Verkaufen kann jeder, wenn man ihm das kleine Ein-mal-Eins des Verkaufens vermittelt. Dieses Credo steckt unausgesprochen in den Köpfen vieler Entscheider von Unternehmen. Entsprechend verfahren sie häufig bei der Auswahl ihrer Vertriebsmitarbeiter. Wird zum Beispiel ein Mitarbeiter in der Produktion oder im Innendienst nicht mehr benötigt, entscheiden sie: Ab dem nächsten Monat arbeitet „der Mayer“ oder „die Müller“ im Vertrieb. Hurtig wird der Mitarbeiter dann noch auf zwei, drei Verkaufsseminare geschickt. Danach kann er sicher verkaufen.
Dieses Verfahren kann man aktuell auch beim Umstrukturieren vieler Unternehmen aufgrund der Finanzkrise beobachten – nicht nur bei Banken und Versicherungen, sondern auch bei Herstellern von Investitionsgütern. Getreu der Maxime: Bevor wir zum Mittel „betriebsbedingte Kündigung“ greifen oder dem Mitarbeiter eine hohe Abfindung bezahlen müssen, stecken wir ihn doch besser in den Vertrieb.
Bestärkt wurden die Personalverantwortlichen der Unternehmen in den zurückliegenden Jahren in diesem Vorgehen vielfach dadurch, dass es (scheinbar) funktionierte. Da die Wirtschaft boomte, stimmten auch die Zahlen. Also Bestand kein Anlass nachzufragen: Schöpfen unsere Verkäufer die Markt- und Kundenpotenziale aus? Und: Inwieweit entspricht die Ausbildung unserer Verkäufer und die Unterstützung, die wir ihnen im Vertriebsalltag gewähren, den Erfordernissen des Marktes? Schließlich stimmten ja die Zahlen – auch wenn manch Mitbewerber besser war.
Doch allmählich ändert sich diese Denke – auch aufgrund der Krise. In ihr sammeln viele Unternehmen die schmerzhafte Erfahrung: Unsere Vertriebsmitarbeiter können sich zwar in Schönwetterlagen im Markt behaupten. Doch wenn ihnen der Wind rau ins Gesicht bläst, sind sie überfordert. Spätestens dann benötigen sie eine systematische Unterstützung. Sonst gelingt es ihnen weder die Noch-Nicht-Kunden zu identifizieren, bei denen sich ein Engagement lohnt, noch bei bestehenden Kunden zusätzliche Absatzchancen zu identifizieren.
Und schon gar nicht können sie die heutigen Interessenten zu einer Kaufentscheidung und damit zu Kunden machen. Unter anderem, weil sie zwar zum Beispiel eine Ingenieur- oder Technikerausbildung oder eine Ausbildung zum Bank- oder Versicherungskaufmann/-frau absolviert haben, aber nie eine Verkäuferausbildung. Und dem entspricht nicht nur ihre Denke, sondern auch ihr berufliches Selbstverständnis und Handeln.
Besonders nachhaltig machen diese Erfahrung zur Zeit alle Anbieter erklärungsbedürftiger Güter und solche, die für ihre Kunden maßgeschneiderte Problemlösungen entwerfen – wie zum Beispiel viele Banken und Versicherungen sowie Hersteller von Investitionsgütern. Denn an ihre Verkäufer werden im Arbeitsalltag höhere Anforderungen gestellt als an die meisten Konsumgüterverkäufer wie Bäckerei- oder Fleischereifachverkäufer, deren Aufgabe im Wesentlichen darin besteht, den Kunden nach Betreten des Ladens freundlich zu begrüßen, die gewünschte Ware über die Theke zu reichen und den Kunden abzukassieren.
An die Verkäufer erklärungsbedürftiger Güter sowie von Problemlösungen, die im Dialog mit dem Kunden entwickelt werden, werden andere und höhere Anforderungen gestellt. Sie müssen unter anderem zunächst die Erfolg versprechenden Kunden identifizieren können. Sie müssen Strategien entwerfen können, wie sie diese Zielkunden kontaktieren, und ihnen bildhaft vor Augen führen „Das, was ich Ihnen anbiete, könnte Ihnen von Nutzen sein“. Doch dies allein genügt nicht: Danach müssen sie im Kontakt mit dem Kunden diesen Schritt für Schritt zur Kaufentscheidung führen – also zu dem Punkt, an dem er sagt „Ja, das will ich haben“.
