Grüne Verteilungskämpfe

Die Fronten zwischen denen, die Verbote zugunsten der Umwelt fordern, und jenen, die ihre Freiheit nicht einschränken wollen, verhärten sich. Fürs Marketing entscheidet der Ausgang der Diskussion auch über Produkt- und Preisstrategien.
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Wie viele Verbote verträgt die Freiheit? Eine spannende Frage auch für das Marketing. (© Pixabay)

Alte Welt und neue Welt liegen manchmal erstaunlich dicht beisammen. Bei der DOOH Creative Challenge des Institute for Digital Out of Home Media (IDOOH) gewann diesen Herbst in der Rubrik „YoungStars“ ein Team der Hochschule Ansbach.  

Die Studierenden war ein optisch spektakuläres Werk gelungen: künstlerische 3D-Animationen zu Themen wie Naturkatastrophen, gefährdete Arten oder Massenkonsum. Das IDOOH würdigte „Entangled Futures“ (Verwobene Zukunft) als herausragende Umweltkampagne. Sie wurde auf der riesigen Werbetafel eines Wolkenkratzers in Singapur ausgestrahlt, weil mit der Nanyang Technological University auch eine Hochschule des Stadtstaats vertreten war. 

Außen Umweltkampagne, innen CO2-Schleudern 

Tolle Sache, nur: Was ist das eigentlich für ein Hochhaus, in dessen Fassade das über mehrere Etagen laufende Billboard integriert ist? Die Recherche bringt eine Überraschung: Der Neubau Ten Square gehört dem Eigentümer eines Autohauses namens „Autobahn Motors“. Aufgebaut wie ein Verkaufsautomat, sind in dem 15-stöckigen Gebäude ausschließlich Luxusschlitten und Oldtimer im Angebot; Modelle, die gemeinhin als Männerspielzeuge bezeichnet werden: Porsche Carrera, Maserati Quattroporte, Lamborghini Huracan. Garantiert vergangenheitsorientiert – und natürlich benzingetrieben.   

Das Billboard immerhin ist laut Projektwebsite energiesparend. Von Ökostrom ist nicht die Rede, auch nicht von Klimaneutralität oder CO2-Ausgleich. In Deutschland, so darf man trocken hinzufügen, wäre das nicht passiert. Lässt sich die Außenwerbung hierzulande doch kaum eine Chance entgehen, sich grün zu präsentieren. Ironie beiseite: Es ist wirklich bemerkenswert, was sich große und kleine Vermarkter in den vergangenen Jahren haben einfallen lassen.  

Von Moos-Filter bis Vertical Garden

WallDecaux beispielsweise gleicht die CO2-Emissionen sämtlicher OOH-Kampagnen aus und experimentiert mit begrünten Bushäuschen, die offenbar sogar bedrohte Wildbienen zu schätzen wissen. Goldbach vermarktet CityBreeze-Stelen mit Moos-Filter und fördert E-Mobilität durch den Aufbau von Schnellladesäulen mit digitalen Werbescreens (erster Kunde: Ritter Sport vegan). Ströer-Tochter BlowupMedia gestaltet Riesenposter als Vertical Garden und mit luftreinigender Beschichtung; Ströer selbst ist dank ambitionierter Klimastrategie in diesem Jahr für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert.  

PoolOne Giant Media aus Hamburg wiederum zeigt, dass sich die Wertschöpfungskette analoger Kampagnen verlängert lässt, indem die Agentur Auftraggeber*innen anbietet, aus ihren Riesenpostern Taschen zu schneidern. Die Otto Group erhält auf diese Weise über 200 schicke Unikate, die zuvor eine Wand in St. Pauli zierten. 200 Taschen, das ist nicht viel, aber ein Anfang. 

Werbung erzeugt sieben Prozent der CO2-Emissionen 

Die Branche ist gut beraten, mit derlei Initiativen ihr Image zu verbessern, gerät Werbung insgesamt im Zuge des Klimawandels doch zunehmend unter Druck. Greenpeace Schweiz hat soeben eine Studie vorgelegt, nach der bis zu sieben Prozent der Schweizer CO2-Emissionen indirekt durch Werbung verursacht werden. In Berlin und Hamburg haben sich Initiativen formiert, die werbefreie Innenstädte fordern, nicht zuletzt wegen des Papier- und Energieverbrauchs von Plakaten; Genf hat bereits beschlossen, kommerzielle Werbetafeln von 2025 an zu verbieten.  

Dahinter verbirgt sich ein grundsätzlicher Konflikt, der sich in den kommenden Jahren noch verschärfen dürfte: Wem stehen wie viele Ressourcen zu, und wofür? Selbst Ökostrom ist ja (noch?) knapp, auch seine Produktion verschlingt Rohstoffe. Werbung ist dabei nur ein Bereich von vielen; der Streit um Stromsubventionen ist ebenfalls ein Verteilungskampf: Muss gerade der energieintensiven Industrie geholfen werden, damit sie die Umstellung auf Erneuerbare schafft – oder sollten im Gegenteil diejenigen belohnt werden, die wenig verbrauchen?

Oder die Kontroverse um E-Autos: Gehören Stromer gefördert oder sind sie, wie Greenpeace meint, ein Greenwashing-Trick der Autoindustrie, um die Verkehrswende hinauszuzögern? Fürs Marketing sind die gesellschaftlichen Antworten auf solche Fragen essenziell, weil sie über Produkt- und Preisstrategien mitentscheiden und letztlich auch darüber, welche Geschäftsmodelle überleben werden.

Werbung soll nachhaltiger verkaufen 

Nicht nur linke Aktivist*innen sehen sich im Recht, wenn sie Verbote von Produkten und Dienstleistungen fordern, die sie für umweltschädlich halten. Auf der anderen Seite verhärtet sich bei Wirtschaftsliberalen die Abneigung gegen Verhaltensvorschriften, weil sie Eingriffe in die Freiheit befürchten. Kompromisse erscheinen schwierig.

Derweil wachsen die Ansprüche ans Marketing von allen Seiten: Nach einer Umfrage der heute beginnenden Dmexco unter mehr als 5000 Verbraucher*innen und 300 Marketers soll Werbung Nachhaltigkeit künftig stärker unterstützen – und zugleich alle klassischen Verkaufsinformationen bieten, wie bisher. Für Agenturen dürfte, wie meine Kollegin Vera Hermes schrieb, das Thema in Zukunft deutlich relevanter werden. 

Nachhaltigkeitsdialog der Bundesregierung

Auch vor diesem Hintergrund könnte es eine gute Idee sein, an der Diskussion über die künftige Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung teilzunehmen. Der Bürgerdialog, der ausdrücklich auch die Wirtschaft einbezieht, beginnt am 19. Oktober mit einer Konferenz in Berlin; Anmeldung hier.  

Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick! 

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.