Na? Zurück aus dem Urlaub und schon keine Spur von Erholung mehr? Dann Sie sind nicht allein. Womit ich allerdings nicht auf die Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen anspielen möchte, die sicherlich auch das Zeug dazu haben, einem massiv den Tag zu verderben. Ich meine eine aktuelle Umfrage der Manpower Group, wonach bei 42 Prozent der Befragten ein Erholungseffekt nach dem Urlaub „nur kurz oder gar nicht“ anhalte. 34 Prozent befinden sich sogar schon in der ersten Arbeitswoche nach den Ferien wieder für urlaubsreif. Gut möglich, dass das auch am Klima im jeweiligen Arbeitsumfeld liegt. Womit wir beim heutigen Thema wären.
Nach fast zwei Jahren und exakt 43 Ausgaben ist dies heute die letzte „Work & Culture“-Kolumne, die ich für absatzwirtschaft schreibe. Zu dem Grund dafür komme ich später. Viel wichtiger ist mir, zum Abschied ein kleines Fazit zu ziehen – und Ihnen auch heute nochmal ein paar kritische Gedanken zum Zustand von „Work & Culture“ in Zeiten wie diesen mit auf den Weg zu geben.
Die gute Nachricht zuerst: Work and Culture ist – vor allem in genau dieser Kombination – ein extrem spannendes Thema, nicht nur für Journalistinnen und Journalisten. Zahlreiche Entwicklungen sind vielversprechend. Immer mehr Unternehmen und HR-Abteilungen machen sich auf den Weg, um Arbeit nicht nur erfolgreicher und effizienter, sondern auch für die Belegschaften attraktiver zu machen. Allerdings, und jetzt kommt der Haken, nicht unbedingt aus Menschen- oder gar Nächstenliebe, sondern vornehmlich getrieben durch Fachkräftemangel und War for talents. Und das merkt man dann eben auch. Spätestens wenn die eigene Branche oder das eigene Unternehmen eher nicht zu den Talentesuchenden zählt.
Sehr viele Unternehmen, so mein Eindruck, geben nämlich nach wie vor keinen Deut auf die Verbesserung ihrer Arbeitskultur. Weil sie vermeintlich schlicht andere Sorgen haben, oder weil sie es schlicht nicht nötig haben. Meist ist es ein Mix aus beidem. Man könnte auch sagen: Wo kein Fachkräftemangel, da kein Anstand.
Empirisch belegen kann ich diesen Eindruck nicht, wenn man von den Dutzenden Studien absieht, die vor wachsenden Quite Quitting und Burnout-Raten warnen. Doch die vielen Geschichten, die ich in den vergangenen zwei Jahren meist hinter vorgehaltener Hand gehört habe, lassen auf wenig Gutes schließen. Vielerorts wird nach wie vor gemobbt, diffamiert und intrigiert, was das Zeug hält. Teams werden aufgelöst und Führungskräfte entmachtet, ohne dass die Betroffenen vorab wenigstens informiert werden („Nun stellen Sie sich mal nicht so an“). Neue Aufgaben und Zuständigkeiten werden verteilt („Warum? Na, weil wir es können“) und feste Zusagen werden nicht eingehalten („Ups, das hab‘ ich dann wohl vergessen“). Es wird rumgeschnauzt und gepoltert, die Leute werden lächerlich gemacht oder im besten Fall ignoriert.
Ich bin sicher, auch Sie könnten aus Ihrem Umfeld oder aus eigener Erfahrung die eine oder andere Story hier hinzufügen.
Auf positive Visitenkarte pfeifen
Doch nicht nur mit den eigenen Leuten gehen viele Unternehmen bedauernswert um. Auch potenzielle Mitarbeitende kommen aus dem Staunen oft nicht raus, viele Recruiting-„Stile“ erinnern auch anno 2024 eher an die späten 80er-Boomer-Jahre.
Johannes Reinders, bis vor wenigen Tagen 14 Jahre lang Head of Product beim insolventen Reisekonzern FTI, hat das auf LinkedIn gerade entwaffnend offen zum Thema gemacht. Anlässlich der FTI-Abschiedsfeier schrieb er: „Für einige Kollegen und Kolleginnen geht es gleich nahtlos weiter in den nächsten Job. Einige stecken mitten im Bewerbungsprozess. Letztere lernen gerade, dass viele Firmen schlaue „Ai“ Posts produzieren, aber die Reaktionszeit auf Bewerbungen schon mal 4 – 6 Wochen beträgt. Wir lernen gerade, dass es ganz „Diverse“ und innovative Unternehmen gibt, die aber lieber keine älteren Mitarbeiter einstellen wollen, da ja das Team so jung ist. Wir lernen gerade auch, dass man „outside the Box“ denken soll, aber man branchenfremd gleich eine Absage auf die Bewerbung erhält.“
Reinders Fazit: „Jammern gilt nicht, denn Rekrutingprozesse sind ja auch die Visitenkarte eines jeden Unternehmens.“ Mein Fazit: Blöd nur, dass offenbar noch immer viel zu viele Arbeitgebende auf eine positive, moderne und innovative Visitenkarte pfeifen.
Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen. Denn je rosaroter die Empowerment- und New Leadership-Blümchen in meinen Social Media-Blasen erblühen, je lauter auf einschlägigen Kongressen und in hunderten von Podcasts und Ratgeberbüchern die Segnungen von Respekt, Wertschätzung und Empathie gepriesen werden – um nur die drei strapaziertesten Begriffe zu nennen –, desto größer klafft nun allzu oft die Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Die Erwartungen der Menschen sind angesichts von New Work, New HR und New Wellbeing hoch. Die Enttäuschungen entsprechend groß. Oder um es kurz sagen: Hohle Worte statt Culture at Work.
Und da kommen nun Sie ins Spiel. „Wieso denn gerade ich?“, werden Sie jetzt sicher fragen. Weil es mir nach zwei Jahren „Work & Culture“ heute gar nicht um neue Strukturen, Prozesse, Managementmethoden oder Teambuilding Workshops geht. Ich rede heute auch mal nicht von Homeoffice, Workation, Job Share, Diversity oder Gender Pay Gap. Ich rede von den Menschen, die Wertschätzung, Respekt und Empathie umsetzen müssen. Ich rede von jedem und jeder einzelnen von uns.
Nicht die Milch macht‘s
Das hört sich naiv und pathetisch an? Ist es vielleicht auch. Aber es ist meine persönliche Quintessenz. Nicht nur nach zwei Jahren „Work & Culture“, sondern nach mehr als 25 Jahren Berufserfahrung. Respekt und Wertschätzung, Anstand und Zuverlässigkeit haben komplett gar nichts zu tun mit Strukturen und Prozessen, mit New Work oder Old Work. Es hat zu tun mit den Menschen, die diese Dinge leben. Damit Buzzwords nicht zu hohlen Worten verkommen. Erlauben Sie mir an dieser Stelle das kleine Wortspiel: Nicht die Milch macht’s, der Mensch macht’s.
Behandeln Sie jeden Menschen, egal ob im Privaten oder im Beruflichen, so, wie Sie selbst behandelt werden wollen. Oder, um es mit Benjamin Stuckrad-Barre zu sagen, den ich mit dem Satz schon einmal zitiert habe, weil er in seiner Wahrheit und Schlichtheit einfach nicht zu überbieten ist: „An bestimmten Weggabelungen geht es ganz simpel darum, kein Arschloch zu sein.“ That’s it.
Abschied für Neues
Doch bevor wir nun alle vor Rührung ein Tränchen verdrücken, nutze ich noch flugs die Gelegenheit, mich zu verabschieden. Im Oktober werde ich eine neue berufliche Aufgabe übernehmen und mein Dasein als freiberufliche Journalistin an den sprichwörtlichen Nagel hängen. Mehr dazu an anderer Stelle, zu einem späteren Zeitpunkt.
Doch eines kann ich Ihnen versichern: Der Abschied von absatzwirtschaft und dieser Kolumne fällt mir nicht leicht. Im Gegenteil: Die Zusammenarbeit mit Chefredakteurin Christa Catharina Müller und der kompletten Redaktion war ganz ohne Übertreibung wunderbar (und glauben Sie mir, auch ich habe im Laufe der Jahre mit ein paar anderen Auftraggebern durchaus andere Erfahrungen gemacht).
Deshalb ganz herzlichen Dank an das Team der absatzwirtschaft. Und einen ebenso herzlichen Dank an Sie, liebe Leserinnen und Leser, für Ihre Treue, Ihr Interesse und Ihr erfreulich positives Feedback. Es war mir ein Vergnügen!
Ab sofort hat dieses Vergnügen mein geschätzter (Noch-)Kollege Frederic M. Servatius, der die Kolumne „Work & Culture“ nahtlos übernehmen wird. Ich wünsche ihm viel Erfolg und Ihnen viel Freude und Erhellendes mit seinen Texten.
In diesem Sinne: Eine Woche ohne hohle Worte und bleiben Sie gut drauf.