Dies alles ist eine schwierige und hochkomplexe Aufgabe – nicht nur, weil die Kundenbedürfnisse beim Vertrieb von Computer- und Produktionsanlagen, Wartungsverträgen und Finanzierungskonzepten viel vielschichtiger als beim Verkauf von Brötchen oder Frikadellen sind. Hinzu kommt: An der Kaufentscheidung speziell für Investitionsgüter und Industriedienstleistungen sind in der Regel mehrere Personen beteiligt. Und was von besonderer Bedeutung ist: Der Verkauf dieser Güter und Dienstleistungen ist ein Prozess.
Und zwar ein Prozess, der sich anders als beim Verkauf von Wurst, Brot und Käse nicht nur über zwei, drei Minuten, sondern häufig über Wochen und Monate, zuweilen sogar Jahre erstreckt. Und nur, wenn die Verkäufer diesen Prozess in allen Phasen professionell gestalten, ist er von Erfolg gekrönt. Und genau hierbei benötigen sie eine aktive Unterstützung. Doch welche?
Das klassische Vorgehen der Unternehmen, wenn sie verkäuferische Defizite bei ihren Mitarbeitern registrieren, ist: Sie schicken diese in ein Seminar. Zum Beispiel zum Thema „Aktiv verkaufen“. Oder „Einwandbehandlung“. Oder „Gebietsmanagement“. Als Folge davon zählen die Verkäufer und Vertriebsmitarbeiter zu den am intensivsten trainierten Mitarbeitergruppen in den Unternehmen. Mit nahezu traumwandlerischer Sicherheit können sie deshalb oft, wenn man sie danach fragt, herunterbeten, wie zum Beispiel ein Verkaufsgespräch aufgebaut sein sollte.
Auch dass das „Nein des Kunden“ häufig übersetzt bedeutet „Jetzt nicht“ oder „Unter diesen Konditionen nicht“, wissen sie. Trotzdem bringen sie im Vertriebsalltag vielfach nicht die berühmten „PS auf die Strasse“. Warum? Ihr Kopf ist zwar mit Wissen vollgestopft, aber sie können dieses nicht auf ihren Arbeitsalltag und auf den Kontakt mit dem Kunden Schmidt oder Schulz übertragen.
Das haben in den zurückliegenden Jahren viele Unternehmen erkannt. Deshalb reifte in ihnen die Erkenntnis: Es genügt nicht, wenn wir unsere Mitarbeiter mehr oder minder regelmäßig auf Seminare schicken. Wir müssen sie auch im Vertriebsalltag unterstützen – zum Beispiel dabei, für bestimmte Kunden oder Kundengruppen, Marktsegmente oder Produkte die erforderlichen Handlungsstrategien zu entwerfen und umzusetzen. Und diese Aufgabe wahrzunehmen, wurde zurecht als Führungsaufgabe definiert, die zwar im Einzelfall an erfahrene Mitarbeiter oder externe Vertriebsberater delegiert werden kann, aber unabhängig davon eine Führungsaufgabe bleibt.
Entsprechend oft hört man im Gespräch mit den Personalverantwortlichen von Unternehmen „Unsere Führungskräfte sollen ihre Mitarbeiter coachen“. Die Praxis zeigt aber: Die Führungskräfte im Vertrieb nehmen diese Aufgabe zumeist ungenügend wahr. Und: Sie fühlen sich von ihr überfordert. Aus vielerlei Gründen. Der zentrale Punkt ist: Beim Vorbereiten ihrer Führungskräfte auf ihre Coachingaufgabe verfahren die Unternehmen oft wie beim Vorbereiten ihrer Verkäufer auf ihre Verkäuferaufgaben: Sie schickten die Führungskräfte auf Seminar. In der zwei, dreitägigen Veranstaltung erfuhren sie dann, warum ein Coachen der Mitarbeiter wichtig ist. Außerdem lernen sie die relevanten Coachinginstrumente kennen. Und danach erhalten sie den Auftrag: Coacht fortan eure Mitarbeiter.
Übersehen wird dabei, dass ein erfolgreiches Coachen der Mitarbeiter ein bestimmtes Selbstverständnis der Führungskraft voraussetzt und dass das Entwickeln der Mitarbeiter ein Prozess und kein punktueller Akt darstellt, der ebenso gezielt und professionell gestaltet und gemanagt werden muss wie das Führen von Kunden zur Kaufentscheidung.
Nicht ausreichend beachtet wird bei einem solchen Vorgehen zudem, dass das erforderliche Selbstverständnis und die nötige Kompetenz zum Coachen von Mitarbeitern (ebenso wie das entsprechende Selbstverständnis und die erforderliche Kompetenz bei Verkäufern) nicht über Nacht vom Himmel fällt. Das für ein erfolgreiches Coachen der Mitarbeiter erforderliche Selbstverständnis der Führungskräfte muss reifen. Und die für das Coachen nötige Kompetenz muss sich in einem längerfristigen Trial-and-Error-Prozess, bei dem das eigene Handeln immer wieder gezielt analysiert und hinterfragt wird, allmählich entwickeln.
