Offenbar sieht das Gericht unter Vorsitz von Richter Jürgen Bonk nach den Einlassungen der beiden Angeklagten weiteren Aufklärungsbedarf. Bölte und Ihlefeld haben nach eigener Aussage in Abstimmung mit einem Aegis-Anwalt die Recherchen gegen den damaligen Geschäftsführer von Aegis Media, Aleksander Ruzicka, initiiert. Diese mündeten am 5. Juli 2005 in einer als anonym getarnten Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Wiesbaden. Für den Inhalt dessen wiesen sich Bölte und Ihlefeld gegenseitig die Verantwortung zu. Sie bestritten zudem, dass sie Zugang zu den Konditionen mit den Medien gehabt hätten. Das von ihnen geführte Aegis Media-Controlling habe ausschließlich die Ist-Werte der Freispots überprüft, nicht jedoch die Soll-Werte prüfen können. Sie hätten Abläufe nicht hinterfragen können und daher keine Kontrollmöglichkeit bei der Bezahlung der Scheinrechnungen von Emerson FF gehabt, über die 30 Mio. Euro zu den Firmen der Angeklagten geflossen sind. Insgesamt sind 51,2 Mio. Euro unter den Augen von Andreas Bölte und Hans-Henning Ihlfeld bei Aegis Media abgeflossen – ein Großteil dessen nach der als anonym getarnten ersten Strafanzeige vom 5. Juli 2005.
Am selben Tag will das Gericht den Gründer des Aegis Media-Vorgängers HMS & Carat, Kai Hiemstra, als Zeugen hören. Er soll zum Zustandekommen seiner eigenen Treuhandfirma namens PLV Programm- und Lizenzvermarktungsgesellschaft bürgerlichen Rechts aussagen. Hiemstra hatte diese nach dem Gericht vorliegenden Unterlagen im März 1998 gegründet. Im Februar 1998 hatte Kai Hiemstra gemeinsam mit seinem damaligen HMS&Carat Finanzchef Hans-Henning Ihlefeld und zwei weiteren der HMS&Carat nahestehenden Personen eine Vollmacht zur Errichtung der Gesellschaft erteilt. Bei der Vernehmung von Ihlefeld wurde beispielsweise deutlich, dass diese externe Treuhandfirma von HMS&Carat einen Kredit über 10 Mio. DM erhalten haben soll. Aleksander Ruzicka hatte ausgesagt, dass er seine Treuhandfirma Camaco nach genau diesem Vorbild errichtet hätte. Nicht nur die Anzahl der vier Treugeber, sondern auch die Geldflüsse von Aegis Media zu Emerson FF seien identisch zu denen von HMS&Carat zu PLV und weiter zu diversen Subfirmen, so Ruzicka.
Zudem befindet sich in der als anonym getarnten Anzeige ein Flowchart, das nur jemand hätte wiedergeben können, der die vertraulichen Abläufe der PLV gekannt hat, so Ruzicka.
Zudem sei das Prinzip PLV der damaligen Miteigentümerin Aegis plc. in London bekannt gewesen und mindestens gebilligt worden. Offenbar soll Kai Hiemstra auch zu seiner möglichen Rolle im Zuge der als anonym getarnten Strafanzeige gegen Ruzicka befragt werden. Hiemstra hatte im Herbst 2005 die MPG-Tochter Werbekraft gegründet und mit deBeukelaer bereits einen ersten Großkunden von Aegis Media abgeworben. Ruzicka, der zu diesem Zeitpunkt Aegis Media führte, hatte im Jahr 1999 Hiemstras Posten als CEO der Mediaagentur übernommen. Dem Vernehmen nach soll es zum Streit über die Art des Abgangs und die weitere Rolle von Kai Hiemstra in der von ihm gegründeten Mediaagentur gekommen sein, die Aleksander Ruzicka im Jahr 2003 in Aegis Media integrierte.
