Es war die Idee der Protagonisten, dieses Interview und Shooting mit einer Fahrt auf dem Rhein zu kombinieren. Wir starten in Bonn bei Sonnenschein mit Blick Richtung Süden, genauer gesagt: Richtung Unkel. Ulrich Klenke, der Markenchef der Telekom, ist dort zu Hause und wird auf der Fahrt mit der Moby Dick nicht nur den CMO der Deutschen Bahn, Jürgen Kornmann, mit einigen Fun Facts über die ehemalige Hauptstadt und ihre berühmten Bewohner*innen bereichern.
Doch bevor wir in See stechen, müssen wir das Doppelinterview im Restaurant zweimal unterbrechen. Einmal für eine ziemlich versalzene Zucchinisuppe, später weil aus dem leichten Nieselregen ein heftiger Platzregen wird und wir endgültig von der Terrasse flüchten müssen. In allerletzter Minute schaffen wir es aufs Schiff, um dann in Königswinter in die älteste Zahnradbahn Deutschlands umzusteigen. Es geht hinauf zum Drachenfels.
Als Jürgen Kornmann 2008 zur Deutschen Bahn kommt und die Kommunikation für den Personenverkehr übernimmt, ist Ulrich Klenke schon da. Der damalige CMO ist bekannt dafür, die Leute in Vorstandssitzungen zum Reden zu bringen. Nicht etwa, weil es bunte Bilder und Kampagnen zu sehen gibt, zu denen jede*r was zu sagen hat, sondern weil er Spaß an der Diskussion hat, erinnert sich Kornmann.
Obwohl beide zu dieser Zeit in Berlin wohnen, treffen sie sich anfangs vor allem in Frankfurt. Aus den modebewussten Kollegen – Klenke ist bekannt für seine bunten Socken, Kornmann für seine karierten Anzüge – werden schon bald Freunde.
Herr Klenke, Herr Kornmann, ist Marketing für Marken, deren Bekanntheit bei fast 100 Prozent liegt, nicht viel einfacher als wenn einen keine*r kennt?
Ulrich Klenke: Ja und nein. Mit Volksmarken kann jede*r was anfangen. In der Media sagt man, die haben eine Opportunity To See (OTS) von größer 5 in der Woche. Es geht also nicht um Awareness-Kommunikation. Aber Volksmarken haben natürlich eine Historie, die weitaus schwieriger zu verstehen und zu beeinflussen ist, auch weil man in der Regel mit überschaubaren Budgets arbeitet. Um bestimmte Dimensionen der Marken-Monolithen zu beeinflussen, muss man große Hebel finden.
Jürgen Kornmann: Zu den Vorteilen gehört, dass Volksmarken bewegen, nicht nur physisch wie im Fall Deutsche Bahn. Aber es gibt auch eine ganze Reihe von Verpflichtungen. Eine Marke DB im 100-prozentigen Staatsbesitz heißt eben auch, wir gehören allen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes. Und alle 83 Millionen Menschen in diesem Land projizieren ihre Erwartungen auf uns. Diese betreffen nicht nur ganz profane Dinge wie unsere Dienstleistungen, sondern beziehen sich ganz oft auf gesellschaftspolitische Bereiche, wo die Menschen von uns erwarten, dass wir als Good Corporate Citizen vorangehen, Flagge zeigen und bestimmte Positionen besetzen. Und das sind eben oft markenrelevante Positionen.
Haben Sie ein Beispiel für mich?
JK: Als Unternehmen haben wir in unserer Strategie ganz klar hinterlegt, dass wir uns für die Menschen, für die Wirtschaft, für die Umwelt und für Europa positionieren. Also haben wir am vierten Tag nach dem Angriff von Russland bereits kostenlose Tickets für alle ukrainischen Geflüchteten herausgegeben und Hilfslieferungen mit DB Cargo ans Laufen gebracht.
UK: Lufthansa, Post, Bahn und Telekom, das sind Beispiele für große Volksmarken. Mit Corona ist etwas Spannendes passiert. Die Lufthansa ist abgestürzt. Die Telekom und die Post sind durch die Decke gegangen und die Bahn hat es endlich mal geschafft, positiv wahrgenommen zu werden. Wann kann eine Volksmarke schon mal einen solchen Sprung machen? Antwort: In einer Ausnahmesituation, in der man nicht erwartet, dass sie nach vorne geht.
Haben Sie als CMOs von Volksmarken in der Folge weniger Angst vor Krisen?
JK: Während Corona haben die Leute relativ schnell realisiert, dass die Lufthansa nicht mehr fliegt und die Flix-Busse nicht mehr fahren, wohl aber die Deutsche Bahn. Dafür muss man als Infrastrukturunternehmen allerdings auch die Voraussetzungen schaffen, die Krise spielt einem nicht automatisch in die Karten. Natürlich brauchen wir pünktliche Züge, das Angebot und der Preis müssen stimmen, aber unsere Mitarbeitenden sind der zentrale Faktor für unsere Kundenzufriedenheit. Auch deshalb haben wir über 80.000 neue Kolleg*innen in den letzten drei Jahren eingestellt.
UK: Eine Volksmarke ist nicht automatisch ein Krisengewinner, das kann man so nicht eins zu eins stehenlassen. Die Marke kann in der Krise etwas zur Kommunikation beitragen, sie kann eine Verantwortung nach außen transportieren, aber machen müssen es die Menschen.
Was hilft Ihnen in diesen turbulenten Zeiten am meisten?
JK: Mir hilft meine Sozialisation als Journalist, als Kommunikator. Weil ich gerade in Krisenzeiten von einer starken Marke erwarte, dass sie mir Orientierung gibt. Deswegen muss für mich als Erstes immer die Botschaft einen echten Mehrwert haben, sie muss individuell nachvollziehbar, ehrlich und transparent sein. Erst dann überlegen wir, wie wir diese Botschaft emotional aufladen können, sodass sie nicht nur im Kopf, sondern auch im Herzen ankommt.
UK: Wir haben eine Marketingorganisation bei der Telekom, die sehr schnell auf Marktgegebenheiten reagieren kann. Dieser Speed, auch in der Denke, das ist ein unschätzbarer Vorteil.
Jürgen Kornmann leitet bei der Deutschen Bahn ein Team von 110 Personen. In seiner Abteilung werden die Strategie und die Planung für alle Kampagnen und Content-Maßnahmen gemacht. Der CMO bündelt zudem konzernweit die Markenführung und Marktforschung, das Digitalmarketing, Live-Kommunikation, PR und Sponsoring sowie die Mediabudgets. Die operative Umsetzung, vor allem auch das Performance Marketing, findet überwiegend in den Geschäftsfeldern statt.
Im Brand-Team von Ulrich Klenke arbeiten 55 Personen, in der deutschen Marktkommunikation kommen weitere dazu. Wie die Bahn ist die Deutsche Telekom besonders stark übrigens auf TikTok. Über den Social-Media-Kanal erreicht sie mit jedem Video Millionen Menschen.
Die Anforderungen an Manager*innen im Marketing verändern sich gerade rasant. Nach welchen Fähigkeiten suchen Sie bei neuen Teammitgliedern?
UK: Die Liebe zur Markenkommunikation, zur Marke. Der Wille, Spuren zu hinterlassen, muss da sein, alles andere kann man jemandem beibringen. Wenn wir die Meinung und Wahrnehmung der Menschen beeinflussen wollen, müssen wir innovativ sein. Das ist unsere Aufgabe.
JK: Wenn wir neue Mitglieder ins Team bringen, dann suchen wir nach neuen Qualitäten. Nehmen wir das Beispiel Precision Marketing und Künstliche Intelligenz. Da haben wir nicht das Potenzial und die Zeit, alles aus uns selbst heraus zu entwickeln. Manche Qualitäten braucht man schnell und die suchen wir dann auch gezielt draußen.
UK: Man muss wissen, was man tut. Dafür braucht es Erfahrung. Wenn das Thema Marke in einem Unternehmen aber keine wirkliche Bedeutung hat, führen am Ende Menschen, die keine zwingende Kompetenz in diesem Bereich haben. Hängt es im Vertrieb, beim Vorstand, in der Presse? Es macht einen Riesenunterschied, wohin das Thema gepackt wird.
Und was ist Ihrer Meinung nach am besten?
UK: Klar kann man dann darüber diskutieren, was wir besser finden, aber ich würde lieber darüber diskutieren, was besser funktioniert. Es hängt weniger von den handelnden Personen ab als vielmehr von der Aufhängung im Unternehmen und davon, ob die Marke, auch budgetär, wertgeschätzt und ob in sie investiert wird.