Das erkennen immer mehr Unternehmen. Deshalb bilden sie ihre Führungskräfte zunehmend berufsbegleitend zu Vertriebs- oder Salescoachs aus. Diesen Weiterbildungen ist gemeinsam, dass sie sich in der Regel über einen längeren Zeitraum erstrecken – zum Beispiel zwölf oder 15 Monate. Des Weiteren: Sie sind modular aufgebaut. Das heißt: Das für das Coachen nötige Wissen wird den Führungskräften nicht „en bloc“ vermittelt, sondern in wohldosierten Portionen.
Ähnlich wie bei einer guten Verkäuferausbildung. Auch dort wird den (angehenden) Verkäufern das erforderliche Know-how nicht in einem ein-, zweiwöchigen Kompaktseminar vermittelt. Vielmehr wird ihnen dieses Know-how in einer Vielzahl von kleinen Schulungseinheiten beigebracht, an die sich jeweils Praxisphasen anschließen, in denen die Verkäufer das Gelernte in ihren Arbeitsalltag übertragen. Und erst wenn sich das bereits Gelernte bei ihnen verankert hat, wird das nächste Thema aufgegriffen.
Ein weiteres Merkmal einer guten Sales- oder Vertriebscoach-Ausbildung ist: Das Lernen erfolgt in den einzelnen Modulen weitgehend anhand von konkreten Aufgaben und Fragestellungen aus dem Arbeitsalltag der Teilnehmer. Dies ist gerade bei Mitarbeitern im Vertrieb sehr wichtig – unabhängig davon, ob es sich hierbei um Verkäufer oder Führungskräfte handelt. Denn die Mitarbeiter im Vertrieb sind in der Regel pragmatische Macher.
Das heißt: Wenn sie nicht unmittelbar erkennen, „Das ist für meinen Arbeitsalltag relevant“, haken sie die Inhalte der Ausbildung schnell unter der Überschrift „Das ist alles nur theoretisches Gequatsche“ oder „Das funktioniert in der Praxis nicht“ ab. Sie lassen sich also auf das, was ihnen vermittelt werden soll, erst gar nicht ein, und sind auch nicht bereit, ihr bisheriges Verhalten zu hinterfragen und neue Denk- und Verhaltensmuster zu entwickeln.
Das ist aber dafür, dass die Führungskräfte im Vertrieb ihre Aufgabe „Mitarbeiter coachen“ mit Überzeugung wahrnehmen, von fundamentaler Bedeutung. Deshalb starten die meisten Vertriebs- und Salescoach-Ausbildungen mit einem Baustein, in dem sich die Teilnehmer nochmals gezielt mit den Fragen befassen:
- Welches Selbstverständnis habe ich als Führungskraft?
- Was ist meine Aufgabe und meine Funktion in der Organisation? Und:
- Wie sollte ich mich verhalten sowie meinen Arbeitsalltag gestalten, damit ich meine Aufgabe in der Organisation erfülle?
Diese Selbstreflexion ist auch nötig, weil die Leistung der Führungskräfte im Vertrieb sehr stark an den erreichten Zahlen gemessen wird. Dem entspricht ihr Verhalten. Auch sie führen ihre Mitarbeiter häufig weitgehend über Zahlen und übersehen dabei, dass diese Zahlen das Ergebnis von Prozessen beziehungsweise eines Verhaltens sind, das (sie und) ihre Mitarbeiter in den zurückliegenden Monaten zeigten. Sie übersehen im Vertriebsalltag zudem oft, dass es nicht ihr Job als Führungskraft ist, das (Nicht-)Erreichen der gewünschten Zahlen zu konstatieren. Ihr Aufgabe ist es vielmehr, die Prozesse in ihrem Bereich so zu gestalten und ihre Mitarbeiter im Vertriebsalltag so führen, dass die definierten Ziele erreicht werden.
Genau dieses Bewusstein gilt es, in der Vertriebs- beziehungsweise Salescoach-Ausbildung bei den Führungskräften zu wecken. Denn dann nehmen sie, sofern ihnen im weiteren Verlauf der Ausbildung auch das erforderliche Können für das Coachen der Mitarbeiter vermittelt wird, diese Aufgabe auch in ihrem Arbeitsalltag wahr.
Klaus Kissel ist Geschäftsführer bei ifsm Institut für Salesmanagement in Urbar.