Green Claims: „Wer wirklich etwas tut, will darüber sprechen“

Die neue Green-Claims-Richtlinie könnte Nachhaltigkeit ausbremsen, befürchten Kritiker. Kerrin Löhe von BAM! Bock auf Morgen sieht das anders.
Kerrin Löhe
Die Strategie- und Nachhaltigkeitsexpertin Kerrin Löhe war 18 Jahre bei Diffferent tätig. Sie ist Mitgründerin von BAM! Bock auf Morgen. (© BAM! Bock auf Morgen)

Frau Löhe, vor zwei Wochen verabschiedeten die EU-Umweltminister die Green-Claims-Richtlinie. Umweltbezogene Werbeaussagen müssen nun von Marken belegt werden. War das ein guter Tag für die Umwelt?

Ja, für die Umwelt war das definitiv ein guter Tag. Auch für Unternehmen, die ernsthaft daran arbeiten, ihre Auswirkungen auf die Umwelt zu reduzieren, war es positiv. Diese Richtlinie schafft Chancen für Unternehmen, die wirklich etwas leisten, indem sie sich nun besser abheben und daraus Vermarktungspotenziale generieren können.

War es auch ein guter Tag für Verbraucher*innen?

Die letzten Jahre war es für Verbraucher*innen schwierig zu erkennen, welche Unternehmen ernsthafte Umweltmaßnahmen ergreifen und welche nur Greenwashing betreiben. Jetzt können Unternehmen, die tatsächlich nachhaltige Maßnahmen umsetzen, sich besser darstellen und Verbraucher*innen können fundiertere Kaufentscheidungen treffen. Ich begrüße es, dass mehr Klarheit geschaffen wird und es eine Regelung gibt, die für alle gilt.

Was das für Unternehmen bedeutet, darüber kann man geteilter Meinung sein. Kritiker*innen bemängeln, dass die Richtlinie zu Greenhushing führen könnte und dazu, dass Unternehmen weniger für die Umwelt tun würden, wenn sie den Nutzen nicht sehen. Ist die Kritik berechtigt?

Das glaube ich nicht. Unternehmen, die wirklich etwas tun, wollen auch darüber sprechen. Viele Maßnahmen, die nun stärker geregelt werden, sind de facto schon heute über das UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Anmk. d. Red.) verboten. Das Problem war bisher, dass Wettbewerber sich nicht gegenseitig verklagen wollten. Mit der neuen Richtlinie wird es eine eigene Aufsichtsbehörde geben, die das übernimmt. Das erhöht die Durchsetzungskraft. Natürlich müssen wir darauf achten, dass die externen Prüfungen nicht zu teuer und zeitaufwendig werden. Wenn Unternehmen Angst haben, etwas Falsches zu sagen, liegt das oft daran, dass sie selbst unsicher sind, ob ihre Maßnahmen tatsächlich wirkungsvoll sind. Das Greenhushing-Argument scheint mir daher vorgeschoben, um nicht handeln zu müssen.

Die Green-Claims-Richtlinie soll Greenwashing verhindern. Auf der anderen Seite könnten die Maßnahmen für kleinere Unternehmen und Start-ups teurer werden, große Unternehmen können sich das leisten. Ein Ungleichgewicht?

Das ist eine berechtigte Sorge. Es wäre schlimm, wenn sich nur die großen Unternehmen diese Prüfungen leisten könnten, während KMUs sowie Start-ups dadurch benachteiligt würden. Allerdings wird daran gearbeitet, dass kleinere Unternehmen einfachere Bedingungen haben. Es ist wichtig, dass diese Regelungen so gestaltet werden, dass sie für alle machbar sind, unabhängig von der Unternehmensgröße. Gerade Start-ups, die aus einem nachhaltigen Grund gegründet wurden, treiben oft Innovationen voran und setzen neue Standards, die auch große Unternehmen beeinflussen. Daher müssen wir sicherstellen, dass diese Mechanismen auch weiterhin funktionieren und nicht zum Erliegen kommen.

Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie für das Marketing von Unternehmen durch die neuen Anforderungen der EU-Richtlinie?

Es wird sich wieder lohnen, durch Nachhaltigkeit eine Differenzierung zu schaffen. Marketing kann die Transformation vorantreiben, indem es zeigt, dass nachhaltige Produkte auch wirtschaftlich erfolgreich sein können. Allerdings müssen Marketingabteilungen noch besser lernen, wie sie Nachhaltigkeit effektiv kommunizieren. Das bietet aber auch die Chance, neue Zielgruppen zu erschließen und Produkte anders zu promoten.

Kann es grünes Wachstum überhaupt geben? Und wenn ja, wie lässt sich das im Marketing kommunizieren?

