Besonders schlimm ist, dass sich das alles nicht mehr im Wirtschaftsteil der Medien abspielt, sondern sich zum Aufmacher auf den Titelseiten entwickelt hat. Erschreckende Nachrichten berichten über Vorfälle, die ethische, gesellschaftliche und moralische Normen sprengen. Und leider nicht nur mit Kavaliersdelikten, sondern mit handfesten, zum Teil sogar kriminellen Machenschaften.
Die breite Öffentlichkeit, die die Unternehmen eigentlich nur über ihre Produkte oder Dienstleistungen kennt, wird damit konfrontiert. Und da steckt die Gefahr. Die unseligen Berichte strahlen nicht nur auf die handelnden Personen ab, sondern greifen auf das vermeintlich lupenreine Image der Unternehmen und ihrer Leistungen über. Das Marken-profil erhält unverschuldet heftige Beulen, obwohl alle Marketing-Faktoren und die markenpflegende Kommunikation jahrelang tadellose Arbeit geleistet haben. Und plötzlich kommt wie Blitz und Donner ein Imageschaden – sozusagen aus heiterem Himmel. Was ist zu tun?
Agieren statt Reagieren
Die Antwort verlangt ein mentales Umdenken an der Spitze des Unternehmens. Aus der bisher geübten Reaktions-Strategie, die bei Krisenmanagement durch Pressesprecher oder PR-Experten praktiziert wurde, gilt es schnellsten auf ein pro-aktives Handeln umzuschwenken. Aus Reagieren sollte Agieren werden. Statt danach die Wogen zu glätten, sollte eine Strategie des Vorwegnehmens entwickelt werden. Eine Politik der gläsernen Wände. Eine – um es in ein Schlagwort zu gießen: „Strategie der neuen Offenheit“. Sie sollte in Zukunft zum Leitgedanken der Unternehmen werden. Egal, woraus der Crisis Management Fall bestehen kann. Von persönlichen Affären bis zum Umweltskandal. Von Produktfehlern bis zum Testunfall à la Elch-Test. Von der Rückrufaktion bis zum Brent Spar-Phänomen.
All diesen unplanbaren, überfallartig entstehenden Image-Schäden kann nur wirksam vorgebeugt werden, wenn eine Präventiv-Strategie systematisch und permanent, offen, ehrlich, transparent und nachvollziehbar Einblick in die Unternehmen sicherstellt. Denn: Wer das Gefühl hat, er kann das Unternehmen jederzeit selbst miterleben, selbst beobachten und selbst teilhaben, baut schneller und lang anhaltend Vertrauen auf. Und dieses Vertrauen ist belastbarer und haltbarer als jede Nachher-Reaktion, sei sie auch noch so plausibel. Wer die Gewissheit hat, selbst zu jedem Zeitpunkt Beobachter und Zeuge sein zu dürfen, versteht besser und verzeiht schneller, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert.
Vertrauen schafft Guthaben
Nach dem Motto „Jeder macht mal Fehler“ baut sich bei einer Strategie der neuen Offenheit ein Guthaben an Goodwill und Glaubwürdigkeit auf, das auch Verfehlungen, Missgeschicke oder Unfälle leichter verzeihen lässt. Die bisher geübte „Wir können das erklären“-Strategie erschöpft sich angesichts der Vielzahl der Vorfälle zunehmend. Das Plädoyer für „Die neue Offenheit“ soll konkret heißen: Agieren, weit bevor etwas passiert. Soll heißen, dass es ein kontinuierlich gepflegtes Konzept der Offenheit geben sollte, das Nähe und Einsicht in das Unternehmen schafft. Natürlich vom Unternehmen gesteuert und kontrolliert.
Statt zunehmender Entfremdung zwischen „denen da oben“ und „denen da unten“ sollte Image-Pflege in Zukunft ganz vorne beginnen. Wir leben nun einmal in einer veränderten Welt, in der die Manager angesichts des Kapitalmarktes neue Spielregeln zu beachten haben. In einer Welt der Globalisierung. In einer Welt mit permanent neuen Technologien. Und komplexen Vertriebsformen. Und alles das gilt es, transparent und verständlich für jedermann zu machen, um aus Nicht-Wissen und Verdächtigungen ein Vertrauensverhältnis zu formen.
Vertrauens-Vorschuss ist ein Konto, das heute noch selten professionell aufgebaut und kontinuierlich gepflegt wird. Aber es wird höchste Zeit, bevor die Verdrossenheit oder – schlimmer noch – ein manifestes Misstrauen gegen alles, was Manager, Multi oder Unternehmer heißt, im Volk Platz greift. Die plötzliche Dichte von Korruption, Untreue und Betrügereien macht eine nachhaltige mentale Kehrtwendung in den Unternehmen notwendig. Zum Schutze des Images der Unternehmensleistung und seiner Marken. Agieren ist angesagt. Prävention statt Reaktion. Offenheit als Geschäftsprinzip – und nicht nur für den äußersten Fall. Pro-aktives Management der Offenheit als Programm. Mit dem Ziel, Vertrauen und Glaubwürdigkeit als dauerhaften Wert zu schaffen – und so das Unternehmen zu schützen. Und um den Schaden, der entstehen kann, besser und weicher abfangen zu können, bevor er auf das ganze Unternehmen und seine Produkte durchschlägt.
Es dauert oft Jahre, aus dem Tal des Ansehens wieder in den Status allgemeiner Akzeptanz zurück zu finden. Wie sagt Warren Buffet so schön „Es dauert 20 Jahre, eine gute Reputation aufzubauen. Und 5 Minuten, um sie zu ruinieren.“ Es wird Zeit, darüber nachzudenken, wie man sich klug und voraus denkend auf scheinbar unvermeidliche „Schicksalsschläge“ rechtzeitig einstellt. Die Strategie der „Neuen Offenheit“ könnte einen Teppich an Grundvertrauen legen, der eher mal einen Ausrutscher erlaubt – und vor allem wieder schneller vergessen macht. Weil jeder aus seinem eigenen Leben weiß: „Nur, wer nichts tut, macht keine Fehler.“ Aber dazu bedarf es einer Grundvoraussetzung. Aus der Summe von Verdächtigungen muss ein stabiles Guthaben an Vertrauen werden.
Über den Autor: Bernd M. Michael ist Strategic Advisor Grey Global Group