Welche Bedeutung haben Self-Tracking und Wearables für das Marketing in der Pharmabranche?
LYNN O’CONNOR VOS: Wir werden in den nächsten Jahren eine Revolution im Gesundheits- und Wellnessbereich erleben, weil alle großen Media- und Technologieunternehmen in diesen Markt einsteigen. Google, Apple und die anderen Telekommunikationsunternehmen werden auch zu Gesundheitsunternehmen, denn beispielsweise ist das Smartphone für den Gesundheitsbereich prädestiniert. Es eignet sich zum Selfmonitoring aber auch zur Erhöhung der Compliance bei Patienten. Das geht soweit, dass dadurch bei bestimmten Patienten ein behaviour change bezüglich ihrer Therapie aber auch ihres gesamten Lebensstils erfolgen kann. Wearables und Smartwatches sind derzeit weltweit ein Milliardenmarkt. Schätzungen gehen davon aus, dass er bis 2018 auf 18 Milliarden Dollar anwachsen wird. Diese Technik führt dazu, dass wir deutlich mehr Daten über Konsumenten haben – vom Erwachsenen bis zum Baby oder sogar Haustier. Der Zugang zu diesen Daten ist für das Marketing eine große Bereicherung, allerdings werden hier nicht zwangsweise die Daten erfasst, die der Arzt benötigt und die für die Patientengesundheit entscheidend sind. Doch gibt es einen Ansturm auf Wearables, die der Vorsorge dienen und somit dazu beitragen, die Gesundheit zu verbessern. Dennoch wird es immer ein Arzt oder Gesundheitsexperte bleiben, der im Mittelpunkt bei Gesundheitsfragen steht.
Welche neuen Wege ermöglichen Wearable Gadgets, um mit den Menschen zu kommunizieren?
O’CONNOR VOS: Die neuen Technologien sind großartig, denn sie geben uns die Möglichkeit, viel präziser zu kommunizieren. Damit können wir den Menschen ihren Bedürfnissen und ihrer Verfassung entsprechend helfen, fitter zu werden oder ein höheres Wohlbefinden zu erlangen.
Kommt es zu einer engeren Verzahnung von Kunden und Unternehmen?
Ich glaube, ja. Der Markt ist gerade im Wandel: Es gibt eine sehr aktive und wirklich smarte Kundenbasis. Die Konsumenten beobachten mit Hilfe der technischen Hilfsmittel ihre Körperfunktionen selbstständig. Mittels der so generierten Daten verfügen Unternehmen heute über mehr persönliche Informationen als der Arzt. Auf dieser Basis können sie in eine direktere Kommunikation mit den Benutzern gehen. Die große Chance für Unternehmen besteht darin, konsumentenfokussiert in den Markt einzusteigen und den zuständigen Arzt mit einzubeziehen. Denn die wichtigsten Empfehlungen stammen nach wie vor von den Ärzten. Wir als Agenturen haben die Möglichkeit, Marktteilnehmer und Ärzte zusammenzubringen. Dabei wollen wir den Arzt als Experten bewusst integrieren und ihn nicht zurückdrängen. Wenn Technologie und Ärzte sich verbinden, können wir für eine gesündere Bevölkerung sorgen.
Machen branchenfremde Unternehmen zukünftig das Geschäft im Pharmabereich?
O’CONNOR VOS: Die externen Spieler definieren gerade neu, wie Werbung und Kommunikation in diesem Markt erfolgen und verändern so die Marktbedingungen. Wenn wir auf die aktuelle Apple-Werbekampagne schauen, sieht man deutlich, dass Apple das iPhone als Health Device vermarktet. Auch andere Unternehmen suchen wie Apple den Zugang zum Gesundheitsmarkt. Für uns im Healthcare-Geschäft ist das eine spannende Entwicklung, die dazu führen wird, dass unsere Kundenstruktur in einigen Jahren eine ganz andere sein wird als noch heute. Wir haben viele neue Spieler, die disruptiv in diesen Markt einbrechen. Die Pharmaunternehmen sind traditionell sehr stark auf ihre Produkte fokussiert und entwickeln hier Innovationen, während Unternehmen wie Samsung einen großen Markt sehen und sich fragen: Wie kann die Technologie genutzt werden, um den Menschen zu einem besseren Leben zu verhelfen? Darum wird sich die Kundenbasis, mit der wir zusammenarbeiten, verbreitern.
Erhält das Marketing ein umfassendes Verständnis über das Verhalten der Kunden?
O’CONNOR VOS: Absolut. Wir verfügen über mehr Daten als je zuvor. Die große Frage ist jedoch, wie wir mit diesen Daten umgehen und sie verwenden.
Ist das ein erster Schritt hin zu einer 1:1-Kommunikation?
O’CONNOR VOS: Die direkte Kommunikation wird in jedem Fall erleichtert, weil wir über mehr Informationen verfügen. Wir können genauer Segmente bilden und so zielgerichteter kommunizieren. Je mehr wir über den Kunden wissen, je individueller die Botschaft ist, je kontinuierlicher ein Kommunikationskreislauf geschaffen wird, umso mehr verbessert sich die Kommunikation von ganz allein.
