Der Agenturwettbewerb dient der Auswahl der externen Partner. Er setzt naturgemäß auf die üblichen Merkmale des Wettbewerbsprinzips: Transparenz, Gerechtigkeit, Leistungsdruck und damit Leistungssteigerung. Der Agenturwettbewerb ist daher eine der wichtigsten Quellen von Kreativität für das Marketing.
Soweit das Prinzip, das als solches hier nicht weiter diskutiert werden soll. Interessant ist dagegen, wie dieses Prinzip aktuell ein- und umgesetzt wird. Dazu eine Story – rein fiktional natürlich:
Die Mitglieder des Marketing- und Kommunikationsteams treffen sich zur Kick-off-Sitzung für den großen Agenturpitch im kommenden Halbjahr. Der Marketingleiter erläutert den acht wichtigsten Mitgliedern seines Teams den Hintergrund und die Stoßrichtung des Pitches: Festgefahrene Denkmuster und verkrustete Strukturen in der Abteilung und in den Beziehungen zu den externen Dienstleistern hätten dazu geführt, dass der Bereich insgesamt an Dynamik verloren hat, dass die notwendige Kreativität fehle, und dass schließlich wohl auch die Kosten außer Kontrolle geraten seien. Das konzernweite „Triple C“-Programm (creative cost cutting) verlangt auch von ihnen Kostenreduktionen um 30 Prozent.
Die Nachricht der geplanten Budgetkürzungen trübt kurz die Stimmung im Raum. Die Leiter der einzelnen Bereiche sehen über die vergangenen Jahre liebgewordene Projekte in Gefahr: das Sponsoringevent beim Golfturnier auf Ibiza, das Fotoshooting für die Imagebroschüre im Hochgebirge, der Besuch der Messe in San Francisco zur Beobachtung des Wettbewerbs, der jährliche Workshop vor Ort, um die neuesten Entwicklungen im Retail in Mailand, New York, Tokio hautnah zu erleben.
Doch dann wird man sich schnell einig, dass genau dies zu vermeiden ist. Die Vorgabe für die Agenturen wird fixiert: Kostenreduktion um 30 Prozent bei gleichbleibendem Lieferumfang und natürlich mindestens stabilem Qualitätsniveau.
Die Diskussion gewinnt an Dynamik. Eine schnelle Google-Recherche soll eine möglichst umfassende und internationale Long-List der zu beteiligenden Dienstleister ergeben. Diese sollen sich in einer ersten Runde auf der Basis von Unterlagen vorstellen. Standardisierte Vorgaben, was Inhalte, Formate und Mengen angeht, werden den internen Aufwand minimieren. Dieser erste Auswahlschritt kann auch an die Freelancerin in der Eventabteilung delegiert werden. Die Einkaufsabteilung des Konzerns wird die formalen Rahmenbedingungen klären.
Pitchhonorare sind glücklicherweise gänzlich aus der Mode gekommen. Für die zweite Runde können also gut und gerne immer noch sechs Dienstleister im Rennen verbleiben. Der Aufwand, der dann auf die gesamte Abteilung zukommt, so warnt der Marketingchef, darf allerdings nicht unterschätzt werden. Man sucht schließlich nicht irgendwelche Dienstleister.
Man sucht Partner für eine vertrauensvolle langjährige Zusammenarbeit. Wichtig ist es daher, dass die „Chemie“ stimmt. Er erwartet also, dass sein Team jeweils die Teammitglieder auf Seiten der Dienstleister kennenlernt, auch bei Besuchen in den Agenturen.
Eine harte Woche steht an, wenn die sechs Agenturen vier Wochen später präsentieren. Es müssen auch Vertreter der vier Geschäftsbereiche und der wichtigsten Ländergesellschaften teilnehmen. Dazu noch der Einkauf. Das werden sicher insgesamt 20 bis 30 Kolleginnen und Kollegen sein. Jede Agentur soll drei Stunden Präsentationszeit haben. Um anschließend eine sachgerechte Auswahl zu gewährleisten – es wird eine Menge an Material und Information auf das Team einstürzen – bittet er wiederum die Freelancerin, schon einmal eine Checkliste und einen Bewertungsbogen zu entwerfen, der das gemeinsame Urteil des Gesamtteams transparent macht. Unabhängig davon natürlich, wie seine Entscheidung, die er mit seinem Vorstand abstimmen muss, endgültig ausfallen wird.
Er ermahnt an dieser Stelle seine Teammitglieder, durch möglichst zahlreiche Zwischenpräsentationen und Over-the-shoulder-Termine sicherzustellen, dass die Vorschläge der Agenturen immer im Korridor dessen liegen, was an Grundentscheidungen in den vergangenen Monaten auch schon im Vorstand verabschiedet wurde. Aber bitte immer mit dem Hinweis, dass man von diesen hochkarätigen und teuren Beratern nicht nur ein braves Erfüllen des Briefings erwarte. Man wünscht das eigenständige Denken, „out of the box“.
Die letzten drei Agenturen, die in die dritte Runde gehen, sollen anschließend genug Zeit bekommen, um das Feedback aus den Präsentationsrunden umfassend reflektieren und umsetzen zu können. Man darf und muss dann schon nochmals völlig neue Vorschläge erwarten.
Nach den Sommerferien muss es aber schnell gehen. Die Agenturen präsentieren wieder vor dem vollzähligen Gremium. Das Votum des Gremiums wird erneut auf Basis des bereits für die Zwischenauswahl genutzten Formblattes erarbeitet. Der Marketingchef ist sicher, dass er dann ganz zügig – in den folgenden drei bis vier Wochen – dem Vorstand seine Favoriten präsentieren kann.
Nach etwa sechs Monaten wird also dann die Entscheidung gefallen sein. Harte sechs Monate für sein Team, wie er bedauernd anfügt. Sechs Monate, in denen bitte alle anderen laufenden Projekte auf das absolute Minimum zu reduzieren sind. Der Aufwand, da ist er sich sicher, wird sich lohnen. Die Kosten werden um ein Drittel gesenkt werden. Ein Meilenstein für den Bereich. Mit nachhaltigen Konsequenzen.
Vor allem wird die Qualität der Arbeit seines Bereichs aber ein neues Niveau erreichen. Die nächsten sechs Monate werden einem kreativen Feuerwerk gleichen. Es wird sich zeigen, dass der Wettbewerb der besten Ideen der Motor ist, mit dem sein Bereich seinen Beitrag zum Unternehmenserfolg nochmals deutlich wird steigern können.
Über den Autor: Prof. Dr. Jürgen Häusler ist Chairman von Interbrand Central and Eastern Europe.