Eigentlich hat die Maxx Arena im Münchner Osten an diesem Freitagvormittag gar nicht geöffnet. Dass sie für unser Shooting eine Ausnahme macht, hat den Vorteil, dass wir Trampoline, Kletterwände und Parcours für uns alleine haben. Genauer gesagt: für Alissia Quaintance und Magdalena Rogl.
So, wie beide heute auftreten, haben sie sich nicht immer positioniert. Im Oktober sorgte Rogls Wechsel von der Onlinekommunikation in die Personalabteilung Microsofts für großes Echo in den sozialen Medien, schließlich war und ist sie seit Langem ein Liebling der Kommunikationsbranche. Die ehemalige Tech-Beraterin Quaintance hat ihre zweijährige Elternzeit genutzt, um sich neu zu erfinden. Sie hat gegründet. Seitdem fokussiert sie sich auf die Rolle von Frauen in Organisationen und die Frage, welche neuen Normen es braucht, um sie in der Arbeitswelt und in Spitzenpositionen zu halten.
Frau Rogl, Frau Quaintance, Sie haben beide größere berufliche Veränderungen hinter sich. Was war nötig, damit Sie diesen Schritt gehen konnten?
MR: Bei mir gab es ja schon mal eine große Veränderung, als ich von der Kinderpflege in die Onlineredaktion gewechselt bin. Diese Veränderung und der Support von Frauen in all den Jahren haben mir Sicherheit für die Zukunft gegeben.
AQ: Lena war mir in der Hinsicht immer einen Schritt voraus. Für mich war das ganze Thema Frauennetzwerk damals, als wir uns kennengelernt haben, überhaupt nicht präsent, weil ich mich als Frau in der männlichen Tech-Szene immer wohlgefühlt habe und weil ich als junge Frau ohne Kinder nie Einschränkungen gespürt habe.
Kennengelernt haben sich die beiden vor Jahren bei der Verabschiedung einer gemeinsamen Freundin. Zuvor kannten sie sich nur vom Hörensagen. Quaintance war damals noch im Technologiebereich tätig und beriet Unternehmen etwa zum Einsatz von Virtual Reality, Rogl arbeitete zu jener Zeit in der Redaktion von Focus Online, bevor ihr der Quereinstieg in die digitale Kommunikation von Microsoft gelang.
AQ: Frauen waren für mich früher nie essenziell für mein Weiterkommen. Als ich Mutter wurde, merkte ich, dass meine sehr männlich geprägten Business-Skills mir nur wenig nutzten, und war froh, dass ich Frauen wie Lena hatte, die mich in dieser Veränderung begleitet haben. Heute würde ich sagen, dass das bewusste und mutige Entscheiden für eine ausgedehnte Babypause der wichtigste Katalysator für meine berufliche Veränderung war.
Was ist heute Ihr größter gemeinsamer Nenner?
AQ: Was uns verbindet, ist der Antrieb aus unserer weiblichen Intuition und eine klare Haltung, die nicht nur an Kennzahlen, sondern an Werten orientiert ist.
MR: Wir beide versuchen, die Arbeitswelt positiv zu verändern und so zu gestalten, dass sie mit Leben gefüllt ist und nicht nur Buzzwords wie „New Work“ benutzt werden. Wir wollen auf unterschiedliche Arten wissen, was diese Veränderung für Menschen bedeutet und wie wir eine wertvolle, nachhaltige Entwicklung mitgestalten können.
AQ: Erst durch das Eintauchen in das Thema Weiblichkeit habe ich verstanden, dass die täglichen biologischen Lebensrealitäten von Frauen, wie Menstruation, eine Geburt und Menopause, in der Arbeitswelt fast gar nicht vorkommen, obwohl genau der Umgang mit diesen Prozessen uns so maßgeblich formt und ausmacht.
Sie stoßen die Veränderung aus unterschiedlichen Perspektiven an. Warum?
MR: Unternehmen müssen Impulse von außen bekommen. Und umgekehrt ist es auch wichtig, Dinge intern zu verändern. Dort hat man einen geschützten Raum und kann in Ruhe auf die Strukturen blicken. Wenn man nur aus einer Richtung schaut, kann man nicht das ganze Bild sehen. Es ist wichtig, ganzheitlich zu denken.
AQ: Als ich noch über KI und Technologietrends gesprochen habe, war es für mich einfacher als junge „Frau in Tech“ auf allen Bühnen präsent zu sein. Jetzt nutze ich meine Rolle als Vordenkerin auf einer Ebene, die manche vielleicht noch nicht auf dem Schirm haben, aber die für mich ganz klar das „Next Big Thing“ ist.
Und was heißt das konkret?
