Die Unternehmen haben ihre Budgets für Werbung und Marketing drastisch gekürzt und prüfen derzeit sehr genau, welche Werbeform den größtmöglichen Effekt verspricht. Mit neuen Formaten, den sogenannten Sonderwerbeformen, soll die schwindende Aufmerksamkeit der Zuschauer zurückgewonnen werden. Beispiele gibt es genügend: Gameshows wie seinerzeit „Der Preis ist heiß“, in denen Kandidaten verschiedene Preise gewinnen können, die dabei werbewirksam in die Kamera gehalten werden. Oder das sogenannte Programming, bei dem Markenartikler redaktionelle Inhalte produzieren und finanzieren, wobei sie mit der eigenen Marke zwar nicht auftauchen, aber im Programmumfeld Spots schalten.
Sonderwerbeformen erobern den Bildschirm
Aber auch weniger aufwändige, wenn auch nicht billige Formate gewinnen an Attraktivität, wie beispielsweise das Narrow Casting, bei dem der Werbespot unmittelbar vor oder nach dem Programmereignis ausgestrahlt wird und im Zusammenhang mit der Sendung steht wie bei Ritas Welt (RTL) und Plus (Die kleinen Preise); oder geteilte Bildschirme, so genannte Split Screens, bei denen Programm und Werbung parallel nebeneinander oder untereinander laufen – vorzugsweise während der Formel-eins-Übertragungen. Auch die gezielte Einbindung von Produkten in Film- und TV-Produktionen, das so genannte Product Placement, gehört bereits zum etablierten Instrumentarium von großen Markenartiklern, wie auch das TV-Sponsoring, bei dem der Werbetreibende zu Beginn und am Ende der gesponserten Sendung in Wort und Bild genannt wird, wie etwa Obi beim ZDF-Sportstudio. Eine Weiterentwicklung ist das Titelpatronat: die vollständige Integration der Marke in das Umfeld und den Titel des Programms.
Während bei den Infomercials und Gameshows häufig noch die bekannten Dienstleister wie Medienagenturen und Produktionsgesellschaften im Boot sitzen, geben in den anderen Bereichen eher kleinere, weniger bekannte Unternehmen den Ton an. Als Marktführer gilt hier die Dolce Media GmbH aus München. Ihr Geschäftsführer: Christoph Gottschalk, dem Fernsehzuschauer bestens bekannt als versierter Finanzberater an der Seite seines Bruders Thomas in den Werbespots der Deutsche Post World Net. Bereits während seines Jura-Studiums beschäftigte sich Christoph Gottschalk gezielt mit Medienrecht und den gesetzlichen Grundlagen für Product Placement. Nicht zuletzt durch die Nähe zu seinem Bruder Thomas ist er von Jugend an im internationalen Medienbusiness zuhause. Mit diesem Background bewegt er sich seit Jahren unmittelbar im Markt und ist wie kaum ein anderer in der Lage, die Werbung treibende Wirtschaft, deren Produkte und mögliche Medien-Plattformen effizient miteinander zu vernetzen.
Hat der klassische Werbespot eine Zukunft?
Weitgehend ausgereizt in seinen Möglichkeiten sieht Christoph Gottschalk den klassischen Werbespot. Er muss es wissen, denn schon vor zwei Jahrzehnten bestückte er die Tatort-Krimis mit der „richtigen“ Dienstwagenmarke – damals Opel – und konnte lange vor dem eigentlichen BMW-Engagement bei James Bond-Produktionen Motorräder der Marke BMW platzieren. Gottschalk war damit am Puls der Zeit und in Deutschland einer der ersten, die sich professionell mit Product Placement beschäftigten. „Vor 15 Jahren“, so Gottschalk, „war das noch ein höchst umstrittenes Thema. Heute haben sich Sponsoring, Product Placement und Personal Licensing längst etabliert.“ Entsprechend sollte seine Doktorarbeit den Titel „Verbotenes und erlaubtes Product Placement im TV“ tragen. Das Mediengeschäft beschäftigte und faszinierte ihn allerdings so sehr, dass er sich ganz der Praxis verschrieb und die Dissertation unvollendet blieb.
Das Unternehmen des großen Blonden gilt heute als eine der wichtigsten Adressen im Geschäft mit der Platzierung von Marken in Sendekonzepten. Die Dolce Media hat sich an die Spitze einer neuen Bewegung gesetzt, die ihren Ursprung in Amerika hat. Heute gehe es nicht mehr nur darum, einen Markenartikel ins Blickfeld der Kamera zu rücken. Das Geschäft ist nach Gottschalks Aussagen mehrdimensionaler geworden. Sonderwerbeformen laufen der klassischen Werbung zunehmend den Rang ab. Dabei geht es um die intelligente Einbettung eines Produktes oder Unternehmens in den Fluss der Sendung, so dass die Einbindung als natürliches Handlungselement wahrgenommen wird – vielfach ist dieses Produkt sogar unerlässlich für die Dramaturgie der Sendung.
„Wie das konkret aussieht, lässt sich am Beispiel der erfolgreichsten europäischen TV-Show „Wetten, dass…?“ aufzeigen: Der Erfolg der Show lebt von dem Zusammenspiel dreier Erfolgsfaktoren: diese sind neben Gastgeber Thomas Gottschalk und spektakulären Wetten vor allem die Auftritte nationaler und internationaler Topstars. Diese Stars wären mit den Mitteln eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders nicht zu bezahlen –
wahrscheinlich würden die Stars nicht einmal gegen entsprechende Bezahlung kommen. Warum konnte Thomas Gottschalk dennoch in einer der letzten Sendungen Tom Hanks, Steven Spielberg und Leonardo Di Caprio in seiner Show begrüßen? Der Grund hierfür liegt in dem Synergiepotenzial zwischen Menschen, Produkten und dem Fernsehmedium, das sich Firmen wie die Dolce Media zu nutze machen. Der Auftritt in der Show muss im Interesse des Stars oder im Interesse der Unternehmen liegen, bei denen der jeweilige Star unter Vertrag ist. Tom Hanks mit Steven Spielberg und Leonardo Di Caprio kommen zur Sendung, um ihren Film zu promoten.
Bezahlt werden sie, aber nicht vom ZDF, sondern von Spielbergs Produktionsfirma Dreamworks, die den aktuellen Film „Catch me, if you can“ in Deutschland zum Roll out gebracht hat. Michael Schumacher kommt nicht für Geld und auch nicht nur deshalb, weil er Lust dazu hat, sondern vor allem, weil Werbepartner Vodafone mit seinem unter Vertrag stehenden Rennstar einige öffentliche Auftritte vereinbart hat. Einer davon findet dann bei Wetten dass…? statt, weil Vodafone davon ausgehen kann, dass sein Testimonial mit der Marke in Verbindung gebracht wird. Und Mick Jagger kommt nicht etwa, um Thomas Gottschalk persönlich seine Aufwartung zu machen, sondern um seinen neuen Song vorzustellen und zu promoten. Welche Plattform wäre geeigneter als die mit durchschnittlich 15 Millionen Zuschauern beliebteste Unterhaltungsshow? Bei diesem Konzept haben alle etwas davon: Der Fernsehzuschauer sieht die Stars, die er im Fernsehen sonst nicht zu Gesicht bekäme, das ZDF produziert eine erfolgreiche Show, die höchste Einschaltquoten bringt, und die auftretenden Stars erfüllen ihre Sponsorenverträge und geben der eigenen Karriere einen gezielten Kick.
Gerade vor diesem Hintergrund versteht Christoph Gottschalk die Aufregung nicht, die manchmal rund um „Wetten, dass…?“ entsteht. Denn das geschickte Product Placement, das In-Szene-setzen von Marken im Sendeablauf Europas erfolgreichster Show, wird auch von den Zuschauern positiv bewertet. Dies belegt eine von Ipsos Deutschland im Auftrag von TV-Spielfilm durchgeführte Studie aus dem Jahr 2002: 64 Prozent der im Auftrag von TV Spielfilm Befragten stört es überhaupt nicht, wenn Unternehmen wie Mercedes oder Haribo die Wettshow als Werbeplattform nutzen; 25 Prozent nehmen die Werbung gerne in Kauf, weil dadurch weniger Fernsehgebühren zur Finanzierung der Show gebraucht werden. Lediglich 11 Prozent fühlen sich gestört. Dagegen sind die Zahlen für die klassische Unterbrecherwerbung vernichtend: Nach der Studie Werbeakzeptanz 2001 der ARD Sales & Services GmbH empfinden 90 Prozent der Befragten den Werbeblock mitten in einer Sendung als störend. Dabei ist nicht anzunehmen, dass sich seither die Akzeptanz verbessert hat. Immerhin meinten in der gleichen Studie 59 Prozent, dass Werbung einfach zum Fernsehen dazu gehöre: Der klassische Spot wird dem Fernsehen also sicherlich noch erhalten bleiben, da die Zuschauer um die Werbefinanzierung der Sender wissen. Das hält die Zuschauer aber nicht davon ab, in der Werbepause Bier zu holen oder immer häufiger wegzuzappen – und das wiederum wissen die Werbetreibenden. Nach einer Prognose des Beratungshauses Mercer wird zwar TV-Werbung im Jahr 2006 wieder das Niveau von 2001 erreichen, aber die Werbegelder bewegen sich weg von dem traditionellen Fernsehspot. Der Grund ist vor allem eine technische Entwicklung, die jenseits des großen Teichs schon Wellen schlägt: Festplattenrecorder haben in den USA zwar dazu geführt, dass fünf bis sechs Stunden mehr ferngesehen wird; der Werbeindustrie entsteht dadurch jedoch ein Schaden, da bei der Aufzeichnung die Werbeblöcke einfach übersprungen werden können. Fazit: Neue Umsatzfelder müssen den Rückgang des klassischen Werbemodells kompensieren.
Rechtliche und ethische Grenzen von Werbung
Wo sieht Christoph Gottschalk die rechtlichen und ethischen Grenzen von Product Placement? Alle Formate, die jenseits der Unterhaltung liegen und Anspruch auf neutrale Information erheben, wie in erster Linie die Nachrichten, stehen für ihn nicht zur Disposition, auch wenn dem Wetterbericht nach den Nachrichten mittlerweile ein Presenting Sponsor vorgeschaltet ist. Kritisch werde es auch, wenn die redaktionelle Einbettung in eine Sendung nicht mehr stimme, oder wenn irgendein Markenartikler nur sein Logo ins Bild rücken möchte. Wie der Werbepartner sich ideal ins Sendekonzept fügt, demonstriert Gottschalk am Beispiel der großen ZDF-Show. Fingerspitzengefühl ist gefragt, denn nicht alles lässt sich in diesem Bereich rechtlich eingrenzen. Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb besagt, dass Werbung nicht gegen die guten Sitten verstoßen darf, auch wenn sich in einer wandelnden Gesellschaft natürlich immer wieder die Frage neu stellt, wann ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt, wie die verschiedenen Urteile zum Benetton-Fall zeigen.
Auch „Wetten, dass… ?“ musste sich schon gegen solche Vorwürfe erwehren, vor allem bezüglich der Disney-Sendung in Paris. Christoph Gottschalk aber sieht sich eher als „Robin Hood“ der Fernsehunterhaltung: Sein Bruder und er bringen Topstars auf die Wettbank, und das ohne Mehrbelastungen für das ZDF und den Gebührenzahler. Und weiter fragt der große Blonde: „Kann es rechtens sein, dass durch die ohnehin schon starke Eingrenzung der Werbemöglichkeiten bei den öffentlich-rechtlichen Sendern diese ins Hintertreffen geraten, und im allerschlimmsten Falle die Gebühren erhöhen müssten, um weiterhin hoch qualitatives Fernsehen machen zu können?“ Er liefert die Antwort gleich selbst: „Wenn wir Kosten sparen können und die Produkte sogar in die Sendung gehören, dann machen wir das – und der Zuschauer dankt es uns.“
Christoph Gottschalk bezeichnet sein Unternehmen als Handelsdrehscheibe: Sponsoren werden mit Sendern zusammengebracht und für neue Sendekonzepte werden wiederum Unternehmen gesucht, die sich gerne etwas anders darstellen möchten. Laut Gottschalk wird der Etat für diese Form der werblichen Präsentation immer größer, weil klassische Werbung immer weniger Menschen erreicht. Wie Studien (beispielsweise von McKinsey und GFK-Marktforschung) beweisen, hinterfragen Markenartikler zunehmend, welcher Star sich als Testimonial für ihr Produkt eignet. Auf diese Weise fanden beispielsweise Langnese-Iglo in Verona Feldbusch oder die Deutsche Bahn in Harald Schmidt ideale Werbepartner. Ganz nebenbei: Thomas Gottschalk war mit seinem Haribo-Engagement der erste deutsche Werbestar und machte diese Art der Werbung auch hierzulande hoffähig.
Das „Wetten-dass…“-Prinzip greift
Wie könnte nun das Senderkonzept für die Zukunft aussehen? Ein notleidender Sender ist in dem Moment nicht mehr notleidend, wenn er so attraktive Sendungen ausstrahlt, dass viele Menschen einschalten und somit die Quoten stimmen. Bis hierhin nichts neues. Aber um solche Quotenhits produzieren zu können, braucht es laut Gottschalk vor allem ein effektives Finanzierungskonzept. Der Weg über die Werbetreibenden, die nicht mehr nur für klassische Spots bezahlen, sondern auch für die Entsendung ihres prominenten Testimonials, ist beispielsweise eine solche Möglichkeit. Sender, die keine große Reichweite haben, sind allerdings von diesem Modell zunächst ausgeschlossen. Bei der Programmqualität von Neunlive sei es kein Wunder, dass die Refinanzierung über die Telefongebühren bemitleidenswerter Zuschauer eingespielt werden muss, so Gottschalk.
Wird der klassische Werbeblock verschwinden? Nein, sagt Gottschalk, aber er wird nur eine von mehreren Optionen sein und damit weniger bedeutsam in der Gesamtgewichtung großer Markenartikler.
Autor: Christian Thunig
eingestellt am 17. Dezember 2003