Gehen Ihnen die Debatten um die Frage, wieviel Homeoffice es künftig denn nun sein darf, auch gerade auf die Nerven? Spätestens seit Amazon CEO Andy Jassy vor ein paar Wochen seine Leute zurück ins Büro beorderte überschlagen sich in Wirtschafts- und Fachmedien die Expertenmeinungen zu der ultimativ richtigen Quote aus Home und Real Office. Ist „4 zu 1“ am effizientesten, macht „3 zu 2“ die Leute am glücklichsten, braucht es 100% Flexibilität oder nur 57% oder verspricht vielleicht – wie seinerzeit bei Harry Potter – 9 3/4 den Eintritt in die hybride Zauberwelt? Die einen feiern gerade die Lagerfeuerromantik gemeinsamer Bürozeiten und frönen dem offenbar lange Zeit so überaus schmerzlich vermissten Kantinen Flair, die anderen predigen die Flexibilität selbstbestimmter Remote Einsätze und die beruhigende Wirkung der Jogginghose am heimischen Schreibtisch. Fakt ist: „Die Büros füllen sich wieder“, wie es der Bitkom gerade in seiner neuen Studie schreibt. Aktuell arbeiten noch gut zwei Drittel (68 Prozent), die von ihrem Arbeitgeber die Möglichkeit dazu bekommen, vollständig oder teilweise im Homeoffice. Im vergangenen Jahr waren es fast drei Viertel (74 Prozent).
Fakt ist aber auch: Wissensarbeit wird auf lange Sicht hybrid sein, und hybride Arbeit wird individuell sein. Wobei individuell keineswegs nur die Menschen meint, sondern explizit auch die Organisationen, in denen hybrid gearbeitet wird. Allerdings wird letzteres in den aktuellen Debatten leider allzu häufig vernachlässigt. Hybride Arbeit kann nicht nur individueller Selbstverwirklichung der Mitarbeitenden dienen. Hybride Arbeit muss auch die individuellen Bedürfnisse der Arbeitgebenden beachten – und die hängen von unzähligen Faktoren ab: Unternehmensgröße, Unternehmens- und Mitarbeiterstruktur, Branche, Produkt, Wettbewerb, Internationalität, Diversität, kultureller Reifegrad, real existierende oder auch real nichtexistierende Führungskräftefähigkeiten – you name it.
Das bedeutet: Jede Organisation, jeder Bereich, jedes Team braucht eigene Homeoffice-Lösungen und eigene Homeoffice-Regeln. Es geht nicht um 5/9 oder 7/8. Es geht um Analyse, Abmachungen, Ansagen und Austausch. Das kostet Mühe und Zeit, doch diese Arbeit muss getan werden – und zwar individuell, unaufgeregt und schnell. So simpel, so komplex.
Wechselwillige und Wechselunwillige
Warum ist das wichtig? Weil Homeoffice trotz aller Prominenz des Themas nur eine Facette im War for talents ist, wenn auch für viele sicher eine der kriegsentscheidenden (um nochmal ganz kurz im martialischen Bild zu bleiben). Wer sich aber nicht in Harry Potters Zauberwelt verzetteln will, braucht einen Blick – oder auch eine Rückbesinnung – auf weitere Kriterien, die Mitarbeitenden nach wie vor mindestens ebenso wichtig sind. So zeigt der Trendreport „New Work“ von Randstad, dass 67 Prozent der Befragten ein „gutes Gehalt“ besonders wichtig für eine interessante Arbeitsstelle finden, Platz eins im Ranking. Auf Platz 3 folgt mit 50 Prozent ein gutes Betriebsklima, auf Platz 4 mit 47 Prozent die eigene Jobsicherheit. Homeoffice rankt übrigens mit 31 Prozent auf dem achten und letzten Platz, was aber auch damit zusammenhängt, dass Randstad nicht nur Wissensarbeiterinnen und -arbeiter befragt hat.
Vor allem Platz 4 im Ranking, also das Kriterium „Jobsicherheit“, ist interessant. denn es macht deutlich: Neben den Scharen Wechselwilliger, die Arbeitgebenden und HR-Managern gerade den Schlaf rauben, gibt es auch sehr viele Menschen, die in multiplen Krisenzeiten wie diesen überhaupt nicht daran denken, den Job zu wechseln. Im Gegenteil.
