Herr Frisk, Sie tragen heute Morgen ein schwarzes Shirt. Könnte Ihr Unternehmen Reju es recyceln?
Ich komme gerade vom Joggen und trage noch die Sportswear, die ist aus 100 Prozent Polyester. Insofern – ja, es wäre geradezu perfekt fürs Recycling!
Reju hat in Frankfurt gerade den „Regeneration Hub Zero“ eröffnet, als ersten Baustein eines großangelegten Projekts zur Textil-Wiederverwertung. Worum geht es Ihnen?
Die Gesellschaft braucht neue Unternehmen, um die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Es gibt derzeit kein System, um nachhaltig mit den steigenden Mengen Textilmüll umzugehen. Im Jahr 2000 wurden weltweit 58 Millionen Tonnen Kleidung produziert, 2023 waren es 124 Millionen Tonnen. Davon landeten knapp 100 Millionen Tonnen auf Müllkippen oder wurden verbrannt. Wie lange wollen wir noch so weitermachen, insbesondere wenn man bedenkt, dass Polyester nicht verrottet? Recycling ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit.
Warum passiert es dann nicht längst im großen Maßstab?
Die Schwierigkeit eines Systemwechsels beruht auf der Art und Weise, wie das gegenwärtige System funktioniert. Polyester wird aus Öl hergestellt und profitiert damit von der Effizienz einer Infrastruktur – etwa von Pipelines –, die für ganz andere Zwecke errichtet wurden als für die Textilproduktion. Aber wir haben es mit endlichen Ressourcen zu tun. Ihre Verwendung wird neu priorisiert werden müssen. Es wird einfach nicht mehr denkbar sein, dass wir sie für Produkte nutzen, die auf dem Müll landen.
Warum haben Sie sich dafür entschieden, den ersten Regeneration Hub in Deutschland anzusiedeln?
Wir haben nach einer Technologie gesucht, die Fasern chemisch trennt, und bei IBM ein Verfahren namens VolCat gefunden, das auf Katalysatorbasis arbeitet. Wir sind überzeugt davon, dass es großes Potenzial für die Textilindustrie hat. Unsere Muttergesellschaft…
…der weltweit agierende französische Ingenieur- und Technologiekonzern Technip Energies…
…verfügt über enorme Erfahrung im Bau von Anlagen für die Polyesterproduktion. Die entsprechende Abteilung sitzt in Frankfurt. Also haben wir unsere Pilotanlage dort gebaut.
Welche Vorteile hat die neue Technologie?
Das Faszinierende ist, dass sie auch bei Post-Consumer-Textilmüll funktioniert, der aus verschiedenen Materialien besteht. Wir lösen die Moleküle heraus und verwandeln sie zurück in Polyester, das hochwertiger ist als das Ausgangsprodukt.
Klingt fast wie Zauberei.
Die Technologie ist großartig. Um sie zu skalieren, brauchen wir allerdings eine vorgeschaltete Logistik, um große Mengen Textilmülls zu sammeln, ihn grob zu sortieren und Störelemente wie Knöpfe oder Reißverschlüsse zu entfernen. Nirgendwo auf der Welt passiert das bislang in einem großen, industriellen Maßstab. Die meisten Verwerter, etwa Wohltätigkeitsorganisationen, trennen von Hand. Ist das nicht verrückt? Wir fliegen zum Mond, aber haben keine Fabrik, die in der Lage ist, Textilien automatisiert auf Faserbasis zu sortieren.
Wie soll Reju dann arbeiten?
In unserer Demo-Anlage wollen wir zunächst die Technik perfektionieren und erste Produkte an Pilotkunden ausliefern, damit sie schauen können, wie sie sie in ihre Lieferketten integrieren. Das wird zwei bis drei Jahre dauern. Parallel dazu bauen wir große Produktionsstätten mit Kapazitäten bis zu 50 000 Tonnen, eine in Europa, die andere in den USA, und verhandeln mit Partnern, um mit dem Aufbau von Sortieranlagen genau die Lücke zu füllen, die wir heute haben. In der Europäischen Union wird 2025 eine Direktive in Kraft treten, die Sammelsysteme für gebrauchte Textilien vorschreibt. Das ist ein Riesenschritt für den Aufbau einer Logistik, wie wir sie benötigen.
Kann teures Recycling-Polyester aus Europa oder den USA mit billiger Neuware aus Asien konkurrieren?
Der Anteil des Materials am Produktpreis ist gering. Die Mehrkosten durch Recycling wären minimal und ließen sich gut kompensieren. Gegenwärtig ist aber so gut wie kein chemisch recyceltes Polyester auf dem Markt. Die Unternehmen haben also kaum Alternativen zu virgin plastic, außer recyceltem Flaschenmüll, den aber die Flaschenindustrie zunehmend selbst benötigt wegen der Vorschriften der EU. Auch für die Textilindustrie wird es Vorgaben geben, da bin ich ganz sicher! Die Unternehmen sind gut beraten, sich darauf schon heute einzustellen.
Wie groß ist das Interesse?
Wir sprechen gegenwärtig mit 70 Brands. Der Markt für recyceltes Polyester aus Textilien wird nach unseren Schätzungen in zehn Jahren bei 5000 Kilotonnen jährlich liegen. Selbst wenn wir dann 20 Recycling-Hubs betreiben, wie es unsere Planung vorsieht, werden wir diese Nachfrage nicht annähernd befriedigen können.
Für Fast-Fashion-Brands ist die Vernichtung überschüssiger Ware ein Reputationsproblem. Werden sie künftig fürs Recycling zahlen?
Das Imageproblem existiert und ist ein starker Anreiz, auf zirkuläre Modelle umzustellen: Du gibst mir deinen Müll, ich mache daraus Polyester, das besser und langlebiger ist als Neuware, und rechne dir die Lieferung der Rohstoffe an. Das wäre eine echte Win-win-Situation und eine neue Art zu denken.
Chemisches Recycling wird aber auch kritisiert, weil Schadstoffe entstehen. Kein Problem für Sie?
Chemikalien sind nur schädlich, wenn sie nicht kontrolliert werden. Wir arbeiten mit einem geschlossenen Verfahren, es werden also keine Stoffe freigesetzt. Im Gegenteil, wir entfernen sogar Chemikalien. Manche Sachen in Kleidersammlungen sind 40 oder 50 Jahre alt, da kann fieses Zeug drinstecken.
Manche Experten sehen die Lösung eher darin, Polyester durch Naturfasern zu ersetzen.
Die Leute kennen sich mit dem Produktionsprozess bei Naturfasern nicht aus. Auch viele Baumwollprodukte sind chemisch behandelt, etwa mit reaktiven Farbstoffen.
Bevor Sie CEO von Reju wurden, haben Sie 35 Jahre in der Textilindustrie gearbeitet. Ist der Aufbau einer Recyclingfirma auch ein Versuch, Ihre persönliche Ökobilanz zu verbessern?
Hundertprozentig. Aber ich will tun, was ich kann, um den Weg für eine Transformation zu ebnen, die uns Zirkularität in der Textilindustrie bringt. Werde ich Erfolg haben? Es wird schwierig sein und wir werden Zeit brauchen. Aber wissen Sie was? Wir haben es schon mal geschafft, eine 1000-Tonnen-Recyclinganlage in Deutschland zu errichten. Und das in nur zwölf Monaten.