Gondel 2.0 – die Innovation für den Stadtverkehr

Mit einer KI-gesteuerten Schwebebahn will das Münchner Start-up Ottobahn die Verkehrsprobleme der Städte lösen. Diesen Herbst soll die erste Teststrecke in Betrieb gehen, sagt Geschäftsführer Marc Schindler im Interview. Die Vermarktung des innovativen Produkts könnte ein Selbstläufer werden.
Ottobahn
Schwebebahnen per KI-Steuerung: "Eine Vision, die aus technologischer Perspektive nah und greifbar ist." (© Ottobahn)

Herr Schindler, fühlen Sie sich als Visionär?

MARC SCHINDLER: Ja, schon. Schließlich entwickeln wir mit der Ottobahn ein neues, weltweites Transportsystem für die Massen. Es ist eine Vision, die aus technologischer Perspektive nah und greifbar ist. Zwar gibt es ein paar knifflige Aufgaben. Doch die lösen wir mit deutscher Ingenieurkunst.

Sie haben schon behauptet, dass die Ottobahn bis 2030 „das größte Unternehmen der Welt“ werden kann. Ist das nicht ein wenig dick aufgetragen?

Natürlich war das plakativ formuliert. Richtig ist aber: Wenn ein Unternehmen auf diesem Markt erfolgreich ist, wird es schnell sehr groß. Allein in den USA umfasst der Markt für Palettentransport jährlich 500 Milliarden Dollar. Und Palettentransport ist etwas, was wir machen würden. Ähnlich groß sind die Ausgaben der privaten Haushalte für den Transport. Schon ein Marktanteil von fünf oder zehn Prozent wäre da sehr viel.

Stadtgondeln sind zwar selten, aber nichts Neues. Was ist der USP der Ottobahn?

Unsere Kabinen sind nicht seilgeführt, sondern haben einen eigenen Antrieb und laufen auf einem Schienensystem. Solarzellen auf dem Dach des Streckennetzes liefern den Strom. Jede Kabine kann selbst entscheiden, wie schnell sie fährt und ob sie links oder rechts abbiegen möchte. Auch die Abstände zwischen den Kabinen können variieren.

Wie schnell sind die Gondeln unterwegs?

In der Stadt mit 60 km/h, über Land sind 250 km/h möglich. Denkbar sind Einer- und Viererkabinen oder Cargo-Kabinen mit Paletteneinschub.

Ist das Verkehrsmittel wirklich massentauglich?

Schauen Sie mal auf die Straßen, da sitzen im Durchschnitt 1,2 Menschen in einem Auto, weil jeder ein anderes Ziel hat. Das spricht für Einzelkabinen. Wir können sie über unsere Software so steuern, dass tausende Fahrten pro Stunde möglich sind. Wir haben eine Anfrage aus New York, ob wir auf Staten Island entlang der Küste zehntausend Menschen pro Stunde zur Fähre transportieren können. Überhaupt kein Problem.

Aber wenn eine Kabine zum Aus- und Einsteigen heruntergelassen wird, müssen alle anderen Kabinen warten.

Wenn wir es schlecht machen, ja. Aber ich weiß von jedem Passagier, wann er von A nach B will, und kann in Echtzeit die gesamte Flotte so orchestrieren, dass kein Stau entsteht.

Und wenn ich mich während der Fahrt für ein anderes Ziel entscheide?

Auch kein Problem, in wenigen Sekunden brokern wir das neu aus. Zu Stop- and Go-Verkehr wird es bei uns niemals kommen. Wir haben ja über alle Kabinen Kontrolle.

Europäische Städte sind sehr dicht gebaut, es gibt kaum Platzreserven für neue Verkehrsträger.

Unser System soll anfangs vor allem zusätzliche Kapazität für überlastete Straßen bringen. Deshalb gehen wir in die dritte Ebene, überbauen also die Straßen. Der Platzbedarf auf dem Boden ist minimal: alle 20 oder 25 Meter ein Trägermast. In diese Träger wird das Gleissystem eingehängt, auf etwa acht Meter Höhe.

Und das Ein- und Aussteigen?

Man kann das dadurch lösen, dass man in der Straße zwei oder drei Parkplätze freihält. An Hotspots wie der Münchner Allianz-Arena allerdings wird es Bahnhöfe geben müssen.

Marc Schindler, Gründer von Ottobahn

Eignet sich die Ottobahn nicht besser für Städte, die auf dem Reißbrett entstehen, wie Xiong’an in China oder Neom in Saudi-Arabien?

Wir haben schon eine Anfrage aus China, aber da ginge es beim heutigen Stand darum, die Technologie zu verkaufen. Das wollen wir nicht. Ich möchte, dass wir den Start in Deutschland schaffen. Es könnte allerdings passieren, dass wir dann international schneller wachsen als in Deutschland, schon aufgrund der Genehmigungsprozesse. Das wäre der Transrapid-Effekt.

Der Transrapid wurde in Deutschland nie eingesetzt. Wie schwer finden Sie es, Ihr innovatives Konzept zu vermarkten?

Wir haben mit dem Vertrieb noch gar nicht richtig begonnen. Von unserem zwölfköpfigen Team arbeitet die Hälfte in der Softwareentwicklung, die andere Hälfte sind Maschinenbauingenieure, als Ansprechpartner für unsere Partnerfirmen, die Hardware bauen. Trotzdem sind wir überrannt worden von Anfragen: von Städten, die unser System einsetzen möchten; von Menschen, die damit fahren wollen; und von Firmen, die Kooperation anbieten. Deshalb weiß ich noch nicht, wie es wird, wenn wir aktiv in den Markt gehen, um relevante Leads zu entwickeln. Ich glaube aber, dass es nicht schwer werden wird, weil unser Produkt den Nerv der Zeit trifft.

Ein Prototyp fährt bei Ihnen in der Bürohalle. Ist schon eine Teststrecke in Sicht?

Wir haben eine Zusage für ein Gelände nordwestlich von München, wo wir einen ein Kilometer langen Rundkurs bauen wollen. Um die Technologie weiterzuentwickeln und das Produkt für Vertreter von Städten und Gemeinden erlebbar zu machen.

Wann könnte sie in Betrieb gehen?

Ich möchte im Herbst dieses Jahres den ersten Antrieb obendrauf setzen.

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.