Erst vor Kurzem – zum Start der neuen Intendantin Lotte de Beer – hat die Volksoper einen neuen Anstrich bekommen. Das zweitgrößte Opernhaus in Wien ist nun rosa. Während unten für „Die lustige Witwe“ geprobt wird, findet unser Interview ganz oben im Galeriebuffet statt.
Nicoleta Auersperg, die mittlerweile zwischen Wien und Berlin pendelt, ist vor Ort für die Eröffnung von „Things on Top of Other Things“. Für die Ausstellung im Kunstraum Super hat sie neue Skulpturen geschaffen. Marianne Heiß lebt in der Stadt und wird ausnahmsweise erst am darauffolgenden Tag zur Zentrale der BBDO Group in Düsseldorf aufbrechen. Der Preis, den die CEO für ihre Wahlheimat zahlt, muss in Kilometern gemessen werden. Es ist ein sonniger Montagmittag Ende Oktober. Die beiden sind exzellent vorbereitet. Man könnte sagen, sie sind im Flow.
Frau Auersperg, Sie behaupten von sich selbst, Sie zerdrücken gerne Marzipan. Ist das einfach eine schönere Beschreibung für „den Finger in die Wunde legen“? Oder was meinen Sie damit?
Nicoleta Auersperg: Marzipan ist so schön weich und formbar. Wenn es durch eine Verpackung geschützt ist, wie an der Kasse in einer Tankstelle, kann ich es zurücklegen und vielleicht sieht die nächste Person, die es in die Hand nimmt, die Abdrücke und nimmt das Marzipan mit. In meinen Arbeiten geht es viel um Formgebung – auch im gesellschaftlichen Sinne. Was formt uns eigentlich? Und durch was formen wir?
Haben Sie eine Antwort?
NA: Es ist ein komplexer Prozess, der stark verschränkt ist. Es ist die Aufgabe der Kunst, mit Fühlern durch die Welt zu gehen. Ich kann mit meinen Arbeiten nicht alles erzählen. Ich suche in meiner Umgebung, recherchiere Materialien und ihre Geschichte. Während der Pandemie haben beispielsweise viele Leute angefangen, Sauerteig anzusetzen und Brot zu backen. Dieses Phänomen und die Frage, woher die Sehnsucht kommt, etwas selbst herzustellen, habe ich in meinen Arbeiten aufgegriffen.
Marianne Heiß: In der Kunst wie im Management geht es auch um die Frage, was wir zu dieser Formgebung aktiv beitragen und wie stark wir unserer gesellschaftlichen Verpflichtung nachkommen. In meiner Funktion habe ich eine gesellschaftliche Verantwortung. Wenn man als Manager*in in einem Unternehmen tätig ist, geht es nicht nur um Mitarbeiter*innen, Kund*innen und um Gewinnsteigerung, sondern auch um das Thema Corporate Social Responsibility. Kunst und Kultur haben für mich als Werbetreibende und CEO eines Kommunikationsunternehmens einen sehr hohen Stellenwert. Dazu kommt: Sich künstlerisch zu betätigen, schafft gerade in Krisenzeiten mentale Stabilität.
Sind Sie Kunstförderin oder Kunstliebhaberin?
MH: Ich liebe Kunst und Kultur: Die Oper, die Salzburger Festspiele und das Lesen sind ein wunderbarer Ausgleich zu einem sehr anspruchsvollen Management-Alltag. Diese Leidenschaft teile ich auch mit meinem Mann.
Ihre zweite Leidenschaft gilt dem Sport. 2022 gab es, sagt Heiß, keinen Tag ohne. Es ist also kein Zufall, dass es vor vier Jahren der Sport und nicht etwa die Kunst war, der sie zusammenbrachte. Auersperg war ihre Yogalehrerin.
Vom ersten Moment an hatte Auersperg „einen Platz im Herzen“, so Heiß, und sie hat sie nach der ersten Yogastunde direkt zum Frühstück eingeladen. Was die beiden noch verbindet: Sie sind die Jüngsten von vielen Geschwistern, von Neugier getrieben und der österreichischen Kultur tief verbunden.
Inzwischen machen sie kein Yoga mehr zusammen; Auersperg hat aufgehört zu unterrichten. Sie habe Yoga nun wieder für sich, wie sie sagt. Und könne sich gleichzeitig voll auf die Kunst konzentrieren.
