Es ist paradox: Während sich Unternehmen weltweit um Nachhaltigkeits-Siegel, ESG-Ratings und CO₂-Kompensationen bemühen, rückt ausgerechnet die EU davon ab, das Ganze auch ordentlich zu dokumentieren. Weniger Berichtspflichten, weniger Lieferketten-Kontrolle, weniger Bürokratie, sprich: weniger Green Deal – und das alles im Namen der „Entlastung“. Kritiker des sogenannten Omnibus-Pakets behaupten jedoch, der Vorschlag sei ein Rückschritt für die Umwelt.
So will die EU-Kommission die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) spürbar abschwächen – jene geplante EU-Richtlinie, die Unternehmen dazu verpflichten soll, Verantwortung für Menschenrechte und Umweltstandards entlang ihrer gesamten Lieferkette zu übernehmen. Auch das deutsche Lieferkettengesetz steht unter politischem Beschuss: Die CDU forderte in ihrem Wahlprogramm die komplette Abschaffung.
Green Deal: Die EU dreht den Nachhaltigkeits-Dimmer
Gewerkschaften und Umweltverbände schlagen Alarm – denn kämen die Vorschläge des Omnibus-Pakets durch, wären künftig nur noch etwa 20 Prozent der Unternehmen verpflichtet, Umwelt- und Sozialberichte vorzulegen. Die Kontrollen von Lieferketten würden sich auf rund 10.000 Großunternehmen beschränken. Und der CO₂-Grenzausgleich (CBAM)? Der soll laut neuestem Vorschlag gleich mal für 91 Prozent der Importeure nicht mehr gelten. Erleichterung nennt man das in Brüssel. Ernüchterung wäre das treffendere Wort.
Einer, der das nüchtern, aber klar benennt, ist Michael Otto. Der Unternehmer-Veteran und langjährige Vorstand der Otto Group warnt in einem aktuellen dpa-Interview vor einem Rückfall in alte Denkmuster: „Vom Grundsatz ist es richtig, dass wir das Lieferkettengesetz haben und auch brauchen“, sagt Otto. Und weiter: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht eine Rolle rückwärts machen und glauben, wir müssen alles verschieben, streichen, ändern.“
Otto-Gründer: Verantwortung darf nicht an der Bürokratie scheitern
Er findet: „Es ist richtig, dass Unternehmen sich über Sozial- und Umweltstandards Gedanken machen müssen.“ Kritik übt er allerdings an den Berichtspflichten – die seien oft zu kleinteilig und redundant. „Das Reporting sollte vereinfacht werden“, fordert er, ohne den Grundsatz nachhaltiger Verantwortung infrage zu stellen.
Für Marken bedeutet das: Die politische Rücknahme von Berichtspflichten entbindet niemanden von Verantwortung – sie verlagert sie nur. Wo Regulierung zurückweicht, wird Haltung zur freiwilligen Disziplin. Unternehmen, die Nachhaltigkeit glaubwürdig verankern wollen, dürfen das Lieferkettengesetz nicht als Zumutung begreifen, sondern als Chance zur Profilierung. Denn wer jetzt Transparenz zeigt – aus Überzeugung, nicht aus Zwang –, stärkt seine Marke langfristig.
Greenwashing: Umwelthilfe klagt gegen L’Oréal, Deichmann und Tchibo
Ein Warnschuss für die Branche kam in der letzten Woche von der Deutschen Umwelthilfe (DUH): Die NGO hat gleich fünf bekannte Unternehmen verklagt – wegen irreführender Umweltversprechen. Der Vorwurf: Greenwashing. Darunter Marken wie Coty, L’Oréal, Deichmann, Tchibo und Toom. Auf den Produkten prangen Aussagen wie „ocean friendly“, „nachhaltig“ oder „gut für die Umwelt“ – doch konkrete Nachweise fehlen oder bleiben vage. Eine Sonnencreme soll angeblich meeresfreundlich sein, ohne dass erklärt wird, was das bedeutet. Kleidung wird als nachhaltig verkauft, obwohl Materialien oder Lieferketten alles andere als transparent sind.
Die Botschaft der DUH ist eindeutig: Wer mit grüner Rhetorik wirbt, muss liefern – oder wird vor Gericht zur Rechenschaft gezogen. Für das Marketing ist das mehr als nur ein Imageschaden. Es ist eine Erinnerung daran, dass in Zeiten wachsender Verbrauchersensibilität und NGO-Wachsamkeit kein Platz mehr für leere Versprechen ist. Nachhaltigkeit ist kein Claim – sie ist ein Nachweisgeschäft.
Brisant ist das auch mit Blick auf Brüssel: Die Klagen der Umwelthilfe kommen zu einem Zeitpunkt, an dem die EU mit der geplanten Green Claims Directive klare Grenzen für Umweltversprechen setzen will. Künftig sollen nur noch nachweisbare, überprüfte Aussagen erlaubt sein – vage Begriffe wie „nachhaltig“ oder „umweltfreundlich“ ohne Beleg könnten verboten werden. Die DUH testet also schon jetzt die Schmerzgrenze des Marketings, und zeigt gleichzeitig, was in Zukunft noch enger gefasst sein wird.
Heißt: Wer jetzt noch mit schwammigen Umweltversprechen arbeitet, riskiert nicht nur sein Image, sondern bald auch juristische Konsequenzen. Für Marken ist das die Chance, sich frühzeitig auf neue Standards einzustellen – mit glaubwürdiger, belegbarer, verständlicher Umweltkommunikation.