Es waren nur ein Tweet und zwei Beiträge auf seinem Blog „davaidavai.de“ (mittlerweile passwortgeschützt), aber sie reichten für gewaltige Reaktionen: Im Dezember 2016 machte Gerald Hensel mit dem Hashtag #KeinGeldfürRechts darauf aufmerksam, dass Unternehmen ungewollt rechtsextreme und rechtspopulistische Websites wie „Breitbart“ oder „Junge Freiheit“ querfinanzieren, indem ihre Banner über Programmatic Advertising auf diesen Seiten ausgespielt werden. Mehrere Unternehmen und Marken reagierten darauf mit einem neuen Problembewusstsein und verkündeten, problematische Websites auf sogenannte Blacklists zu setzen.
Hensel wurde dafür aber auch von vielen angefeindet. Sein Arbeitgeber Scholz&Friends stärkte ihm zwar den Rücken, Hensel beschloss aber trotzdem, seinen Job im Zuge der Aufruhr zu kündigen.
Herr Hensel, das letzte Jahr endete für Sie in Aufregung: Im Dezember kündigten Sie Ihre Stelle bei Scholz&Friends und verließen sogar kurzzeitig Berlin, weil Sie wegen des Aufrufs #KeinGeldfürRechts bedroht wurden. Wann kehrte wieder Normalität bei Ihnen ein?
GERALD HENSEL: Eigentlich nie. Ich habe ja meinen Job aufgegeben, daher ist seitdem alles erstmal anders. Die Bedrohungen haben natürlich ihren Teil dazu beigetragen. Sie waren zwar virtuell und ich wurde nie auf der Straße angegriffen, aber bei Duzenden Morddrohungen weiß man irgendwann nicht mehr genau, wie real das ist. Ich mache seitdem aber inhaltlich so ziemlich alles neu in meinem Leben. Eine tolle Chance.
Aus dieser Nicht-Normalität ist jetzt ein neues Projekt entstanden, das sie auf der re:publica vorgestellt haben: fearlessdemocracy.org. Was hat es damit auf sich?
Wir sind ein Netzwerk von Kommunikations-, PR-, Digitalleuten, die fest davon überzeugt sind, dass Rechtspopulisten und Extremisten stärker als gemäßigte politische Strömungen Kapital aus dem Netz ziehen.
Das liegt auch daran, dass die Zivilgesellschaft – Politik, Staat, Schulen, Journalisten – zu wenig Ahnung davon hat, wie das Netz heute funktioniert. Das große Problem ist in unseren Augen ein Mangel an Medienkompetenz auf der Meta-Ebene. Und die wollen wir stärken: mit einem Fokus auf die Rolle von digitaler Kommunikation in der aktiven und passiven Willensbildung. Im Grunde wollen wir dabei helfen, unsere Zivilgesellschaft zu verteidigen.
Wie genau will „Fearless Democracy“ das tun?
Wir haben drei Schwerpunktthemen:
- Offenlegen: Wir wollen mit Medienpartnerschaften, eigenem Content und Pressearbeit Bewusstsein dafür schaffen, wie Internet, Zivilgesellschaft und Politik einander bedingen und zusammenhängen.
- Hate Aid: Wir wollen Menschen Hilfeleistung stellen, die politische Gewalt im Netz erleben. So schlimm es ist: Das ist gerade ein „Trendthema“ und es gibt kaum Anlaufpunkte für all die Journalisten, Bürgermeister und Aktivisten, die das ständig erleben müssen: HateAid wird diese Plattform heißen. Unser erstes „Produkt“ ist ein „Erste-Hilfe“-Guide, den wir geschrieben haben und den wir jetzt verfügbar machen. Wenn Sie einem Shitstorm ausgesetzt sind, wäre einer der ersten Schritte beispielsweise zu prüfen, wie offen mein Facebook-Profil einsehbar ist. Können Fremde sehen, wer meine Familie ist, wo ich wohne? Das war bei mir der Fall. Am Ende wurde sogar meine Adresse im Netz gepostet.
- Stärkung von Institutionen: Wir wollen Unternehmen und Institutionen, der Werbebranche beratend zur Seite stehen, die sich in einer Welt sicher aufstellen müssen, in der aufgehetzte Hysteriegeschwader im Netz zum Daily Business gehören oder in der gar nicht klar ist, was man braucht, um seinen Job als Institution zu erfüllen: Schulen und die Polizei sind hier ein gutes Beispiel. Wer zum Beispiel glaubt, dass man bei Morddrohungen via Twitter einfach zur Polizei gehen muss, um Hilfe zu bekommen, der könnte sehr schnell eine sehr große Ernüchterung erleben. Auch hier haben wir einige Ideen. Nicht zuletzt, weil ich und einige meiner Mitstreiter es erlebt haben.
Behandeln die Medien selbst dieses Thema nicht schon umfangreich? AfD-Wählern zuhören, Pegida befragen, wie diskutiere ich richtig, Fake-News-Diskussionen überall, die re:publica drehte sich vor allem um die Frage, wie wir im Netz miteinander umgehen und was das für die nicht-virtuelle Welt bedeutet. Wo passen Sie da rein?