Haben Sie schon einmal zusammengearbeitet?
NA: Bei der Kunst ist es oft sehr schwer zu sagen, wann die Arbeit anfängt und wann sie endet.
MH: Wir haben uns inhaltlich ausgetauscht.
NA: In dem Fall habe ich schon oft mit Marianne gearbeitet.
Wie arbeiten Sie lieber: allein oder im Team?
MH: Ich arbeite sehr gerne im Team. Wenn man unterschiedliche Perspektiven zusammenbringt, kann eine unglaubliche Kraft entstehen. Bei BBDO haben wir eine Transformation gewagt, von einer wettbewerbsorientierten hin zu einer kollaborativen und kooperativen Kultur. Wir haben damit im Team Ergebnisse erreicht, die es in unserer 66-jährigen Geschichte so noch nie gab: Zum ersten Mal kreativste Agenturgruppe des Jahres, ausgezeichnet als eines der innovativsten und effektivsten Unternehmen, und wir sind einer der Marktführer beim Thema Nachhaltigkeit geworden.
Und wie ist es in der Kunst, arbeitet man da nicht viel lieber auf sich selbst gestellt?
NA: Das kommt auf das Ziel an. Arbeite ich auf eine Ausstellung hin, wo ich als Künstlerin eingeladen wurde, und muss dafür neue Arbeiten produzieren? Oder arbeite ich an einer Bewerbung für eine Ausstellung, einem Antrag oder für eine Publikation? Das ist sehr unterschiedlich. Wenn ich an neuen Skulpturen arbeite, arbeite ich oft allein. Das genieße ich sehr. Es kann aber auch frustrierend sein und irgendwann kommt immer der Zeitpunkt, wo eine Öffnung stattfindet. Es interessiert mich ja, wie Leute auf meine Arbeit reagieren.
Auersperg betreibt mit drei Kolleg*innen den Kunstraum GOMO. Der Kunstbetrieb, sagt sie, sei sehr hart. Vieles schaffe man nur, wenn man sich gegenseitig unterstütze.
Der Name GOMO hat drei Lesarten: als Kurzform, ähnlich wie MOMA, als Abkürzung für „go out more often“ und als Wink auf das steirische „Goschenmoder“, was so viel wie Mundgeruch bedeutet. Skurril? Ja, aber es gehe auch darum, sich selbst nicht immer so wichtig zu nehmen, so Auersperg.
Macht der Austausch alles besser?
NA: Pauschal würde ich das nicht unterschreiben, Teamarbeit birgt auch Konfliktpotenzial. Wenn man, wie wir bei GOMO, schon fast kollektiv arbeitet, Arbeiten ineinander verschwimmen oder übereinander gelagert werden, hinterfragt man die Autorenschaft und löst das Selbst auf. Dient Kunst der Selbstverwirklichung? In solchen Projekten eben genau nicht.
Muss man in einer Agentur mehr Kompromisse machen als in der Kunst?
MH: Kund*innen müssen ein kreatives Grundverständnis mitbringen, entwickeln und gestalten Ideen und Exekution mit. Kurz: Sie sind Teil des Teams. Dank neuer Arbeitsmethoden wie Scrum hat sich wahnsinnig viel getan. Die gemeinsame Wertschöpfungskette ist bei einem Projekt erst zu Ende, wenn wir die finale Abnahme haben und das Produkt an den Consumer Touchpoints zu erleben ist.
NA: Das ist interessant, weil es sehr strukturiert abläuft. Da ist ein Unterschied zur Kunst. Ich gehe nicht ins Atelier und habe die Begriffe Zielsetzung, Strategie und Ergebnis im Kopf und arbeite immer auf ein eindeutiges Ergebnis hin, das ich am Ende präsentieren muss. Im besten Fall gibt es am Ende eine fertige Arbeit. Aber ich glaube, dass ich den Luxus habe, weniger an meine Kund*innen zu denken. Ich bin schon freier.
MH: Stimmt. Trotzdem gibt es etwas Verbindendes. Auch wenn wir vielleicht aufgrund eines Briefings der Kund*innen und deren Geschäftsherausforderungen agieren, am Ende verfolgen wir ja beide ein ganz klares Ziel: Wir wollen Zukunftsthemen erfolgreich aufgreifen, den Zeitgeist aufnehmen und den Weg für Neues ebnen. Kunst, die Werbung, die Kommunikation sollen Menschen begeistern und bewegen, inspirieren und wachrütteln. Das ist das verbindende Element.