Sind die Agenturen auf diese Art von Kommunikation vorbereitet?
O’CONNOR VOS: Wir sind darauf vorbereitet, weil es Teil unserer im Moment sowieso lebendigen digitalen Kommunikation ist. Alle Daten, die gesammelt werden, müssen aufbereitet werden. Die Konsumenten brauchen Dashboards, um Mehrwert aus den Daten zu ziehen und beispielsweise sehen zu können, wie sich ihr Puls im Laufe des Tages, der Woche oder des Monats verändert hat. Auf dieses mobile Gerät oder den Computer können wir dann passend zu den Ergebnissen auf den Kunden zugeschnittene Botschaften senden. So entsteht eine 1:1-Kommunikation, die dringend notwendig ist, denn die medizinischen Probleme eines jeden Benutzers sind verschieden.
Was muss berücksichtigt werden, damit Konsumenten ihre Daten zur Verfügung stellen?
O’CONNOR VOS: Das ist eine wichtige Frage, deren Antwort von Land zu Land unterschiedlich ausfällt. In Deutschland gibt es beispielsweise eine gewisse Zurückhaltung und Abneigung gegenüber dem gläsernen Konsumenten, auch wenn sich die Gesellschaft langsam daran gewöhnt. Entscheidend ist, welche Nutzen oder Vorteile das Teilen von Informationen für den Konsumenten mit sich bringt. Wenn es nur zu zusätzlicher Werbung führt, wird die Bereitschaft nachlassen. Aber sobald es einen wertvollen Informationsrückfluss gibt, wird die Bereitschaft Informationen zu teilen mehr und mehr steigen. Die Menschen, die ihre Daten weitergeben, möchten diese nur bei Menschen oder Institutionen wissen, denen sie vertrauen. Ansonsten behalten sie die Informationen für sich. Das große Problem im Gesundheitsbereich wird daher sein, dass die Menschen unsicher sind, was sie beim Teilen ihrer Daten zu befürchten haben. Sie haben vielleicht Bedenken, dass die Krankenversicherung diese Daten bekommen könnte und sie im Falle einer schweren Erkrankung wie Aids oder Depressionen mit höheren Beiträgen zu rechnen haben. Damit stellt sich für den Konsumenten die Frage: Ist der Nutzen vom Teilen der Information größer als die Risiken?
Erzeugen die Unternehmen der Pharmaindustrie und der Telekommunikationsindustrie ein Vertrauen, dass die Menschen bereit sind, ihre Daten preiszugeben?
O’CONNOR VOS: Es gibt eine Grenze für die Art von Daten, die die Leute zu teilen bereit sind. Sie teilen die Daten nur dort, wo sie einen Nutzen erwarten. Wir sind mit einer alternden Bevölkerung konfrontiert und es gibt einen großen Druck, die allgemeine Gesundheit zu verbessern. Deshalb beginnen Versicherungen und andere Unternehmen, Druck auf die Menschen auszuüben, damit sie die Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen. Es ist sehr spannend, dass wir den Menschen mit den Wearables Werkzeuge an die Hand geben können, die ihnen helfen, gesünder zu leben. Dabei geht es nicht um die Verwendung der so entstehenden Daten, denn diese sind vertrauenswürdig. Es ist vielmehr eine große Chance für die Pharmaindustrie, Vertrauen zurückzugewinnen, das sie verloren hat. Dies kann beispielsweise mit Compliance-Programmen oder ähnlichem gewährleistet werden.
Wird anderen Playern in dem Markt das gleiche Vertrauen entgegengebracht wie den Pharmaunternehmen?
O’CONNOR VOS: Anderen Playern wird wahrscheinlich sogar mehr vertraut. Das Thema Vertrauen wird in der Pharmabranche diskutiert, wirkliche Verbesserungen stehen aber noch aus. Eine Chance dieses zu gewinnen, ist den Menschen nicht nur Produkte zu verkaufen, sondern ihnen tatsächlich dabei zu helfen, ihre Gesundheit zu verbessern. Das kann die Pharmaindustrie beispielsweise durch die Kopplung ihrer Produkte mit Werkzeugen erreichen, die den Menschen darüber hinaus helfen, gesünder zu leben.
Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Kooperation zwischen Agentur und Pharmaunternehmen?
O’CONNOR VOS: Erste Pharmaunternehmen haben Incubation Labs gegründet, in denen sie neue Apps entwickeln oder sie bezuschussen die Entwicklung entsprechender Apps. Wir werden zukünftig eine wachsende Zusammenarbeit zwischen Technologie- und Pharmaunternehmen sowie Agenturen erleben. Agenturen können dabei helfen, beide Parteien zusammenzubringen. Die Pharmakonzerne sind in der heutigen Zeit nicht mehr die Kommunikationsexperten. Sie brauchen Agenturen, die sowohl die Konsumenteninsights als auch die medizinische Erfahrung mitbringen, da sie andernfalls den immer wichtiger werdenden Kontakt zum Kunden verlieren. Dafür brauchen sie Agenturen mit einem breiteren Portfolio, die alle Fragen beantworten können, die nun auftreten.
Das Gespräch führte Peter Hanser.