Willkommen in Mainhattan: Zugegeben, die Dippemess in Frankfurt ist kein Ort, an dem man Giuseppe Fiordispina oder Niels Verlemann zufällig treffen würde. Es brauchte schon ein wenig Überredungskunst, um den Chief Marketing Officer von Cupra und den Geschäftsführer der Frankfurter Agentur Envy zu einem Besuch zu bewegen. Und das lag nicht etwa daran, dass einer der beiden dort vor zehn Jahren ein mieses Date hatte. Wer es war? Verraten wir nicht.
Die Kirmes vor der Frankfurter Eissporthalle ist das älteste Volksfest der Stadt – bunt, laut und auch unter der Woche mit großem Polizeiaufgebot. Doch an diesem sonnigen Aprilnachmittag bleibt es friedlich. Wir treffen Verlemann und Fiordispina gut gelaunt an. Sie sind trotz des engen Zeitplans entspannt, scherzen miteinander. Perfekte Voraussetzungen, um Autoscooter, Pferdekarussell und Riesenrad zu fahren.
Im anschließenden Gespräch verraten die beiden, worin aus ihrer Sicht das Geheimnis einer guten Geschäftsbeziehung liegt, warum digitales Automobilmarketing der eigentliche Ritterschlag ist und wieso Frankfurt als Kreativstandort zu Unrecht verkannt ist.
Herr Verlemann, früher wollten alle Werber*innen mindestens einmal im Leben eine Kampagne für
eine große Automarke machen. Gibt es diesen Traum bis heute?
Niels Verlemann: Als wir angefangen haben, für Cupra zu arbeiten, hatten wir schon das Gefühl, einen digitalen Stunt oder ein Social-Media-Highlight machen zu müssen, die fetzen.
Giuseppe Fiordispina: Agenturen wollen immer die fancy Sachen machen und wollen manchmal nicht verstehen, dass Handelsmarketing das eigentliche Spielfeld ist. Vieles, was früher Verkäufer*innen geleistet haben, läuft inzwischen über digitale Kanäle. Käufer*innen gehen heute im Durchschnitt nur noch 1,8 Mal ins Autohaus, bevor sie einen Kaufvertrag unterschreiben. Das ist viel weniger als noch vor ein paar Jahren. Deswegen ist eine gut gemachte Händlerwebseite aus meiner Sicht elementar.
Eine Marke muss heutzutage durchgehend im Dialog sein.
Niels Verlemann, Geschäftsführer von Envy
NV: Am Ende des Tages sind über alle Seat- und Cupra-Händler knapp 700 Webseiten online gegangen. Ich hätte am Anfang nicht damit gerechnet, dass wir mit diesem Case so ein Riesending hinlegen und eine Reihe von Preisen gewinnen würden.
Böse Zungen behaupten, Autowerbung sei sowieso austauschbar. Braucht es also in Zukunft keine TV-Spots mehr?
GF: Für mich ist ein TV-Spot nicht wichtiger als eine Händlerwebseite. Beides gehört zur Markenkommunikation und muss ein ansprechendes Design haben. Um ehrlich zu sein, beschäftige ich mich sogar lieber mit Aufgaben rund um den eigentlichen Autokauf. Wir werden dafür gefeiert, spektakuläre Werbespots zu machen. Aber am Ende geht es darum, den ganzen Funnel zu bedienen und sich Lösungen für Kund*innen zu überlegen, die zunehmend markenilloyal sind.
Der Plan scheint aufzugehen. Die Geschäftszahlen zeigen, dass sich der Marktanteil 2022 mehr als verdoppelt hat, die Neuzulassungen liegen bei plus 112 Prozent.
GF: Wir sind die momentan am schnellsten wachsende Marke in Europa. Das kommt nicht von ungefähr. Dazu gehört eine saubere Markenstrategie und – das ist für mich immer die Basis – ein gutes Produktportfolio.
NV: Eine Marke muss heutzutage durchgehend im Dialog mit Follower*innen, User*innen und Kund*innen sein. Das umzusetzen ist super kleinteilig. Übers Jahr gesehen wird jede Woche im Sprintverfahren irgendwas optimiert. Das sind manchmal nur Veränderungen im My-Bereich. Aber wenn man im Dezember auf die Zahlen schaut und sieht, was sich unterm Strich getan hat, macht einen das schon stolz. Klar, es braucht immer noch die Peaks, aber es ist nicht der eine TV-Spot, der die Verdopplung der Marktanteile ausgemacht hat, sondern es ist die Summe vieler Kleinigkeiten.
GF: Wir denken in Ökosystemen, nicht in Silos. Das kann sich eine Marke, zumindest eine junge Marke wie Cupra, die ja auch die Ambition hat, eine junge Zielgruppe anzusprechen, nicht mehr leisten. Das Schöne an Digitalmarketing ist, dass man es messen kann – und zwar in real time.
