Immer mehr Menschen in Deutschland reduzieren ihren Fleischkonsum oder verzichten ganz auf Fleisch. Laut dem Allensbacher Institut ernähren sich mittlerweile 7,8 Prozent der Deutschen vegetarisch oder vegan. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Ablehnung der nicht artgerechten Massentierhaltung, der Kampf gegen die Umweltverschmutzung, Skandale um schlechte Arbeitsbedingungen bei großen Fleischproduzenten wie Tönnies.
Nachhaltigkeits- und Arbeitsschutzthemen rücken seit Jahren immer mehr in das gesellschaftliche Bewusstsein. Die Tendenz, weniger Fleisch zu essen, überrascht also wenig, doch die Zahlen können stutzig machen: Das Bundesinformationszentrum für Landwirtschaft (BLZ) hatte gerade erst veröffentlicht, dass der Pro-Kopf-Konsum von Fleisch in Deutschland so niedrig ist wie noch nie – und das stimmt: tatsächlich ist er auf 52 Kilogramm gesunken. Das ist ein Rückgang von 7,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Aktuelle Zahlen zeigen aber auch, dass die innerdeutsche Produktion von Fleisch insgesamt zwar ebenfalls zurückgeht, weniger jedoch als der Konsum: 2022 entsprach sie 116 Prozent des Inlandbedarfs. Um die Versorgung anzupassen und die Überproduktion zu verringern, entwickelt die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) jetzt ein neue Methodik zur Berechnung des Fleischbedarfs. Sie soll noch in diesem Jahr zum Einsatz kommen.
Die „großen Vorhaben“ der Ampel-Koalition
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unter der Führung des Grünen-Ministers Cem Özdemir hat sich viel vorgenommen. Zu den Zielen des Koalitionsvertrags gehört unter anderem eine verbesserte Tierhaltung in der Fleischproduktion. Die Beobachtungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass Nachhaltigkeitsziele nur dann erreicht werden können, wenn alle Beteiligten konsequent mitziehen.
Doch zwischen Produktion und Konsum steht noch ein wesentlicher Schritt: Auch im Lebensmittelhandel müssen Veränderungen her – und sie kommen. Özdemir fordert die Verpflichtung zur besseren Selbstauskunft von Fleischproduzenten: Studien von Greenpeace aus den letzten Jahren hatten gezeigt, dass das vermeintlich hochwertigere Fleisch von Frischetheken bei Lebensmittelgeschäften häufig aus den schlechtesten Haltungsstufen kommt und Verbraucher*innen keine Möglichkeit haben, dies bei ihrem Einkauf zu berücksichtigen, weil unverpackte Fleischprodukte keiner Auszeichnungspflicht unterliegen. Neue Label sollen eingesetzt werden, um einen bewussten Konsum zu erleichtern.
Das Problem mit der Inflation
Im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wurde auch die deutsche Wirtschaft schwer getroffen. Die Preise vieler Lebensmittel steigen seit Mitte letzten Jahres drastisch an. Das gilt vor allem auch für verschiedenste Fleischprodukte und geht auf gestiegene Produktionskosten zurück. Sollten die angedachten Neuregelungen in der Agrarpolitik umgesetzt werden und in Kraft treten, wird mit noch viel stärkeren Preissteigerungen zu rechnen sein: denn artgerechte und nachhaltigere Tierhaltung ist auch unabhängig von Krisen teuer.
Özdemir versucht die deutschen Landwirt*innen derweil dazu zu motivieren, statt aufgrund gestiegener Kosten aufzugeben, bei den Erneuerungen mitzugehen und den Umstieg auf bessere Haltungsbedingungen und mehr Qualität mitzugestalten. Die zentrale Frage, wie mit den steigenden Kosten umgegangen werden soll, ist jedoch unklar, sowohl für Landwirtinnen als auch für Verbraucher*innen.
Billigfleisch im Discounter – ein Abschied?
Seit Jahren kritisieren Tierschützer nicht nur Konsument*innen dafür, Fleisch mit zu wenig Bewusstsein zu kaufen, sondern auch die Lebensmittelhändler. Letztere würden ihre Regale mit Billigfleisch füllen und zu wenig Fleisch mit hoher Qualität und aus den besseren Haltungsformen anbieten. Die Nachfrage nach Billigfleisch ist aber nach wie vor hoch, vor allem angesichts der aktuell steigenden Preise wird kein starker Rückgang der Nachfrage erwartet. Trotzdem begannen die ersten Lebensmittelhändler schon vor Jahren damit, sich selbst Grenzen zu setzen.
Besonders bei Menschen der jüngeren Generation ist der Fleischkonsum stark zurückgegangen. Deshalb und der Umwelt zur Liebe kündigte Lidl kürzlich an, in Zukunft fast gar kein Fleisch mehr im Sortiment anbieten zu wollen. Stattdessen soll das Angebot von proteinbasierten Ersatzprodukten stark steigen. Christoph Graf, Lidl-Chefeinkäufer für den deutschen Markt, begründete die Konzernentscheidung auf der Messe „Grüne Woche in Berlin“ mit Blick auf Nachhaltigkeit: „Weil es keinen zweiten Planeten gibt.“ Damit positioniert Lidl sich noch stärker als andere Lebensmittelhändler wie Aldi.
Lidl hatte bereits im April 2018 einen “Haltungskompass” für eigene Tierprodukte eingeführt. Nachdem andere Lebensmittelketten mit eigenen gefolgt waren, die Kennzeichnung seiner Fleischprodukte in eigenen Systemen in Haltungsstufen einzuteilen, einigten sich die großen Lebensmittelketten auf eine einheitlichen “Haltungsform-Kennzeichnung”, welche seit April 2019 eingeführt wurde, um Kund*innen zu ermöglichen, die Haltungsbedingungen der gekauften Produkte besser nachzuvollziehen. Aldi gibt an, schon jetzt mehr als 90 Prozent aus der Haltungsform 2 zu beziehen. Bis 2030 sollen bei Rewe, Penny und Aldi nur noch Fleischprodukte aus den Haltungsformen 3 und 4 verkauft werden. Kaufland und Lidl verzichten laut eigenen Angaben bereits seit 2021 völlig auf den Verkauf von Fleisch aus Haltungsform 1 – mit Ausnahmen im Exportbereich. Womöglich hat neben einem ökologischen Gewissen auch die verschärfte Kennzeichnungspflicht von Fleischprodukten und ihren Haltungsformen auf derartige Entscheidungen gedrängt.
Bloß Worte oder auch Taten?
Die Versprechen großer Lebensmittelketten, ihre Nachhaltigkeitsstrategie mit großer Ernsthaftigkeit auszubauen und den Verkauf von Fleisch an Tierprodukte aus tiergerechterer Haltung anzupassen, werden häufiger – und lauter. Ob allen Worten auch Taten folgen oder es am Ende doch bei bloßen PR-Statements bleiben wird, bleibt abzuwarten.