NA: Im Endeffekt geht es darum, sich für mehr Verständnis einzusetzen. Und noch eine Sache: In der Werbebranche wird oft von Kreativität und Inspiration gesprochen. Das sind in der Kunst Unwörter. Wer im Kunstbetrieb von Inspiration spricht, outet sich als Außenstehende*r.
Wie formuliert man es dann?
NA: Man spricht nicht über Inspiration, man beschreibt sie eher und wird konkret, spricht etwa über den Ausgangspunkt. Das kann man auch kritisch sehen, aber jeder Fachbereich entwickelt seine Fachsprache, um sich abzugrenzen. Obwohl Kunst und Kommerz natürlich total verwoben sind. Persönlich finde ich, Werbung und Kunst könnten beide mehr über den Tellerrand schauen.
Nicoleta Auersperg wird 1991 in Buenos Aires geboren. Als sie vier Jahre alt ist, kehrt ihre Familie nach Wien zurück, wo die Künstlerin später studieren wird. Dass sie aristokratische Wurzeln hat, thematisiert sie zu keinem Zeitpunkt. Es scheint für sie keine Rolle zu spielen.
Ist die Werbung in der Kunst angesehen?
NA: Die Werbung hat von außen betrachtet noch immer ein Imageproblem. Die Kunst hingegen wird auf ein Podest gestellt, als hätte sie die Fähigkeit, die Welt sofort zu heilen. Dass im Kunstbetrieb vieles schiefläuft, ist vielleicht nur weniger sichtbar.
MH: Ich arbeite seit 26 Jahren für die BBDO Gruppe. Als ich in den 90er-Jahren angefangen habe, waren wir viele Nächte im Büro. Das hat sich komplett geändert. Ein Beispiel für die veränderten Strukturen: Wir haben das Thema Mental Health zur Priorität gemacht und am Anfang der Pandemie ein Mental-Health-Programm aufgesetzt, das seitdem allen Mitarbeiter*innen offensteht und das wir in die neuen Arbeitsformen integrieren.
Und abgesehen von den Strukturen?
MH: Als die Welt auf Distanz war, hat sich viel in Richtung Purpose-Kommunikation entwickelt. Beim Eurythenes plasticus, den wir für den WWF entwickelt haben, bei der Dr.-Oetker-Kampagne „Unite around the table“ und der WhatsApp-Kampagne zum Jahreswechsel standen wichtige gesellschaftliche Themen im Vordergrund. Das schafft Nachhaltigkeit im Ergebnis.
Können Sie mir ein Beispiel für künstlerisch wertvolle Werbung nennen?
NA: (überlegt lange) Ich sehe viel Werbung, aber sie fällt mir nicht auf.
MH: In einem unserer Konferenzräume hängt ein Zitat von Vilim Vasata, einem unserer Unternehmensgründer: „Creativity is the overcoming of indifference“ – Kreativität überwindet die Gleichgültigkeit. Sie kann den Unterschied machen. Unternehmen können alles sein, Marken können alles sein: bewegend, aufregend, unterhaltsam. Aber sie dürfen nicht gleichgültig sein. Wir leben in Zeiten, in denen wir uns das nicht mehr erlauben können.
Marianne Heiß führt die BBDO Group Germany seit März 2019 als CEO. Mehr als 2500 Mitarbeiter*innen aus über 40 Nationen arbeiten für die Agenturmarken der Gruppe, darunter die BBDO-Werbeagentur in Düsseldorf und Berlin, die Managementberatung Batten & Company, die Omnicom Media Group, Ketchum, die Digitalagentur Interone und die auf Design spezialisierte Peter Schmidt Group.
Sie ist Mitglied im internationalen Board von BBDO, Aufsichtsrätin der Volkswagen AG, der Audi AG und der Porsche SE. Heiß ist auch Autorin mehrerer Bücher, darunter „Yes she can – Die Zukunft des Managements ist weiblich“ (2011), und setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, Frauenkarrieren zu fördern und Diversität in der Wirtschaft aktiv voranzutreiben. Beim Female Executive Dinner der Gruppe, das eine Woche vor unserem Interview in Berlin ausgerichtet wurde, war auch Auersperg eingeladen.
Zu Anfang von Corona wurden viele Imagefilme für Marken gedreht. Sie haben der „Süddeutschen Zeitung“ in einem Interview im Mai 2020 gesagt, es gehe Unternehmen um Purpose, das heißt die Haltung einer Marke und die Bedeutung ihrer Produkte. In unserer jetzigen wirtschaftlichen Lage dreht sich bei vielen Konsument*innen alles um den Preis. Wie erleben Sie das im Agenturalltag?
MH: Niemand kann es sich leisten, das Thema Purpose auszuklammern und nur noch einen Preiswettkampf zu führen. Den kann man bei diesen Inflationsraten nicht gewinnen. Durch die herausfordernden Zeiten des Krieges, der Energiekrise, der Inflation und auch der bevorstehenden Rezession ist es umso wichtiger, Haltung in der Kommunikation zu entwickeln. Das kann auch Preis-Leistung sein, zum Beispiel mit nachhaltigen Produkten.
Zu Ihren Kund*innen zählen unter anderem Dr. Oetker, Henkel und WhatsApp. Wächst der Druck, Werbung zu machen, die abverkauft?
MH: Wir haben viele Preissteigerungen im Laufe des Jahres gesehen. Die Preissensibilität ist gegeben, aber sie löst das Problem nicht. Ich kann nicht alle Preissteigerungen ausschließlich an die Konsument*innen weitergeben, die ich durch Logistik, teurere Rohstoffe und Energiepreiserhöhungen managen muss. Umso wichtiger ist es, keine Marktanteile zu verlieren. Das geht mit Purpose und Markenritualen. Rituale geben den Menschen Halt, gerade in Krisenzeiten. Beides hat markenstrategisch, aber auch gesellschaftspolitisch einen unglaublichen Wert.
Ist die Preissensibilität auch in der Kunst angekommen?
NA: Auch kommerziell sehr gut aufgestellte Künstler*innen haben seit der Pandemie gemerkt, dass sie in gewisser Weise in einem Luxussegment unterwegs sind. Im Gespräch mit Galerist*innen spürt man diese Panik. Haben die Leute noch Interesse, Kunst zu kaufen? Ich versuche, zuversichtlich zu sein.
Wurden Sie schon einmal für Werbung angefragt?
NA: Ich habe während des Studiums bei einem Wettbewerb mitgemacht und die Autos des Hilfswerks, eines Pflegedienstes in Österreich, gestaltet.
Würden Sie auch Werbung machen?
NA: Ich würde mir ein Angebot genau anschauen. Und wenn es interessant ist, würde ich es machen. Für mich ist Werbung kein Tabu. Es sind verschränkte Systeme. Die Kunst eignet sich sehr viel von der Popkultur an. Auf der anderen Seite findet man Ästhetiken aus der Kunst oft zwei Jahre später in der Werbung wieder oder Materialien, die auf einmal in jedem Kaffeehaus sind.
MH: Zusammenarbeit und Kollaboration muss nicht am selben Kunstwerk heißen. Es kann auch heißen, die Kunst zu fördern und zu unterstützen. Oder Menschen zusammenzubringen, sich auszutauschen, voneinander zu lernen.
Kunst muss man auf sich wirken lassen, Werbung ist schnelllebig. Heißt das automatisch, dass Kunst nachhaltiger wirkt als Werbung?
NA: Werbung ist auf jeden Fall sichtbarer und hat eine größere Wirkungsmacht. Die gesellschaftliche Rolle wahrzunehmen, wie es dein Anspruch ist, Marianne, das ist extrem wichtig.
MH: Unten im Foyer der Volksoper hängt ein schönes Zitat: „Wir können keine Zukunft komponieren, ohne auf die Vergangenheit zu hören.“ (Anmerkung der Redaktion: bezieht sich auf den neu komponierten Pausengong, der immer kurz vor der Vorstellung erklingt) Es muss kein Entweder-oder geben, Social Media zum Beispiel kann dabei helfen, Werbefilme und Kommunikation, aber auch Kunst einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Wir müssen nur lernen, verbindender zu denken, wenn wir die Herausforderungen, die in Zukunft zu bewältigen sind, bewältigen wollen.