Fast könnte man meinen, die grüne Transformation der Wirtschaft habe sich erledigt. So wenig steht Nachhaltigkeit während der Bundestagswahl auf der politischen Agenda. Einer der Kanzlerkandidaten hat bereits verkündet, im Fall seiner Wahl die Ressorts Wirtschaft und Klima trennen zu wollen: Die gemeinsame Behandlung der Bereiche unter einem Dach sei eine „Fehlkonstruktion“.
Zugegeben, über Organisation lässt sich streiten. In diesem Fall allerdings scheint es weniger um eine formale Neuordnung als vielmehr um die Degradierung eines ungeliebten Politikfelds zu gehen. Silo-Politik mit Hintergedanken sozusagen. Es soll Unternehmen geben, die das ähnlich handhaben. Zum Beispiel, indem sie das Thema Nachhaltigkeit der Unternehmenskommunikation zuschlagen und die Produktion ungestört schalten und walten lassen.
Solche Parallelwelten können sich mitunter prächtig entfalten – und nebenbei heftigen Kollateralschaden anrichten, was mancher Vorstand erst dann bemerkt, wenn es Greenwashing-Vorwürfe hagelt. „Nachhaltigkeit stellt in Unternehmen eine strategische Querschnittsaufgabe dar“, schreiben Forschende der International School of Management Cologne. Eine vergleichbare Einsicht wünschen wir dem neuen Bundeskabinett, wie auch immer es aussehen wird.
„Bio-Gold“ aus Elektroschrott
Es gibt aber auch Dinge, die dezidiert getrennt werden sollten – Stichwort Recycling. Das im hessischen Zwingenberg beheimatete Unternehmen Brain Biotech hat zusammen mit der Schweizer PX Group eine Pilotanlage zur biologischen Rückgewinnung von Edelmetallen aus Elektroschrott vorgestellt.
Anders als bei konventionellen Lösungen wird das Rohmaterial nicht mit hohem Energieaufwand geschmolzen, sondern einem „mikrobiellen Bioleaching-Verfahren“ unterzogen: Mikroorganismen lösen die Edelmetalle aus. Die ersten „Bio-Goldnuggets“ wurden im vergangenen Jahr aus kommunalen Abfällen produziert, am Standort der PX Group im schweizerischen La-Chaux-de-Fonds. Wenn das keine glänzenden Aussichten sind.
Partnerschaft fürs Polyester-Recycling
Fortschritte macht Reju, eine Neugründung des Technologiekonzerns Technip Energies mit prominentem Chef: Patrik Frisk war zuvor CEO der Modemarke Under Armour. Das auf Polyester-Recycling spezialisierte Start-up, das in Frankfurt am Main seinen ersten „Regeneration Hub“ aufbaut, verkündete jetzt eine Partnerschaft mit Cibutex, eine auf B2B-Textilien spezialisierte Genossenschaft großer Reinigungsunternehmen wie Blycolin oder Lamme. Von ihnen wird Reju künftig gebrauchte Industrietextilien beziehen und sie chemisch recyceln.
Für die Genossenschaft liegen die Vorteile auf der Hand: Die Stoffe müssen nicht mehr entsorgt werden, ihre Wiederverwertung lässt sich nachweisen. Rückverfolgbarkeit und Skalierbarkeit seien „die Schlüsselkomponenten einer wirklich nachhaltigen textilen Kreislaufwirtschaft“, teilen die neuen Partner mit.
Plädoyer für eine „Baustoffwende“
Auch die Gebäudewirtschaft will Ressourcen sparen: Fünf einflussreiche Branchenplayer fordern eine „Baustoffwende“, unter ihnen der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes, der Baustoffhersteller Sievert und der Bund Deutscher Architekten. Regelwerke sollen angepasst werden, damit der Einsatz kreislauffähiger Baustoffe leichter wird. Klingt nach Nischenthema? Ist es aber nicht. Die Herstellung von Baustoffen für Gebäude verursacht rund acht Prozent der deutschen CO2-Emissionen.
Dabei ist Zirkularität gerade in diesem Bereich kein Hexenwerk, das zeigen Projekte wie The Cradle in Düsseldorf oder das Anna-Lindh-Haus in Berlin. Doch sie bleiben Ausnahmen, so lange Normen, Standards und Richtlinien auf konventionelles Bauen ausgelegt sind. „Die Bundesregierung muss Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung stärker priorisieren“, fordert Sievert-CEO René Grupp. Es gibt sie ja schon, die Putze und Mörtel mit einem Sekundärrohstoffanteil bis zu 100 Prozent. Was fehlt, sind Skaleneffekte.
„Meerwert Helau“: Fastnachtswagen sammelt Recyclingmüll
Ein besonders schönes und aktuelles Beispiel dafür, Produkte neu zu denken, ist in Rheinland-Pfalz zu besichtigen: Studierende der Hochschule Mainz bauen einen Fastnachtswagen mit einem riesigen Oktopus aus recyceltem Plastik, dessen Arme nach Pfandflaschen greifen – und das nicht nur im übertragenen Sinne: Närrinnen und Narren können ihren Pfandmüll bei Helfern rund um den Wagen abgeben.
„Meerwert Helau“ nennt sich das Projekt, das an die Verschmutzung der Meere erinnern und den Abfallberg nach Ende des Zugs reduzieren soll. Den Jecken in anderen Karnevalshochburgen zur Nachahmung empfohlen. Alaaf!
Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick!