Gemischtes Doppel: Jannis Johannmeier und Kerstin Hochmüller

Auf den ersten Blick könnten Jannis Johannmeier und Kerstin Hochmüller kaum unterschiedlicher sein. Aber wie immer gilt: Man sollte lieber zweimal hinschauen. Im Interview diskutieren die beiden leidenschaftlich über Themen wie Bildung, Führung und Mut zur Veränderung.
Jannis Johannmeier und Kerstin Hochmüller
Jannis Johannmeier, Co-Gründer von The Trailblazers, und Kerstin Hochmüller, CEO von Marantec, verbindet inzwischen mehr als eine Arbeitsbeziehung. Die beiden sind Freunde geworden. Mit auf dem Bild: Johannmeiers Hündin Conni. (© Christian Protte)

Es braucht drei Anläufe, bis das Treffen mit Jannis Johannmeier und Kerstin Hochmüller stattfindet. Zweimal musste es verschoben werden. Doch als es dann endlich so weit ist, passt einfach alles: Bahn pünktlich, Hund gekämmt, Sonne scheint.

Wir treffen uns auf Hochmüllers Hof, etwa 15 Autominuten vom Bielefelder Hauptbahnhof entfernt. Inzwischen verbringt die Geschäftsführerin der Marantec Group einen Großteil ihrer Arbeitszeit hier, nachdem sie zu Beginn der Corona-Pandemie noch oft die Büros des Spezialisten für Antriebstechnik genutzt hat. Johannmeier, energiegeladen wie erwartet, hat seine Hündin Conni mitgebracht. Sagen wir es mal so: Man kennt sie von Social Media. Und zwar beide.

Während unseres Interviews wird schnell klar, dass Hochmüller und Johannmeier einen intensiven Austausch schätzen – immer wieder wird wild diskutiert. Aber: Respekt und Offenheit für das Gegenüber sind die Basis ihres Austauschs, wie auch ihrer Zusammenarbeit und Freundschaft.

Wie kann Wachstum neu gedacht werden, wie geht man auch in unbequeme Themen rein, wie treibt man Veränderung voran? Darum wird es in diesem Interview gehen.

Herr Johannmeier, als Sie und Kerstin Hochmüller sich kennengelernt haben, haben Sie die Worte „Alte Welt“ an ein Whiteboard geschrieben und erst mal demonstrativ durchgestrichen. Warum?

Jannis Johannmeier (JJ): Die alte Welt ist für mich das Synonym für die Art, wie heute in den meisten Unternehmen gewirtschaftet wird. Unternehmen schauen zu viel auf sich und verpennen die meisten Entwicklungen, die gerade wirtschaftlich und gesellschaftlich stattfinden. Diese Art des Denkens funktioniert nicht und sollte daher auch keine Rolle mehr spielen oder besser: komplett beerdigt werden.

Wie kann aus der „Alten Welt“ eine „Neue Welt“ werden?

JJ: Die neue Welt entsteht einfach. Sie interessiert sich nicht dafür, dass es eine alte Welt gibt oder was ihre Regeln waren. Viele Regeln, Prozesse, Strukturen und Institutionen haben keine Berechtigung mehr, werden aber weiterhin als Maß der Dinge akzeptiert. Die 40-Stunden-Woche wurde zum Beispiel 1965 eingeführt und wir reden nun über 38 oder 42 Stunden. Es hinterfragen nur wenige das Konzept. Und das ist nur ein Beispiel für eingefahrene Denkmuster.

Wie hat sich das für Sie angefühlt, als Geschäftsführerin eines traditionsreichen Mittelständlers?

Kerstin Hochmüller (KH): Wir hatten einen Matchmaker, deswegen war ich positiv gestimmt, Jannis kennenzulernen. Dann habe ich mich aber trotzdem aufgeregt (lacht). Ich bin der Meinung, dass wir eine neue Welt schaffen müssen, weil die Veränderungen durch Digitalisierung und Nachhaltigkeit dramatisch sind, und ich mag die Start-up-Szene und die Impulse, die von dort ausgehen – aber sie heiligzusprechen ginge mir zu weit.

Worüber haben Sie diskutiert?

KH: Darüber, wie man neu denken muss. Und wie radikal man eigentlich sein muss. Reicht es, einfach einen neuen Antrieb auf den Markt zu bringen, oder musst du nicht größer denken, vielleicht in Lösungen und ganz neuen Geschäftsmodellen, die mitunter sogar eine andere Aufstellung des Unternehmens verlangen? Solche Fragen hat unser Kennenlernen hervorgebracht.

JJ: Kerstin war zu Beginn noch sehr in ihren bekannten Denkmustern unterwegs und hat nicht sofort gesehen, dass Marantec eine neue Wirtschaftsgattung begründen kann. Dass Marantec vom Hidden zum Open Champion wird – und damit zu einem Leuchtturm oder Vorbild für den gesamten deutschen Mittelstand. Ich dachte mir: Marantec ist Weltmarktführer. Was das für eine gesellschaftliche Kraft entfalten kann, wenn ein Unternehmen wie Marantec sich öffnet und mit der für einen Mittelständler typischen Geheimniskrämerei bricht.

KH: An diese Kraft habe ich zu dem Zeitpunkt nicht gedacht und wahrscheinlich auch nicht geglaubt. Mit diesem Anspruch haben wir dann auch unsere Kommunikation komplett neu gedacht.

JJ: Unternehmen packen die Themen, die wirklich spannend sind, in ihrer Kommunikation tendenziell in den Keller. Es macht ihnen Angst, Wandel und Veränderungen offen zu zeigen. Doch genau das ist ja das Spannende. Die Leute wollen verstehen, wo es drückt, was mal falsch läuft, und wollen mitgenommen werden. All das, was Kerstin im Wandel erlebt und die Fragen, die sie sich stellt, sind doch spannender als fertige Antworten.


Nach diesem ersten Treffen Ende Februar 2019 beginnt die Zusammenarbeit der beiden, zunächst in Form einer gemeinsamen Initiative mit dem Matchmaker Torsten R. Bendlin, einem Start-up-Unternehmer aus Ostwestfalen-Lippe. Zur Jahresmitte wird aus der Initiative eine langfristige Partnerschaft. Ihr Ziel: Das Beste aus Mittelstand und Start-up zusammenbringen. The Trailblazers, die Kommunikationsagentur, die Johannmeier 2020 mitgründet, gibt es da noch gar nicht. Bis heute haben die beiden keinen Vertrag. Sie sind überzeugt: Durch eine persönliche Beziehung kommen sie zu besseren Ergebnissen.


Herr Johannmeier hat Sie als außer­gewöhnlich beschrieben, als Ausnahme. Sehen Sie sich selbst so?

KH: Wenn wir uns den Mittelstand ansehen, technische Unternehmen und meine Rolle dort, dann würde ich sagen, bin ich eine Ausnahme. Leider. Vor allem bin ich überzeugt: Die Zeit, die man bekommt, um etwas gestalten zu können, muss man als Geschenk sehen – und auch als Verpflichtung, sie zu nutzen.

Kerstin Hochmüller, CEO von Marantec : „Die Zeit, in der man gestalten darf, muss man als Geschenk sehen – und nutzen.“  ©Christian Protte

Wie gelingt das?

KH:  Es braucht eine eigene Vision für das Unternehmen und dann einen gemeinsamen Plan, wie man dort hinkommt. Man muss vom Problemmodus in den Lösungsmodus.

Woran reiben sich die Leute am meisten, an Ihren Ideen, an Ihrer Person?

KH: Dinge zu verändern, birgt natürlich Konfliktpotenzial, weil es unbequem ist. Oft höre ich so was wie: Das ist zu schnell, zu viel auf einmal, muss das sein, ist das nicht übertrieben? Oder: Ist denn alles falsch, was wir bisher gemacht haben? Wenn ich Fragen stelle, die Konzepte entlarven, die nicht gut genug durchdacht sind, kommt das auch nicht immer gut an.

Wie selbstkritisch sind Sie?

KH: Sehr. Ich stelle immer infrage, ob das, was ich tue, richtig ist. Kann ich das, ist das gut genug, müsste ich nicht mehr machen? Ich kann nicht gut damit umgehen, wenn jemand unzufrieden ist, und nehme das dann persönlich, was ja eigentlich Quatsch ist.

Und Sie, Herr Johannmeier?

JJ: Selbstkritisch ist für mich nicht das passende Wort. Ich würde mich als getrieben beschreiben. Ich bin selten bis nie zufrieden mit unserer Arbeit.

Warum?

JJ: Warum nicht? Es gibt unendlich viele Probleme und Herausforderungen, und die gilt es zu lösen. Das ist eine super Lebensaufgabe. Wir können alles selbst erfinden und mitgestalten. Das können viele Menschen weltweit leider nicht behaupten. Daher finde ich: Das sollten wir nutzen.

KH: Die Erwartung ist oft, dass andere das tun. Das macht mich wahnsinnig. Jetzt sind es die hohen Energiekosten, dann der Krieg oder einfach die Politik. Natürlich sind das enorm große Herausforderungen, aber die gab und gibt es immer. Dass Dinge selbst in die Hand genommen werden, geschieht mittlerweile viel zu wenig in unserem Land.