NV: Wir orchestrieren alles, was digital ist, von Social-Media-Posts über Bannerwerbung bis hin zu den Webseiten und E-Mails, die rausgehen. Irgendwo sind wir durchgehend irgendwie mit irgendjemandem in Kontakt. Früher war es der TV-Spot, der einem in Cannes einen Löwen gewonnen hat. Heute geht es darum, dass etwas funktioniert, was wir jahrelang kontinuierlich gemacht haben.
GF: Wobei ihr euch natürlich auch über Awards freut, vor allem die Kreativen.
Schauen Sie nach dem Aufwachen als Erstes aufs Dashboard?
GF: Tatsächlich setze ich mich mit den Zahlen jeden Tag auseinander. So kann ich Unregelmäßigkeiten erkennen und gleich eingreifen, falls dies notwendig ist. Und wir sehen, dass unsere Händler sie auch nutzen. Das ist für uns immer ein Zeichen, dass wir eine gute Lösung erarbeitet haben. Man darf dabei nie vergessen, dass hinter den Zahlen echte Menschen stecken, die sich mit der Marke beschäftigen.
Die Zusammenarbeit von Envy und Cupra beginnt während Corona. Als Fiordispina den Digitaletat neu ausschreibt, ist Envy bereits für die Konzernmarke Audi tätig.
Er kennt die Agentur von früher, als er noch im Marketing von Fiat tätig war. Damals sitzt er Luftlinie 500 Meter von Niels Verlemann entfernt, der dabei ist, sich in der Agentur nach ganz oben zu arbeiten. Envy ist zu dieser Zeit noch auf Messen spezialisiert, vermittelt beispielsweise Hostessen für die Internationale Automobilausstellung (IAA).
Also bittet Fiordispina Envy zum Pitch. „Und dann haben sie abgeliefert“, sagt der CMO. „Der Erfolg bestätigt uns. Es war richtig, die Digitaldisziplinen zu bündeln und in eine Hand zu geben, um eine möglichst hohe Synchronität reinzubringen.“ Heute ist Envy eine von sechs Agenturen, mit denen Cupra zusammenarbeitet.
Sie haben während Corona begonnen zusammenzuarbeiten. Welche Werte sind Ihnen in diesem Zusammenhang besonders wichtig?
NV: Der menschliche Faktor ist unglaublich wichtig. Ich habe es davor noch nie erlebt, dass wirklich alle Partner – Agenturen, Dienstleister und Produktionsfirmen – und von Kundenseite nicht nur Marketing, sondern auch Produkt an einem Ort physisch zusammenkommen und gemeinsam für die Sache arbeiten. Das ist nicht selbstverständlich.
Keine Spur von Wettbewerb?
NV: Es ist nicht nur Kuschelkurs und Comfort Zone. Das wäre übertrieben.
GF: Natürlich wollen wir an manchen Stellen Wettbewerb. Er belebt das Geschäft und bringt frischen Wind rein. Aber vor allem möchte ich, dass die Agenturen in komplexen Projekten ihre Rolle kennen. Ich bin nicht die Nanny, sondern der Kunde. Ich bin nicht dafür verantwortlich, dass sich alle verstehen, sondern dass am Ende ein gutes Ergebnis rauskommt. Ganz klar, ich erwarte, dass die Agenturen auch miteinander arbeiten können.
Ich will und brauche Agenturen, die für die Marke brennen.
Giuseppe Fiordispina, Chief Marketing Officer, Cupra
NV: Gerade in den Führungsteams der einzelnen Partner ist ein guter Austausch und Verständnis füreinander wichtig. Ohne partnerschaftliche und kollaborative Prozesse auf Augenhöhe würde die Zusammenarbeit nicht funktionieren.
GF: Für mich gibt es da drei Dimensionen. Die eine ist Engagement. Ich will und brauche Agenturen, die für die Marke brennen. Diese Leidenschaft für die Marke muss da sein, gerade für eine Marke, die mitten im Aufbau steckt. Dann braucht es Vertrauen darin, dass die Leute schon wissen, was sie tun. Das Dritte ist konstruktive Kritikfähigkeit. Ich muss gerade Dinge ansprechen können, die nicht gut funktionieren.
Aber scheuen sich viele Agenturen nicht vor dieser Diskussion? Schließlich wollen sie den Marketingchefs doch gefallen, oder?
NV: Das wäre zu kurz gesprungen. Das ganze Thema Engagement, Vertrauen, Kritikfähigkeit, das machen wir ja nicht, weil wir die Werte cool finden oder weil es so mehr Spaß macht. Wir machen es, weil du nur so besser werden kannst.
GF: Natürlich gibt es Diskussionen und es kann auch mal vorkommen, dass sich jemand persönlich angegriffen fühlt. Mir geht es darum, dass wir konzentriert und fokussiert auf die Sache bleiben. Wir haben sehr ambitionierte Ziele. Auf die Marken, die jetzt auf den Markt kommen, hat keiner gewartet.
NV: Cupra sticht im VW-Konzern hervor. Sie gehen anders an die Dinge ran, haben eine andere Kultur und Haltung.
GF: Anders zu sein, ist unsere Aufgabe. Also nicht im Sinne von anders um des Andersseins willen, sondern eine Marke auf dem Markt zu etablieren, die das Markenportfolio im Volkswagenkonzern ergänzt. Wir sind eine Challenger Brand. Um die Dinge nicht nur anders, sondern im besten Falle auch besser zu machen, brauchen wir natürlich auch ein Agentur-Set-up, das so denkt.
NV: Viele andere Kund*innen finden unsere Ideen viel zu disruptiv. Nicht so Cupra. Denen sind sie gerade disruptiv genug.
GF: Vielleicht noch nicht mal disruptiv genug. Genau das braucht es. Du musst an die Sache glauben, um sie zum Fliegen zu bringen.
Wie würden Sie Ihre Beziehung zueinander beschreiben, sind Sie befreundet?
GF: Durch den intensiven, fast täglichen Austausch, ein ähnliches Mindset und das Erreichen gemeinsamer Ziele entwickelt sich natürlich auch eine menschliche Verbindung. Das könnte man schon fast als Freundschaft bezeichnen.
Ohne partnerschaftliche und kollaborative Prozesse würde die Zusammenarbeit nicht funktionieren.
Niels Verlemann, Geschäftsführer von Envy
NV: Ich liebe das, was ich mache, und würde nie unterscheiden wollen zwischen privat und beruflich. Wir verbringen viel Zeit miteinander und arbeiten leidenschaftlich für eine gemeinsame Leidenschaft: Autos. Der Definition nach sind wir Geschäftspartner. Es fühlt sich aber so an wie mit Freund*innen. Wäre auch komisch, wenn nicht.
GF: Wenn man eine Weile miteinander gearbeitet hat, hat man auch eine Vertrauensbasis. Und das führt unweigerlich dazu, dass man zwischendurch auch mal über private Fragen spricht. Und so eine Qualität gehört, glaube ich, zu einer gesunden Geschäftsbeziehung dazu. Wir müssten einen neuen Namen erfinden. Geschäftsfreunde?
Die Marke Cupra wird Anfang 2018 gegründet. Der Name steht für „Cup Racer“ und zeigt die Motorsport-Vergangenheit der Marke Seat Sport, die bereits 1985 gegründet wurde. Giuseppe Fiordispina ist seit August 2018 Marketing Director von Cupra und Seat Deutschland. Zuvor war er unter anderem für Fiat, Samsung und Opel im Marketing tätig. Begonnen hat er seine Karriere auf Agenturseite. Eine lehrreiche Zeit, wie er sagt.
Niels Verlemann steigt im Oktober 2010 als Projektmanager bei Envy ein. Im Januar 2020 übernimmt er die Leitung der Frankfurter Agentur als Managing Director.
GF: Wir müssen in der Lage sein, uns kritisch mit den Themen auseinanderzusetzen. Wir arbeiten weder für unsere Freundschaft noch für unser Privatleben noch für unsere eigene PR, sondern für den Auftrag, den wir haben. In unserem Fall: Cupra.
NV: Ich glaube, dass man auf Agenturseite falsch wäre, wenn man dieses Dienstleister-Gen nicht in sich hätte. Es ist ein krasses People Business. Wir wollen beraten und unterstützen, darauf muss man Bock haben.
Agentur-Nachwuchs wird händeringend gesucht, das hat nicht zuletzt der GWA berichtet.
NV: Frankfurt hat kein strukturelles, sondern ein klassisches Imageproblem. Wir haben ein unfassbares Angebot an Kultur, Nachtleben, Gastronomie, was eigentlich immer kreative Leute anzieht. Dass Frankfurt so viel mehr ist als Banken, Flughafen und Bahnhofsviertel, hat kaum eine*r draußen so richtig auf dem Schirm. Man muss ganz klar sagen, dass die Organisationen, die für das Image zu sorgen haben, zum Beispiel der GWA oder die Marketing Clubs, das in den vergangenen zehn, 20 Jahren extrem vernachlässigt haben.
Das Schöne an Digitalmarketing ist, dass man es messen kann – und zwar in real time.
Giuseppe Fiordispina, Chief Marketing Officer, Cupra
GF: Ich habe meine Karriere in einer Agentur gestartet. Diese fünf Jahre haben mir so viel gebracht für meine Marketingpositionen in Unternehmen, weil ich die Prozesse kannte, wusste, wie Kreative ticken. Man hat viel mehr Gestaltungsspielraum und Entwicklungsmöglichkeiten. Die Arbeit in einer Agentur kann für junge Leute auch ein Sprungbrett sein. Es ist eigentlich der ideale Start in eine Marketingkarriere. Das muss man einfach mal wieder sichtbar machen. Und wer könnte das besser als die Branche selbst?