Auch der Geschäftsführer der Control Risks Deutschland GmbH Hans-Jürgen S. ist als Zeuge nach Wiesbaden geladen worden. Er soll vom Gericht dazu befragt werden, wer ihm wann welchen Auftrag zu Recherchen gegen Aleksander Ruzicka erteilt hat. Aegis Media CEO Andreas Bölte hatte im August ausgesagt, dass die Wirtschaftsdetektei Ende 2005 / Anfang 2006 beauftragt wurde. Jedoch sollen bereits bei Auftragerteilung die Namen von Ruzickas Firmen Camaco oder Watson gezielt genannt worden sein. Sie wären daher nicht erst nach den Recherchen oder den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bekannt geworden. Zudem soll die Rechnung von Control Risks von der Aegis plc. in London bezahlt und der Abschlussbericht in englischer Sprache verfasst worden sein. Aegis plc. will jedoch erst zwei Jahre später, im Herbst 2007, über die Vorgänge rund um ihrem damaligen Zentraleuropa CEO, Aleksander Ruzicka, informiert worden sein.
Um die Erstattung von außertariflichen Vorteilen zugunsten des Carat-Kunden ZHP zu beurteilen, wird der damalige New Business Director von Carat Wiesbaden, Sven T., als Zeuge vernommen. Somit ist der Prozess bis mindestens Mitte Dezember terminiert. Das Gericht ließ verlauten, dass die Zeugenplanung hiernach vorläufig abgeschlossen sei. Weitere Beweisanträge seien aber dennoch möglich.
So wird hinter den Kulissen offenbar hektisch versucht, die gesondert verfolgte Claudia Jackson zu einer Rückkehr nach Deutschland und einer Aussage zu bewegen. Claudia Jackson war gemeinsam mit David Linn geschäftsführend im Media-Einkauf von Aegis Media tätig. Jackson wird die mutmaßliche Scheinfirma Ortago zugerechnet. Sie gilt zudem als enge Vertraute vom ehemaligen Mediadirektor von Ferrero, Herbert K. Dieser war im Februar bei Ferrero entlassen worden. Eine Mediafirma seiner Frau soll 250 000 Euro von der mutmaßlichen Scheinfirma Emerson FF erhalten haben, was K. bei Ferrero verschwiegen haben soll. Ferrero ist seit über 20 Jahren Kunde bei HMS & Carat beziehungsweise der heutigen Aegis Media-Tochter Vizeum. Bereits vor den Hausdurchsuchungen hatte Claudia Jackson ihren Lebensmittelpunkt nach Argentinien verlegt. Sie soll dort eine Ranch betreiben, deren Kauf über eine der mutmaßlichen Scheinfirmen abgerechnet wurde. Überraschend, dass Claudia Jackson vor Prozessende aus eigenem Antrieb heraus eine Rückkehr nach Deutschland planen soll. Im Oktober 2006 wurde auch gegen sie ein Haftbefehl erlassen. Ob dieser noch immer aufrecht ist, wollte die Staatsanwaltschaft Wiesbaden aus ermittlungstaktischen Gründen nicht kommentieren.
Jacksons engste Mitarbeiterin, Manuela Rasmussen, kam im März erst im zweiten Versuch aus Dänemark nach Wiesbaden. Sie hatte zuvor den Entwurf eines Strafbefehls gegen sich zur Einsicht erhalten. Dieser wurde nach ihrer Aussage im Sinne der Anklage dem Amtsgericht Wiesbaden vorgelegt. Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden bestreitet, dass es Absprachen über den Inhalt von Rasmussens Aussage oder freies Geleit gab. Rasmussen will Schweigegeld für etwas erhalten haben, das andere Zeugen als „Flurgespräch“ bezeichnet hatten – nämlich den Grund des Einsatzes von Emerson FF. Rasmussen ist inzwischen rechtskräftig zu einer Haftstrafe von einem Jahr auf Bewährung und 10 000 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Rasmussen hatte über ihre Firma Transportland Media insgesamt 427.000 Euro erhalten. Dieser Gewinn wurde weder abgeschöpft noch seitens der mutmaßlich geschädigten Aegis Media eingeklagt, wie deren CEO Andreas Bölte im August vor Gericht aussagte.
mz