AQ: In meiner Arbeit hebe ich heraus, dass Frausein eine absolute Quelle für unsere Kreativität und Intuition ist. Hierzu lade ich Frauen ein, ihre Glaubenssätze zum Thema Menstruation, Geburt und auch Menopause, die für mich damals auch lediglich als „Show-Stopper“ galten, zu überdenken. Aktuell arbeite ich mit großen Gruppen von Frauen in Unternehmen an Konzepten, wie eine neue Arbeitswelt dazu aussehen kann. Das ist gerade jetzt ein wichtiges Thema, da die Doppelbelastung für Frauen an ihrem Zenit ist und wir dringend neue Wege brauchen, wie das Thema Work-Life-Balance in Unternehmen etabliert werden kann.
Was glauben Sie, wie man Veränderung nachhaltig etablieren kann?
MR: Es geht nicht nur um uns, sondern wir tragen Verantwortung für die Gesellschaft, in der wir leben, und die Generationen, die nach uns kommen. Und wir stehen auf den Schultern von Menschen, die schon Veränderungen ermöglicht haben – seien es Frauenrechte oder die Arbeitswelt. Diese Ganzheitlichkeit war bis vor einem Jahr sehr weit weg. Dann kam Alissia dazu und hat Weiblichkeit und Menopause in Unternehmen thematisiert. Wenn man sich die Frauen in Führungspositionen ansieht, dann sind viele von ihnen in dieser Lebensphase der Menopause – oder kurz davor oder danach. Genau die brauchen wir, um Entscheidungen zu treffen und Impulse zu setzen, diese Veränderung umzusetzen und das Budget dafür zu geben.
AQ: Ich dachte immer, ich würde meinen Sohn bekommen und ganz normal weiterarbeiten. Im ersten Jahr habe ich genau das probiert, stand im Vorstands-Workshop und meine Mutter war mit ihm in der Kaffeeküche und zwischendurch habe ich gestillt. Das erste Jahr habe ich diese Working-Mom-Realität wirklich gelebt, mein Partner hat mich in allem unterstützt. Ich hatte eigentlich alles.
Was ist dann passiert?
AQ: Dann hat mir meine Intuition gesagt, dass ich etwas anderes machen muss. In diesen Umbruchphasen braucht es Vorbilder wie Lena. Beim Thema Weiblichkeit sind die jungen Generationen schon viel offener und weiter als wir. Das heißt, Unternehmen müssen sich jetzt schon genau auf diese Frauen vorbereiten, die ein ganz anderes Selbstbewusstsein haben, als wir es hatten. Es braucht ein Umdenken, deswegen ist Mentoring so aktuell. Wir müssen uns supporten und selbst hinterfragen.
Welche Rolle wird Intuition in Zukunft spielen?
AQ: Künstliche Intelligenz wird vieles übernehmen und unsere kognitive Power im Grunde ersetzen. Dass wir in einem viel stärker von Unsicherheit geprägten Terrain navigieren, mit stetigem Wandel und sich verknappenden Ressourcen umgehen müssen, stellt uns schon jetzt vor neue Herausforderungen. In den letzten Jahrzehnten haben wir sehr viel mit kontrolliertem, linearem und sogar exponentiellem Machen erreicht – was eher männlich konnotiert ist. Wie wir aber gerade sehen, stoßen wir mit diesem Denken an unsere Grenzen, ein Umdenken ist daher absolut notwendig.
MR: Emotionalität ist ein riesiges Thema für mich, ich spreche seit Jahren darüber, dass wir mehr Emotionalität in der Arbeitswelt brauchen. Wir müssen lernen, wie wir bewusst mit Emotionen umgehen und diese bewusst wahrnehmen können. Unternehmen haben gar keine andere Chance mehr, wenn sie zukunftsfähig sein wollen.
Wie wird sich die Wirtschaftswelt verändern, wenn verschiedene Lebensrealitäten berücksichtigt werden?
MR: Sie wird sehr viel erfolgreicher werden. Es geht nämlich nicht nur um Frauen, sondern auch darum, dass es Männern möglich wird, mehr bei sich zu sein, mehr Emotionalität zu zeigen und nicht mehr durch das gesellschaftliche Korsett eingeschränkt zu sein.
AQ: Ergänzend müssen wir Frauen sicherstellen, dass diese neue Arbeitswelt unseren Bedürfnissen in unterschiedlichen Lebensphasen gerecht wird. Hierzu müssen wir uns fragen, was neben „höher, schneller, weiter” wirklich zählt. Es bringt nichts, wenn Frauen Männer kopieren. Wir müssen wirklich mehr Diversität auch in puncto Weiblichkeit repräsentieren und klar formulieren, was dies für uns bedeutet. Hier meine ich ganz explizit nicht nur das Thema Mutterschaft. Ob das jetzt unser monatlicher Zyklus, die Geburt eines Kindes oder eben die Menopause ist. Auch für Männer ist diese Frage extrem wichtig.
Dieses Interview erschien zuerst in der April-Printausgabe der absatzwirtschaft.