Auch am Montag ging das Ringen um Beweisanträge und deren fast schon postwendende Ablehnung weiter. Die 6.Strafkammer am Landgericht Wiesbaden hatte zunächst einem Beweisantrag von Ruzickas Verteidiger stattgegeben. 15 „neue“ Aktenordner wurden Teil des Ruzicka-Prozesses. In diesen Aktenordnern befinden sich sämtliche Abrechnungen und Belege von Ruzickas Firma Watson. Darin: Belege über tatsächlich von Watson bezahlte Events, Seminare, Flugreisen, Hotels. Offenbar organisiert und bezahlt für Aegis Media und deren Kunden. Ruzicka behauptet, dass die Mehrzahl dieser Ausgaben überhaupt nicht an die Mediaagentur berechnet worden sind, aber von dieser beauftragt und in Anspruch genommen wurden. Diese Aktenordner befanden sich bei der Staatsanwaltschaft Wiesbaden und sind Teil des Steuerstrafprozesses gegen Aleksander Ruzicka. Offenbar wurden diese bisher nicht gesichtet oder deren Inhalt im Untreue-Prozess rechtlich gewürdigt. Aegis Media CEO Andreas Bölte hatte vor Gericht ausgesagt, dass Watson für vier bis sechs Events und einer Gesamtsumme von 200.000 Euro beauftragt wurde. Ob sich diese vier bis sechs Events auf 15 Aktenordner aufteilen, blieb zunächst unklar.
Erst um 15:45 Uhr konnte die Beweisaufnahme geschlossen werden. Dem gingen diverse Wortgefechte und Unterbrechungen voraus. Danach begannen Staatsanwalt Jördens und Oberstaatsanwalt Dr. Achim Thoma ihr zweieinhalbstündiges Plädoyer. Erstmals wurden Vorgänge im Gerichtssaal auch mittels einer Powerpoint-Präsentation verdeutlicht. Zunächst wurden die Umstände geschildert, die eine Verurteilung wegen Untreue ermöglichen. Dafür würde es ausreichen, wenn einem Unternehmen Vermögen vorenthalten wird, wie dies beim Führen einer schwarzen Kasse erfolgt. Auch dies sei wegen Untreue zu bestrafen, wie der Bundesgerichtshof in Sachen Siemens bereits entschied.
In diesem konkreten Fall gingen Jördens und Thoma auf Tatmodalitäten und Tat ein. Die Tatmodalität, dass Freespace nicht Teil der Agenturbilanz oder der Gewinn- und Verlustrechnung ist, habe die Tat ermöglicht. Aufgrund der Scheinrechnungen von Emerson FF ist jahrelang Geld von Aegis Media abgeflossen. Jördens nannte die Rechnungen von Emerson FF schriftliche Lügen. Maßgeblich sei dabei, dass das Geld auf dem Bankkonto von Aegis Media lag, und die Mediaagentur dafür eine Vermögensbetreuungspflicht hatte. Wie bereits berichtet: Geld bei Aegis Media, Geld floss ab, Untreue, Punkt. Der Umstand, dass es sich dabei um Kundengelder gehandelt haben soll, wie Ruzicka argumentierte, sei nicht maßgeblich. Die Kunden hätten lediglich einen Anspruch auf die Verwendung dieser Gelder, die sich im Vermögen von Aegis Media befunden haben. Auch die Frage, wem die Freispots gehören oder wie die abgeflossenen Gelder bei Aegis Media verbucht wurden, sei zivilrechtlich zu klären, und habe für den Strafvorwurf der Untreue sowie die Schuldfrage keinerlei Bedeutung.
Jördens unterstellte Ruzicka erhebliche kriminelle Energie. Er habe seinen Lebensstil auf ein luxuriöses Maß heben wollen. Dafür habe er ein außergewöhnlich aufwendiges Netzwerk aus Schein- und Tarnfirmen ersonnen, das er ebenso aufwendig verschleiert hätte. Aleksander Ruzicka habe einen konkreten Tatplan gehabt und umgesetzt. Er hätte als CEO von Aegis Media die Bezahlung jeder einzelnen Rechnung von Emerson FF stoppen können und unterbinden müssen, so Jördens. Er hatte die Entscheidungsbefugnis dazu. Stattdessen habe Ruzicka eine Geisterfahrer-Mentalität. Es seien alle anderen Schuld, während er selbst jedes Fehlverhalten hartnäckig abstreitet, führte Jördens aus. Hätte sich Ruzicka tatsächlich nichts vorzuwerfen und immer im Sinne von Aegis Media agiert, hätte er spätestens nach den Hausdurchsuchungen im September 2006 und seiner Verhaftung im Oktober 2006 Zeugen benennen und sich äußern müssen. Er schwieg jedoch solange, bis sich Mitbeschuldigte zur Sache eingelassen hatten, warf Jördens dem Hauptangeklagten vor. Stattdessen würde sich Ruzickas Aussageverhalten durch Dreistigkeit auszeichnen. Kein einziger Zeuge hätte in der Hauptverhandlung die Aussagen von Ruzicka bestätigt oder ihn gar entlastet. Die von Ruzicka behauptete Informationsbeschaffung und ein vielschichtiges Beziehungsmanagement verbannte Jördens in das Reich der Fantasie des Hauptangeklagten. Ruzicka sei zugute zu halten, dass seine Firmen Watson und Camaco Steuern gezahlt haben, und einzelne Teile der Ausgaben im Interesse von Aegis Media gewesen sein könnten.
Zu den Geldflüssen von Aegis Media zur Werbeagentur ZHP, die die Fälle 1 bis 38 der Anklage ausmachen, wurde Jördens noch deutlicher. Die Abrechnung von „gefühlten Größen“ sei der größte Blödsinn, den er je in einem Gerichtssaal gehört habe, empörte sich Jördens. Die ehemaligen Geschäftsführer von ZHP, Reinhard Zoffel und Volker Hoff, hatten ausgesagt, dass sie die von Carat erhaltenen Gelder großteils an Ruzickas Firmen Camaco und Watson oder auch die Objektgesellschaft Haideweg 14 weitergereicht hätten. Ruzicka hatte behauptet, dass die Rückvergütungen von Carat an ZHP auf Basis eines gelebten Vertrages erfolgten, um Media-Einkaufsvorteile an die Kunden von ZHP zu erstatten. Warum diese wohl nicht bei den Kunden angekommen sind, ist bis heute ungeklärt.
Für den Mitangeklagten David Linn nannte Jördens viele Milderungsgründe. Er habe sich dem Verfahren und der Staatsanwaltschaft aktiv gestellt, habe frühzeitig umfassend ausgesagt, sei geständig, reuig und sei ebenso wie Ruzicka nicht vorbestraft. Zudem hat sich Linn aktiv um eine Wiedergutmachung des angerichteten Schadens bemüht. Er sei in einem schweren Fall wegen Beihilfe zur Untreue zu bestrafen. Linn habe durch sein Nichtstun die Geldflüsse von Aegis Media zu Emerson FF ermöglicht. Jedoch sei er von Ruzicka benutzt, und in seine Firmengeflechte hineingezogen worden. Linn war einer der vier Treugeber der angeblichen Scheinfirma Camaco.
Jördens listete insgesamt 78 Fälle auf, mit denen eine Gesamtsumme von 49 Millionen Euro veruntreut worden sein soll. Für jeden Einzelfall forderte Jördens ein Strafmaß von bis zu vier Jahren Haft. Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden beantragte gegen Aleksander Ruzicka eine Gesamtstrafe von 13 Jahren und 6 Monaten Haft. Wäre keine Gesamtsstrafe zu bilden, würden sich in Summe 112 Jahre errechnen, führte Jördens aus. Für David Linn beantragte die Staatsanwaltschaft Wiesbaden eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung, verbunden mit einer Geldauflage von 30.000 Euro.
Aleksander Ruzicka nahm die Ausführungen der beiden Staatsanwälte äußerlich unbewegt zur Kenntnis. Auch im Zuschauerbereich des Gerichtssaales, der mit auffallend vielen Rechtsanwälten besonders gut besucht war, waren keine Reaktionen zu hören. Die Plädoyers werden am 20.April fortgesetzt. Dann äußern sich die Anwälte von David Linn. Am 27.April werden die Verteidiger von Aleksander Ruzicka auf das Plädoyer der Staatsanwälte reagieren. Richter Bonk ließ erkennen, dass er eine Urteilsverkündung am darauf folgenden Montag, dem 4. Mai 2009, für möglich hält. mz