenz sehnen. Allesamt nicht gerade banale Gründe, möchte man meinen. Und – zumindest in Sachen Führung und Förderung – auch nicht nur mit den Besonderheiten kreativer Arbeit zu erklären.
Ist Homeoffice langfristig also doch eher ein Holzweg? Auffallend oft habe ich in den letzten Tagen über Antonis Move gehört: „Endlich sagt‘s mal einer“. Allerdings nur hinter vorgehaltener Hand. Öffentlich schlachten mag die Heilige Kuh der Mitarbeitenden-Benefits derzeit – noch – kaum jemand.
Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Und deshalb wage ich jetzt mal die gar nicht so gewagte These, dass sich bald schon viele weitere Arbeitgebenden aus der Deckung trauen – und ihre Leute zurück ins Büro beordern.
Menschlicher Faktor schafft 100 Prozent Mehrwert
Die auf Hip-Hop-Beratung spezialisierte Agentur The Ambition gilt in der Branche gerade als ziemlich cool. Also habe ich letzte Woche mal Larissa Schwinges-Hess, Chief People Officer bei The Ambition, zu ihrer Meinung über Homeoffice gefragt. Und was sagt die HR-Expertin? „Bei uns stellt sich die Frage nach Homeoffice eigentlich gar nicht. 95 Prozent unserer Leute kommen montags bis freitags ins Büro – und zwar freiwillig.“ Der „Reason why“ dafür sei die Unternehmenskultur, so Schwinges-Hess. Diese mache 99 Prozent dessen aus, „warum unsere Mitarbeitenden lieber ins Büro kommen, als remote zu arbeiten“. Der menschliche Faktor, so die Personalexpertin, schaffe „zu 100 Prozent Mehrwert“. Das ist doch mal eine klare Ansage.
Nur eine Ausnahme macht Schwinges-Hess. Denn niemand ziehe heute noch für einen Job um, auch nicht für The Ambition. Standortfremde Talente lassen sich also auch künftig nur mit Remote Work locken. Standort schlägt Unternehmenskultur, auch bei noch so coolen Arbeitgebenden.
Vier-Tage-Woche kaum umsetzbar
Ein halber Themenwechsel. Zur gleichen Zeit, in der in Deutschland gerade die erste Pilotstudie zur Vier-Tage-Woche gestartet ist, haben Xing und Forsa knapp 5000 Erwerbstätige aus dem DACH-Raum zur Vier-Tage-Woche befragt. Das Ergebnis: Nur ein Drittel der Befragten (30 Prozent) hält das Modell bei vollem Lohnausgleich für umsetzbar, 60 Prozent nicht. Dabei variiert laut Studie der Glaube an die Realisierbarkeit stark nach Branche und Generation. In Handel und Dienstleistungssektor etwa schätzt fast ein Drittel, dass die Vier-Tage-Woche innerhalb der kommenden fünf Jahre umgesetzt werden könnte. In der Industrie ist es nur jeder Vierte. Zudem sehen 65 Prozent der Befragten den Fachkräftemangel als ein Hindernis für die Reduzierung von Arbeitszeiten.
Ob der erbitterte öffentliche Streit zwischen Bahn und GDL die Ergebnisse der Umfrage beeinflusst hat, ist mir leider nicht bekannt. Die Bahn aber dürfte sich über die ermittelten Einschätzungen freuen. Zumal vor wenigen Tagen die Nachricht über ein Rekordhoch das Licht der Medienwelt erblickte. Mit 68.600 Stellen hat die Bahn 2023 so viele Stellen wie noch nie ausgeschrieben, zehn Prozent mehr als im Vorjahr zuvor.
„Meine“ Kunden gehören nicht mir
Zum Schluss heute noch eine persönliche Bemerkung von mir zu einer persönlichen Bemerkung von Katrin Stockinger, Head of PR und Influencer Marketing bei Westwing. Unter dem Titel „Von oben herab? Nicht mit mir“ nannte Stockinger vergangene Woche auf LinkedIn ein paar Dinge, die sie im Umgang mit anderen Menschen im Businesskontext für echte „Red Flags“ hält.
Mal davon abgesehen, dass ich diese „Red Flags“-Listen-Mode auf LinkedIn ziemlich gaga finde, kann ich vieles von Stockingers Liste unterschreiben. Etwa wenn sie kritisiert, dass „beim Businessdinner mit Servicekräften nicht respektvoll umgegangen“ wird oder „Teammitglieder bei persönlichen Treffen oder in Calls gar nicht vorgestellt“ werden.
Aber in einem Punkt muss ich Katrin Stockinger mit Verve widersprechen, verbunden mit der sehr dringenden Bitte: Machen Sie dieses Fass nicht auf! Stockinger erklärt es nämlich zu einem No-Go, wenn Teammitglieder als „mein:e Mitarbeiter:in“ bezeichnet werden. Dass, so die PR-Expertin, sei „einfach nur besitzergreifend“. Nein, ist es nicht. Denn sonst würden auch meine Freund*innen, meine Kolleg*innen, meine Chef*innen und ja, sogar meine Kund*innen, allesamt mir gehören. Und dem ist definitiv nicht so.
In diesem Sinne: Eine „Red Flag“-freie Woche – und bleiben Sie gut drauf!