JJ: Wenn ich sage, jeder kann alles schaffen, ist das für die meisten Menschen ein Frontalangriff. Weil sie das Gefühl haben, ich würde ihnen sagen, dass sie ihr Potenzial nicht ausschöpfen. Wenn ich das wiederum zu Kerstin sage, dann sagt sie: Stimmt, lass uns die Grenzen neu definieren.

Jannis Johannmeier, Co-Gründer von The Trailblazers : „Unternehmertum ist eines der besten Vehikel, um etwas zu verändern.“ ©Christian Protte

Auch Wirtschaftswachstum hat seine Grenzen. Es gibt eine bestimmte Menge an Ressourcen. Dann ist es vorbei.

KH: Das ist die zentrale Frage, die ungelöst bleibt. Jeder sagt: Ohne Wachstum geht es nicht. Wir brauchen dringend eine Neudefinition von Wachstum. Wachstum muss Nachhaltigkeit mit einschließen. Dann kann Wachstum vielleicht weiterhin das Ziel sein, es bedeutet aber auch etwas anderes.

Was wäre besser, als zu sagen, wir brauchen mehr Umsatz und mehr Gewinn?

JJ: Aus meinem Naturell würde ich sagen: alles. Aber solange die Wirtschaft so bleibt, dass Rendite wichtiger ist als Nachhaltigkeit, damit meine ich alle 17 Nachhaltigkeitsziele der UN, dann ist mir dieses Konzept fremd. Die Wirtschaft braucht eine weitere Kennzahl, und die sollte Impact heißen.

KH: Als Unternehmen brauchen wir Wachstum in Form von Weiterentwicklung. Ich denke schon, dass es in einem Zwischenschritt möglich ist, mit bewährten Kennzahlen zu arbeiten. Denn schon heute würden Kosten und Renditen anders aussehen, würde man sie auf Basis einer nachhaltigen Unternehmensführung bewerten.

JJ: Vielleicht werden Nachhaltigkeitsziele wie die der UN irgendwann ja auch verpflichtend. Und wenn man keines dieser Ziele angeht, braucht man gar nicht erst anzufangen oder weiterzumachen.


Die beiden diskutieren leidenschaftlich. Während Hochmüller sich Zeit für ihre Antworten lässt und länger überlegt, redet sich Johannmeier zwischendurch in Rage. Es geht um Sozialisierung, dass die Schule es einem abtrainiere zu experimentieren, den Sinn und die Sinnlosigkeit eines Studiums und ob es Führung überhaupt braucht.


Bei all den großen Veränderungen, die Sie vorantreiben wollen: Wie wichtig ist Ihnen dabei der Spaß?

KH: Wenn dir die Arbeit keinen Spaß macht, dann ist die Motivation auch sehr gering. Dann ist von 9 bis 18 Uhr eben Arbeit und danach Freizeit.

JJ: Für mich ist Spaß ein Riesenthema. Wirklich radikale Utopien machen mir Spaß. Dinge anzunehmen, Unmöglichkeiten zu versuchen, das macht Spaß. Und sich eben nicht im Klein-Klein zu verlieren.

Was Sie beide beschreiben, ist, was man unter Work­-Life-­Blending zusammenfasst. Wie stehen Sie dazu?

JJ: Am Ende muss man sich überlegen, woher man seine Energie zieht. Ich ziehe Energie aus Begegnungen. Da kann ich nicht einteilen in Work und Life. Manche wollen durchziehen, jemand anderes will vielleicht alle drei Monate Urlaub machen. Wer hindert dich daran, so zu leben, wie du es willst? Du kannst New Work jetzt ja sogar studieren. Unmöglich!

KH: New Work bedeutet für viele erst mal Homeoffice. Aber wenn man das weiterspinnt, heißt es, wir haben die Megachance, dass jeder selbst entscheiden kann, wie sein (Arbeits-)Alltag aussieht. Natürlich muss es noch auf ein Ziel einzahlen. Aber dieser Rahmen ist immer noch riesig verglichen mit dem, was wir vorher hatten.

JJ: Für uns Privilegierte, die wir nun mal sind, ist es verdammt noch mal unsere Pflicht, Maßstäbe und Grenzen radikal neu zu definieren, damit alle Menschen etwas davon haben. KH: Wir sind da bei Roman Herzog, dem früheren Bundespräsidenten. Der hatte mal gesagt: Alles weg – was wirklich gebraucht wird, taucht wieder auf. Und er hat so recht.

(ccm, Jahrgang 1984) ist seit Oktober 2021 Chefredakteurin der absatzwirtschaft. Neben der Weiterentwicklung der journalistischen Marke verantwortet sie die crossmediale Themenplanung sowie die Konzeption und Pilotierung neuer Formate mit Schwerpunkt Digital Storytelling. Aufgewachsen zwischen Südamerika und Deutschland lebt sie aktuell mit Freund und Kater in Köln.