Die Deutsche Telekom ist die wertvollste deutsche Marke, noch vor SAP und Mercedes-Benz. Sie ist außerdem die wertvollste europäische Telko-Brand. Aber ist sie auch eine Love Brand?
UK: Das Love-Brand-Konzept hat viele Fans und viele Feinde. Wir haben versucht, uns dem ganzen über eine Frage im Marktforschungs-Set zu nähern: „Ich liebe oder ich hasse die Marke“, von plus 3 bis minus 3. Es gibt einen europäischen Dienstleistungs-Benchmark-Index und unser Ziel ist es, in allen Ländern, in denen wir aktiv sind, über dem Benchmark zu liegen. Und wir schaffen es aktuell in acht von zehn Ländern. Das heißt, wir sind dort die beste emotional aufgeladene Marke. Insofern kommen wir einer Love Brand ziemlich nah.
Hat die Deutsche Bahn auch das Potenzial, zur Love Brand zu werden?
UK: Wenn man die schlechte Produktwahrnehmung wegnehmen würde, hätte man eine enorme Zustimmung. Das sieht man beispielsweise an der Schweiz.
JK: Ich bin absolut überzeugt, dass die DB eine Love Brand werden kann. Für viele Menschen ist die Bahn schon jetzt der Schlüssel zu einer klimagerechten Mobilität und viele nehmen unsere Mitarbeitenden als Sympathieträger*innen wahr. Wenn wir in den nächsten Jahren durch die Generalsanierung unseres Netzes mit neuen Zügen und mehr Verbindungen auch noch das Bahnfahren pünktlicher und verlässlicher machen, wird die Zuneigung weiter wachsen.
Obwohl die Deutsche Bahn viele Fans auf Social Media hat, so kämpft sie dort doch auch mit massiver Kritik. Dieser stellt sie sich auch mit ihrer neuesten Kampagne. Darin heißt es etwa: „Wir haben verstanden und wir handeln.“ Offen, ehrlich und konkret benennt das Unternehmen seine Defizite im Bereich Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. So soll es gelingen, „Verzeihungsdepots“ aufzubauen und Erwartungsmanagement für die nächsten Jahre zu betreiben. Zudem will die Bahn mit Precision Marketing und digitalen Technologien ihre Kund*innen künftig vor, während und nach der Reise noch besser personalisiert und kontextualisiert begleiten.
Haltung muss im Unternehmen verankert sein, um in der Kommunikation nach außen einen Ausdruck zu finden. Was ist hier wichtig?
JK: Ich stelle nur Themen ins Schaufenster, die sich in der DNA der Bahn wiederfinden. Für die wir einen konkreten Beitrag leisten, der für die Gesellschaft relevant und auch erlebbar ist. Trifft das bei anderen Themen nicht zu, sage ich dazu auch nichts.
UK: Für unsere Unternehmen gibt es einen Grundversorgungsauftrag, der im Telekommunikationsgesetz festgehalten ist. Du bist als Unternehmen zu einer Neutralität im Geschäft verpflichtet. Das heißt nicht, dass du keine Haltung haben kannst. Das bedeutet: Du darfst gegen ein Thema sein, aber niemals gegen handelnde Menschen.
Und was funktioniert?
UK: Aus der Marke heraus haben wir gute Erfahrungen gesammelt, wenn etwas möglichst nah am Produkt ist, wie es bei „Share with Care“ der Fall ist. Bilder auf sozialen Netzwerken zu teilen, das hat etwas mit unserem Geschäftsauftrag und Geschäftsmodell zu tun. Dass man etwas Gutes im Sinne von Aufklärungsarbeit bewirkt, muss im Vordergrund stehen. Aber es ist unsere Aufgabe als Innovationsgeber oder als Markensteuerer, herauszufinden, was wie wirkt. Der Nachfolger von „You’re the Voice“ aus der „Gegen Hass im Netz“-Kampagne etwa polarisiert stärker, weil er dich auch ein bisschen aufwühlt.
JK: Das ist der Punkt, Haltung muss auch mal wehtun und etwas kosten – und ich meine nicht nur Geld. In Zeiten, in denen KI den Sales Funnel fundamental verändern wird, ist es umso wichtiger, dass für die Menschen noch deutlicher wird, bei wem sie ein Produkt oder eine Dienstleistung kaufen. Markenkommunikation zahlt immer auf Produkterlebnis und Produktumsatz ein.