Die Deutschen lieben ihre Ängste. So sehr, dass jedes Jahr eine Studie zu ihnen erscheint, die meist genüsslich in der Presse zitiert wird. Zu den aktuellen Top-Ängsten der Deutschen gehören: „steigende Lebenshaltungskosten“ (57 Prozent), „Überforderung des Staates durch Geflüchtete“ (56 Prozent) und die „Sorge vor unbezahlbarem Wohnraum“ (56 Prozent). Auf Platz 4 liegt dieses Jahr die Sorge vor Spannungen durch den „Zuzug ausländischer Menschen“ (51 Prozent). Natürlich.
Ich mag Ängste nicht schlecht machen, schließlich habe ich selbst genug davon. Aber es ist doch interessant, wie sehr sich die Ängste der Deutschen jährlich entlang der Headlines entwickeln. So schafften es weder der Klimawandel (Platz 15) noch Putins Angriffskrieg (Platz 16) in die Top 10. Ach halt: nicht vor Putin haben die Deutschen Angst, sondern vor einem „Krieg mit deutscher Beteiligung“. Unterwerfen kann der russische Diktator Osteuropa ruhig – nur bitte ohne uns.
Angst folgt den aktuellen Schlagzeilen
Das war schon mal anders. 2022 fürchtete mehr als jede*r zweite Deutsche (55 Prozent), dass Deutschland in einen Krieg hineingezogen werden könnte. 2020, ein halbes Jahr vor der russischen Invasion, waren es allerdings nur 16 Prozent. Und jetzt? Zweieinhalb Jahre danach? Krieg? Putin? War da was? Unsere Angst heute folgt den Schlagzeilen von gestern.
Oder der Klimawandel: Ironischerweise liegt das Thema nicht mehr in den Top 10. Auch hier folgen Angst-Spitzen dem öffentlichen Narrativ: Im Westen gab es einen klaren Angst-Sprung nach vorne 2021/2022 – zufällig zeitgleich mit einer Spitze der Google-Suchen nach Greta Thunberg. Im Osten gibt es ein Abflachen der Angst vor Klimawandel seit 2022 – überraschenderweise seit dem Siegeszug der AfD dort. Aus „Fridays for Future“ ist in einigen Regionen „Ökodikatatur“ geworden. Ein Thema mutiert mit dem öffentlichen Narrativ.
Deutsche zelebrieren Ängste kollektiv
Keine andere Nation zelebriert ihre Ängste kollektiv so sehr wie wir. Dabei überrascht immer wieder die Kurzfristigkeit der meisten Top-Ängste. Weder Ukraineinvasion noch Klimawandel sind vorbei. Ganz im Gegenteil. Die Themen, die uns strategisch bedrohen, finden nur dann Resonanz, wenn sie von spürbaren Ereignissen vor Ort begleitet werden.
Liebes Deutschland, manchmal erinnerst du mich ein wenig an das Aktenzeichen-XY-Ungelöst-Land meiner Kindheit, in dem sich meine selige Oma im ruhigen Mittelhessen fortwährend von Kriminellen bedroht fühlte. Besonders dann, wenn Eduard Zimmermann am Vorabend wieder eine Show hatte. Allerdings sollte sich jeder, der so viel Angst hat, irgendwann aktiv damit beschäftigen.
Fußnote: Angst zu haben, ist total okay. Jedes Jahr vor allem davor Angst zu haben, was uns medial in die Kanäle gepusht wurde, ist eine Einladung zur Manipulation. Vielleicht beschäftigst du dich mal damit, liebes Deutschland! Denn dass du dich so leicht triggern lässt, macht mir ein klein wenig Angst.