Die Hälfte der gerade vom Bundesverband Deutscher Unternehmensberatungen (BDU) befragten Personalberaterinnen und Personalberater, geben an, dass die Wechselwilligkeit der Kandidatinnen und Kandidaten merklich zurückgegangen sei. „Wir erleben zunehmend risikoscheuende Mitarbeitende, die einen Arbeitgeberwechsel auf vermeintlich sicherere Zeiten verschieben“, sagt Arne Adrian, Vorsitzender des Fachverbandes Personalberatung. Hinzu komme, dass der Arbeitsmarkt es zulasse, dass veränderungswillige Bewerbende auf die perfekte Stelle warten. „Beides zusammen macht die Personalsuche noch herausfordernder und aufwändiger. Kandidatinnen und Kandidaten müssen in hohem Maße motiviert und überzeugt werden, damit ein Stellenwechsel als vorteilhaft empfunden wird“, so Adrian. Mit anderen Worten: Wer derzeit neue, gute Leute sucht, muss sich doppelt und dreifach strecken.
Mental Health wird immer relevanter
Und das ist noch nicht einmal das größte Problem: Schaut man sich die Zahlen des soeben erschienen Axa Mental Health Report 2023 an, kommen auf Arbeitgebende künftig noch weitaus schwerwiegendere Herausforderungen zu. Danach sagen 41 Prozent der 18- bis 34-jährigen Frauen in Deutschland, dass sie aktuell psychisch erkrankt seien. Was für ein Wert! Fast die Hälfte aller jungen Frauen gibt demnach an, unter Depressionen, Angststörungen, Essstörungen, Zwangsneurosen oder anderen psychischen Erkrankungen zu leiden. Zwar hängen diese Erkrankungen nur in seltenen Fällen mit der Arbeit zusammen. Laut Report sagt die Mehrheit der Deutschen, dass die steigenden Preise (89 Prozent), der Krieg (81 Prozent) und der Zustand der Wirtschaft (76 Prozent) einen negativen Einfluss auf ihr emotionales Wohlbefinden haben. Bei den 18- bis 24-Jährigen kommen persönliche Faktoren wie das eigene Körperbild (75 Prozent) und gesellschaftliche Erwartungen (75 Prozent) hinzu. Dennoch müssen derlei Zahlen auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber alarmieren. Schließlich haben psychische Erkrankungen nicht nur große Auswirkungen auf Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit. Vor allem machen sie aus Mitarbeitenden Hilfesuchende, die auch im Arbeitsumfeld dringend Unterstützung brauchen.
Diversity engagierte Frauen im HR-Bereich
Trotzdem oder gerade deshalb zu guter Letzt noch zwei positive Nachrichten. Laut AllBright Stiftung ist der Frauenanteil in den Vorständen der Unternehmen in DAX, MDAX und SDAX in den vergangenen sechs Monaten weiter gewachsen und lag am 1. März 2023 bei 17,1 Prozent (1. September 2022: 14,2 Prozent). Beiersdorf und DWS haben nach dem 1. September 2022 jeweils eine weitere Frau in den Vorstand berufen und gehören nun neben Airbus, Allianz, Deutsche Telekom und Mercedes Benz zu den sechs Unternehmen an der Frankfurter Börse, in deren Vorständen bereits je drei Frauen arbeiten.
Dazu passt eine weitere Nachricht von vergangener Woche. Das Diversitätsnetzwerk Beyond Gender Agenda hat für seine neue Kampagne „Top 100 Women for Diversity 2023“ die 100 Frauen in Deutschland identifiziert, die nach Ansicht der Macherinnen und Macher selbst erfolgreich sind und andere Frauen auf deren Weg zum Erfolg unterstützen. Die Fachzeitung „Personalwirtschaft“ hat sich die Mühe gemacht, jene Frauen unter den Top 100 zu zählen, die Jobs und/oder Verantwortung im HR-Bereich deutscher Unternehmen haben, und das sind immerhin 26. Darunter Birgit Bohle (Vorständin Personal und Recht, Arbeitsdirektorin, Deutsche Telekom), Maria Ferraro (Chief Financial Officer and Member of the Executive Board, Chief Inclusion & Diversity Officer, Siemens Energy), Susanna Nezmeskal-Berggötz (Vice President Diversity & Values, Deutsche Post DHL Group), Nicole Peper (Country People & Culture Manager Ikea Germany), Ariane Reinhart (Vorständin für Personal, Nachhaltigkeit und Arbeitsdirektorin, Continental) und Manuela Rousseau (Stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und Diversitybeauftragte, Beiersdorf) – um nur einige zu nennen.
In diesem Sinne: Einen zauberhaften Start in die Woche und bleiben Sie gut drauf!