Grünes Wachstum gibt es definitiv. Es ist möglich, nachhaltige Angebote zu machen und dabei wirtschaftlich zu sein. Unternehmen wie Rügenwalder Mühle zeigen, dass ein Shift zu nachhaltigeren Produkten möglich ist und wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Es ist wichtig, dass Unternehmen nachhaltige Maßnahmen umsetzen und diese auch klar kommunizieren. Dabei muss Nachhaltigkeit nicht immer die Hauptbotschaft sein, sondern kann als unterstützender Faktor integriert werden.

Die Green-Claims-Richtlinie und die Empowering Consumers for the Green Transition Directive sind eng miteinander verknüpft. Können Sie erklären, wie diese beiden Richtlinien zusammenhängen?

Beide Richtlinien zielen darauf ab, den Verbraucher*innen zu ermöglichen, fundierte Entscheidungen zu treffen und gleichzeitig unfaire Geschäftspraktiken wie Greenwashing zu verhindern. Die Green-Claims-Richtlinie stellt sicher, dass Umweltangaben überprüfbar und verlässlich sind, während die Empowering Consumers for the Green Transition Directive den Verbraucher*innen bessere Informationen über die Haltbarkeit und Reparierbarkeit von Produkten bietet. Gemeinsam schaffen sie ein Umfeld, in dem nachhaltiger Konsum gefördert wird.

Die Empowering Consumers for the Green Transition Directive verlangt bessere Informationen für Verbraucher*innen über die Haltbarkeit und Reparierbarkeit von Produkten. Wie sollten Unternehmen ihre Marketingkommunikation anpassen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden?

Unternehmen sollten zuerst sicherstellen, dass ihre Produkte wirklich haltbar und reparierbar sind. Wenn das Fundament stimmt, wird die Kommunikation darüber einfacher. Es wird wichtiger, deskriptive und klare Informationen zu liefern. Marketing kann dabei helfen, die Transformation zu treiben, indem es nachhaltige Produkte in den Vordergrund stellt und zeigt, wie diese Produkte den Verbraucher*innen langfristig Vorteile bringen. Es wird wichtiger, ehrlich und präzise zu kommunizieren, um das Vertrauen der Verbraucher*innen zu gewinnen und langfristig zu erhalten.

Wie wichtig ist es aus Marketingsicht, dass Umweltangaben überprüfbar und transparent sind? Können die neuen Regeln das Vertrauen der Verbraucher*innen stärken?

Es ist essenziell, dass Umweltangaben überprüfbar und transparent sind. Studien zeigen, dass viele Umweltangaben in der Vergangenheit irreführend waren, was das Vertrauen der Verbraucher*innen beeinträchtigt hat. Wenn sie wissen, dass die Angaben überprüfbar und verlässlich sind, stärkt das Vertrauen. Allerdings ist das ein langfristiger Prozess. Es wird Zeit brauchen, bis die Verbraucher*innen verstehen, dass sie den neuen Regelungen vertrauen können. Unternehmen müssen ihre Kommunikation entsprechend anpassen und sicherstellen, dass ihre Angaben stets überprüfbar sind.

Was müssen Unternehmen jetzt konkret beachten, was die neuen Richtlinien angeht?

Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Maßnahmen wirkungsvoll und ihre Umweltangaben überprüfbar und verlässlich sind. Sie sollten sich intensiv mit den neuen Anforderungen vertraut machen und ihre Produkte sowie ihre Kommunikationsstrategien entsprechend anpassen. Es geht darum, ehrlich und transparent zu sein und die Nachhaltigkeitsmaßnahmen wirklich zu leben. Das bedeutet, dass Unternehmen möglicherweise ihre internen Prozesse überprüfen und verbessern müssen, um sicherzustellen, dass alle Umweltangaben auf soliden wissenschaftlichen Grundlagen basieren und extern überprüft werden können. Es ist wichtig, dass Unternehmen ihre Marketingabteilungen schulen und sicherstellen, dass alle Mitarbeiter*innen die neuen Anforderungen verstehen und umsetzen können. Die Implementierung dieser Richtlinien erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen, um sicherzustellen, dass alle Aspekte der Nachhaltigkeitskommunikation konsistent und differenzierend sind.

(amx, Jahrgang 1989) ist seit Juli 2022 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Er ist weder Native noch Immigrant, doch auf jeden Fall Digital. Der Wahlberliner mit einem Faible für Nischenthemen verfügt über ein breites Interessenspektrum, was sich bei ihm auch beruflich niederschlägt: So hat er bereits beim Playboy, in der Agentur C3 sowie beim Branchendienst Meedia gearbeitet.