Es gibt viele Diskussionen zu dem Thema, was gut ist. Für mich ist aber eine Sache besonders wichtig: Zu wenige Institutionen und Akteure da draußen beziehen Position. Dass ein Gemeinwesen gegen radikalen Islamismus vorgehen muss, ist klar. Dass aber auch eine Marke oder ein Unternehmen das Recht hat zu hinterfragen, ob sie Banner auf Seiten schalten will, die systematisches Agenda-Setting gegen die Zivilgesellschaft betreiben, darüber wird nicht diskutiert.
Es wird auch zu wenig darüber gesprochen, was denn in staatlichen Institutionen passieren müsste, um bei Hatespeech schnelle Strafverfolgung zu gewährleisten. Und es wird zu wenig darüber debattiert, was denn jemand tatsächlich machen kann, der etwa von der Identitären Bewegung digital und physisch bedroht wird. Da steht man alleine da. Klingt blöd, aber wir müssen da schon langsam mal Lösungen finden, statt uns nur über „Hatespeech“ zu empören. Dass jeder irgendwie gegen Hass ist, ist klar. Wie, von wem und wo dieser Hass zu welchem Zweck produziert wird: das ist die eigentlich interessante Frage. Und die wollen wir mit unserer beruflichen Erfahrung beantworten helfen, indem wir kreativ über unkonventionelle Lösungen nachdenken helfen.
#KeinGeldfürRechts haben Sie für Ihren Talk umbenannt in „Hatevertising“ – ein klarer Bezug auf die Werbebranche. In ihrer Mission taucht die aber garnicht mehr auf. Was hat Werbung mit Zivilgesellschaft zu tun?
Werbung ist nur ein kleiner Teil unserer Programmatik, wenn auch ein wichtiger. Programmatic Advertising etwa ist eine von vielen Technologien, die den Markt überrollt haben. In der Branche herrscht einfach eine krasse Unkenntnis darüber, was für einen Kontrollverlust das zur Folge hat und wie dies mit Politik, Internet und Gesellschaft zusammenhängt. Das ist wie bei allen anderen Innovationswellen auch: Das irre und ungehemmte Wachstum kann nicht weitergehen, ohne dass man auch die Probleme sieht, die damit einhergehen – auch beim Thema Werbung. Das fängt eben damit an, den Zusammenhang zwischen Bannern und Populisten zu erkennen und sich einzugestehen, dass hier fahrlässig einige Themen ausgeblendet werden.
Wie politisch können oder müssen Marken in Ihren Augen heute sein?
Meine These ist: Eine Marke, die Programmatic Advertising nutzt, handelt bereits politisch, so lange sie nicht explizit sicherstellt, dass sie nicht in politischen Umfeldern schaltet. Programmatic bedeutet immer auch ein Stück Kontrollverlust. Das ist nicht immer ein Problem, wenn es aber um Haltung geht durchaus. Das Trägermedium ist nämlich nicht automatisch markenkongruent, nur weil es auf keiner Blacklist steht oder hart illegal ist. Wenn man bedenkt wie sehr die Planung einer Marke von Bedeutung ist und wie wenig darauf geachtet wird, wo die Mediaschaltung die Banner dann hinsetzt, fragt man sich schon: Wozu der so viel Aufwand, wenn Kontext so wenig bedeutet?
Was wäre die Lösung? Programmatic Advertising abschaffen? Strengere Blacklists aufsetzen?
Am Ende geht es auch um Blacklists, klar. Aber das ist nur das Tool. Das eigentliche Problem ist, dass Marken sich zu wenig darum kümmern, wo sie schalten und das OK finden.
Es geht nicht darum, dass ich sage: Werbt nicht auf „Breitbart“. Vielleicht finden das manche Marken auch in Ordnung. Vor einer Marke, die das offen sagt, hätte ich sogar mehr Respekt als vor all den Kandidaten, die nur auf Preise und CTRs schauen. Es ist nicht meine Aufgabe, Marken meine Sicht auf Politik vorzuschreiben. Aber Kontrolle und bewusstes Handeln: das darf ich mir als Verbraucher, Marketingmensch und, jetzt wohl auch, politischer Aktivist durchaus wünschen. Hier bedarf es einer neuen Logik im Marketing. Marken müssen ein neues, auch politisches Selbstverständnis entwickeln, das Teil der Kommunikationsstrategie wird.
Was sind die nächsten Schritte, wo setzten Sie an?
Wir haben derzeit drei Hauptthemen, in denen wir neue „Produkte“ schaffen werden. Das reicht von eigenem Content über Medienkooperationen, die Unterstützung von Politik-Prozessen in der EU bis hin zum Launch unserer Hilfsplattform HateAid, die in den nächsten Tagen an den Start geht. Wir haben viele Ansätze, die wir gerade spannend finden und wollen uns auf die Themen konzentrieren, mit denen wir am meisten Unterschied machen können. Wie heißt das im Startup-Umfeld so schön? Agilität und Fail-Kultur: wir haben genau damit als junge NGO in den letzten Monaten gut umgehen gelernt und wir wollen auch weiterhin nicht so tun, als ob wir jede Antwort in diesem irre dynamischen Umfeld hätten. Was wir aber haben, ist, eine gute Idee, nach wie vor viel Energie und einen Hebel, mit dem wir echt etwas verändern können.