Frau Urner, Sie sagen, dass ein Problem bei der Lösung des Klimawandels in der „erlernten Hilflosigkeit“ liegt, in die sich Menschen verfrachtet haben. Was bedeutet das?
Das Konzept wird seit mehr als 50 Jahren erforscht und meint ganz grundsätzlich die Überzeugung, nichts verändern zu können. Sprich: Das eigene Handeln spielt keine Rolle für den weiteren Verlauf. Es kann also nicht dazu beitragen, mögliche Auswege aus Krisen zu finden. Die ersten Versuche zur erlernten Hilflosigkeit wurden mit Hunden durchgeführt. Die lernen sehr schnell, wenn sie in eine Apparatur gesetzt werden, in der sie elektrischen Schocks ausgesetzt sind, dass sie der Situation nicht entfliehen können. Wenn sie in einer anderen Anordnung mit einem einfachen Sprung dem Schock entkommen könnten, sind sie nicht mehr in der Lage, das zu lernen.
Studien mit Menschen zeigen ähnliche Ergebnisse – wenn auch ohne Elektroschocks. Übertragen auf die Medien: Bekommen wir dort stets vermittelt, dass wir eh nichts tun können, „lernen“ wir genau das und gelangen zur Überzeugung, dass unser Handeln egal ist, da wir sowieso nichts ändern können.
Und wie kommen wir aus dieser Falle heraus?
Die Gegenspielerin der erlernten Hilflosigkeit ist die Selbstwirksamkeit. Während der Corona-Pandemie haben beispielsweise viele Menschen Brot gebacken und ihre Wohnungen renoviert. Das sind Tätigkeiten, die uns sehen und spüren lassen, dass unser Verhalten nicht folgenlos ist. Wir können der erlernten Hilflosigkeit also entkommen, wenn wir von unserer eigenen Wirksamkeit überzeugt sind.
Das zu lehren ist nicht nur Aufgabe von Universitäten und Schulen, sondern von sämtlichen gesellschaftlichen Teilbereichen inklusive der Wirtschaft und Unternehmen. Wenn Berufe sinnbefreit sind, ist das nicht nur auf individueller Ebene tragisch, sondern auch gesamtgesellschaftlich schädlich. Wollen wir Klimakrise & Co. besser begegnen, benötigen wir dringend eine Umgebung, die Menschen einlädt, aktiv zu werden. Zum Beispiel in Form von Bürgerräten. Wenn Menschen das Gefühl bekommen, ernst genommen zu werden und etwas bewegen zu können, sind sie in der Lage, Großartiges zu leisten.
Wenn wir an Marken und deren Kommunikation denken: Was können die gegen erlernte Hilflosigkeit oder für Selbstwirksamkeit tun?
Mein – für viele erst mal naiv klingendes – Verständnis ist es, dass der Sinn und Zweck von Unternehmen darin liegen sollte, etwas zur Verbesserung unseres Zusammenlebens beizutragen. Oder allgemeiner: Nutzen zu schaffen. Dabei ist Greenwashing einfach nur unlogisch, da es das Gegenteil erreicht. Nehmen wir den unternehmerischen Auftrag ernster, kann Geld zu verdienen nur Mittel zum Zweck sein.
Mit Blick auf die dringend benötigte Selbstwirksamkeit können auch Unternehmen diese in uns stimulieren. So sehen wir im Bereich Nachhaltigkeit, dass dies beispielsweise gelingt, wenn Unternehmen Lebensumstände von Produzenten verbessern oder die Umwelt schützen, statt – wie häufig der Fall – zu schädigen. Warum erkennen mehr und mehr auch große Unternehmen diesen Zusammenhang? Weil sie verstanden haben, dass sie sich sonst ihrer eigenen Grundlage berauben und gleichzeitig die wachsende Gruppe von Menschen beobachten, die sich mehr wünscht als nur ‚gut und günstig‘.
Das heißt: Marken haben Macht, etwas zum Positiven zu beeinflussen?
Absolut. Die Wirtschaft bestimmt neben der Politik und den Individuen zu großen Anteilen unser Zusammenleben. Wenn Unternehmen sich auf den Standpunkt zurückziehen, nur für den eigenen Profit zu arbeiten, ist das nichts weiter als eine faule Ausrede. Mit Unternehmertum geht immer große Verantwortung einher, aber eben auch große Chancen. Paradebeispiele wie das Unternehmen Patagonia zeigen ganz klar, dass sich ein wirklich nachhaltiges Wirtschaften auf allen Ebenen lohnt.
Sie waren mit dem Online-Magazin „Perspective Daily“ ja auch im Konstruktiven Journalismus aktiv, weil Ihnen Medien zu negativ sind. Ist es in der Markenkommunikation ein Vorteil, dass die per se positiver kommunizieren kann?
Ja, auf jeden Fall. Wir beobachten global eine Überrepräsentation des Negativen in der Berichterstattung, Tendenz steigend seit der Digitalisierung. Das wirkt sich negativ auf Rezipientinnen und Rezipienten aus, die sich zu immer größeren Anteilen vom Journalismus teilweise oder vollständig abwenden. Stichwort news avoidance und news fatigue. Hier haben Unternehmen eine Riesenkraft, weil sie mit einer grundpositiven und motivierenden Botschaft antreten. Denn alles, was ich verkaufen will, soll positive Erfahrungen generieren. Genau hier können Unternehmen auf die Selbstwirksamkeit einzahlen.
Kann Markenkommunikation auch zu positiv sein?
Abseits von Unwahrheiten wie Greenwashing gibt es kein zu positiv. Im Gegenteil teile ich sogar die Überzeugung, dass wir zu wenig Utopien und Visionen von einer besseren Welt und einem friedvolleren Zusammenleben haben. Dabei ist es wichtig, sich immer wieder bewusst zu werden, dass wir aufgrund der Funktionsweise unseres Gehirns alle Gewohnheitstiere sind und genau diese Veränderung brauchen, um der antrainierten erlernten Hilflosigkeit zu entkommen: ein zukunftsgerichtetes, erstrebenswertes Bild. Davon brauchen wir mehr in sämtlichen Lebensbereichen.
Sie beschreiben ein Problem von Journalismus im Streben nach Objektivität, die es nicht geben kann. Markenkommunikation hat per se einen subjektiven Anspruch. Auch hier also ein Vorteil?
Viele Journalistinnen und Journalisten, auch in den Chefredaktionen, haben noch nicht verstanden, dass es keine objektive Informationsweitergabe geben kann. Denn Gehirne sind eben keine Computer, bei denen wir Löschen- und Speichern-Tasten bedienen. Sie interpretieren jede Wahrnehmung stets auf individuelle Art und Weise. Insofern ist es gut, diesen Anspruch erst gar nicht zu erheben. Also, ja, Marken haben hier einen entscheidenden Vorteil – wenn sie es schaffen, glaubwürdig zu sein.
Wenn wir jetzt analog zum Konstruktiven Journalismus von konstruktiver Markenkommunikation sprechen: Es gibt da gerne den Vorwurf, zu nah am Aktivismus zu sein. Wie bewerten Sie das?
Hier gilt es – neben der vermeintlichen Objektivität – einen weiteren Mythos aufzuklären: Jede Informationsweitergabe verändert unser Gehirn. Also auch jede Schlagzeile, jede Werbung, jedes Gespräch. Habe ich das verstanden, ist schnell klar, dass so gesehen jede Informationsweitergabe ‚Aktivismus‘ ist. Die damit einhergehende Verantwortung von Menschen, die mit vielen kommunizieren, wird aus meiner Sicht noch nicht ernst genug genommen. Habe ich verstanden, dass ich mit der Verbreitung von Informationen immer verändere und beeinflusse, kann ich viel bewusster kommunizieren. Die einzige Frage, die sich eine jede dann stellen kann und muss, lautet: Wie möchte ich beeinflussen? Darüber müssen wir mehr sprechen. Ich halte das fehlende Verantwortungsbewusstsein in der Kommunikation für eines der zentralen Themen unserer Zeit.
Wenn die Leserinnen und Leser dieses Interview in Gänze gelesen haben, hat sich deren Hirn also verändert?
Genau. Deswegen starte ich Vorträge gern mit einer Triggerwarnung, die in etwa so lautet: „Sie können den Raum jetzt noch verlassen, denn wenn Sie hierbleiben, werde ich Ihre Gehirne verändern.“ So möchte ich Bewusstsein für die Macht und Verantwortung von Kommunikation schaffen. Natürlich kann ich als Senderin niemals vollständig bestimmen, wie ich die Gehirne verändere. Da kommen die individuellen Unterschiede in Genetik und bisherigen Erfahrungen zum Tragen.
Wenn Sie sich wünschen dürften, was sich am Ende dieses Gesprächs im Gehirn der Leserinnen und Leser verändert haben soll, was wäre das?
Meine Hoffnung ist es, dass ich Mut für mehr Selbstwirksamkeit gemacht habe. Dass Menschen neugierig sind, um die Veränderung, die sowieso da ist, aktiv zu gestalten und ihr nicht mit Angst zu begegnen.
Maren Urner ist Neurowissenschaftlerin, Professorin für Medienpsychologie und Mitgründerin von “Perspective Daily”, einem Start-up und Online-Magazin für Konstruktiven Journalismus, das sie bis 2019 geführt hat. Mittlerweile schreibt sie Bestseller – auch hier immer mit optimistischem Blick.