Eigentlich wollte ich Sie bitten, mal eben einen Blick auf Owntherealityshop zu werfen – aber diese Website ist seit heute morgen nicht mehr erreichbar. Die Seite war Teil einer Aktion von Yes Men, einer Organisation, die die dpa als „Kommunikationsguerilla-Gruppe“ bezeichnet. Die hat sich den Sportartikelkonzern Adidas vorgeknöpft.
Erst versandte sie gefakte Adidas-Presseeinladungen zur Fashion Week mit der News, eine ehemalige Textilarbeiterin aus Kambodscha sei neue Co-CEO von Adidas-Chef Björn Gulden. Dazu gab es die eigens kreierte und sehr echt wirkende Website. Auf der Veranstaltung selbst sollte die Weltpremiere einer Sportbekleidungslinie von Adidas stattfinden, mit der man die „Geschichten geschundener Arbeiter ehren“ und „einen bahnbrechenden Standard für Stil, Qualität und Branchenvision“ setzen wolle, berichtet dpa.
Es taumelten dann kunstblutige, geschundene Menschen in zerrissenen Klamotten über den Catwalk. „Ich habe wirklich Influencer und Modemenschen in der ersten Reihe noch nie so schockiert und betreten gesehen … das sah alles sehr echt aus … man musste wirklich an die misshandelten Arbeiter*innen in den Zuliefererbetrieben denken. Und einigen wurde erst nach und nach klar, dass da nicht Adidas dahintersteckt“, berichtet Julia Vismann im Deutschlandfunk
Beredtes Schweigen
Yes Men wirft Adidas vor, der Konzern achte zum Beispiel bei Zulieferern aus Kambodscha nicht auf die Rechte der Beschäftigten und habe unter anderem Löhne nicht gezahlt. Adidas weist die Vorwürfe wenig überraschend zurück.
Nun darf man gespannt sein, ob die Aktion irgendwelche Konsequenzen hat. Sollte an den Vorwürfe etwas dran sein, kann sich Adidas zuallererst die Informationen auf seiner Nachhaltigkeits-Website zum Thema „Beschäftigte in unserer Beschaffungskette“ in die Haare schmieren. Außerdem müssen Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitenden seit dem 1. Januar das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) befolgen. Es soll den Schutz der Menschenrechte in globalen Lieferketten verbessern. Das Gesetz definiert „lieferkettentypische Risiken“. Dazu zählt unter anderem das „Verbot des Vorenthaltens eines angemessenen Lohns“. Fällt der Vorwurf gegen Adidas darunter?
Yes Men jedenfalls fürchtet keine rechtlichen Konsequenzen. Im Gegenteil, die von den Aktivist*innen ins Visier genommenen Unternehmen klagen nicht. „Das würden wir uns wünschen, aber leider passiert es nicht“, bedauert Yes Men-Gründer Mike Bonnano im Spiegel-Interview. Ein Stillhalten, das für sich spricht.
Schlecht für die Gutmeinenden
Es ist zum Haareraufen: Solche Aktionen sind sinnvoll, nötig und gerechtfertigt, wenn sie die Richtigen treffen und Missstände aufdecken. Zugleich bringen sie auch all diejenigen Unternehmen in Misskredit, die es mit der Nachhaltigkeit ernst meinen. Und sie sorgen dafür, dass die Menschen immer weniger Vertrauen in Marken haben. Und das Marketing als solches? … kommt als a priori verlogene, manipulative Disziplin daher. So sagt Mike Bonnano im Spiegel: „Verglichen mit den sonstigen Lügen und Legenden des Marketings hat unsere allerdings den Vorteil, dass sie wünschenswert ist und die Konzerne ziemlich alt aussehen lässt.“ Vielleicht sollten die Marketingverantwortlichen mal darüber nachdenken, eine PR-Kampagne in eigener Sache zu machen.
Neue Konzepte müssen her
Und noch ein Tipp für eine sinnvolle Betätigung, der bitte nicht als zynisch verstanden werden soll: Einfallsreiche Marketingmenschen sind derzeit in Wintersportorten gefragt. Der lesenswerte Handelsblatt-Artikel „Klimawandel und Energiekrise – Europas Skitourismus vor dem Aus?“ beschreibt die aktuellen und absehbaren Konsequenzen von warmen Wintern für die – nun leider im Wortsinn – Hotspots in den Alpen. Vielerorts wird an Konzepten für einen neuen, nachhaltigen Tourismus jenseits des Kunstschnees getüftelt, was doch eine schöne und sinnstiftende Aufgabe wäre.
Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick!