In den Hongkong Studios in Hamburgs Hafencity gibt es neben schönen Plätzen zum Meeten, Arbeiten und Chillen einen Proberaum für Bands, ein Yogazimmer, viel Kunst, jede Menge technisches Equipment, Schallplatten und eine Küche. Es duftet nach Asiatischem, als wir zur Mittagszeit eintreffen. Das könnte ein Problem sein, denn: Harald Fortmann, Executive Partner der Personalberatung Five14, fastet gerade. Er erweist sich aber als routinierter Nicht-Esser und lässt sich die gute Laune kein bisschen verderben.
Marianne Bullwinkel, CEO vom Audiovermarkter RMS Radio Marketing Service, ist ebenfalls bestens gestimmt; die beiden kennen sich seit Jahrzehnten und sind sich immer wieder in verschiedenen Funktionen begegnet. Beide sind umtriebig und agil. Beide dürften in ihren Leben schon sehr, sehr viel gearbeitet haben. Und beide sind sich völlig einig darüber, dass New Work Unternehmen erfolgreicher machen wird. Trotz all dieser Gemeinsamkeiten wird es ein lehrreiches Gespräch.
Frau Bullwinkel, Herr Fortmann, woher kennen Sie beide sich eigentlich?
Harald Fortmann: Wir kennen uns aus Zeiten, da war ich noch bei Advertising.com und AOL, und Marianne war bei Initiative Media. Ich erinnere mich noch daran, dass wir harte Verhandlungen hatten.
Marianne Bullwinkel: Später sind wir uns bei Facebook und Snap wiederbegegnet, das war eine thematisch sehr fokussierte Zusammenarbeit. Ich habe Snap in Deutschland gegründet und brauchte Personal. Harald ist ein von mir sehr geschätzter Personalberater mit einem tollen Netzwerk. Wenn man Personal sucht, tauscht man sich natürlich nicht nur darüber aus, wie viel Berufserfahrung jemand haben muss, sondern auch über die eigenen Vorstellungen von Kultur, Teamspirit und über die Art und Weise, wie die Leute sein sollten, die man eigentlich sucht.
Die beiden begegneten sich in den Nullerjahren, als in der Agenturbranche die 80-Stunden-Woche an der Tagesordnung war. Heute transformiert Marianne Bullwinkel gemeinsam mit ihrem Co-Geschäftsführer Cord Hollender die eher traditionelle Arbeitswelt von RMS zu einer modernen Netzwerkorganisation.
Laut dem Begründer Frithjof Bergmann besteht New Work aus Broterwerb, Selbstversorgung und dem, was man wirklich, wirklich gerne tut. Wie definieren Sie beide New Work?
MB: Es geht unbedingt immer darum, die Sache, die man liebt, mit Hingabe zu tun. Aber es geht auch darum, dass man dabei ein Mensch sein kann, und dass man alle Dinge, die einem im Leben wichtig sind, mit der Arbeit vereinbaren kann auf eine bestmögliche Art und Weise.
HF: Das ist es, was Menschen erfolgreich macht: wenn sie etwas leidenschaftlich gern tun. New Work hat sich, seit es Bergmann in den Siebzigern definiert hat, weiterentwickelt. Es ist ein Märchen, dass die nachfolgende Generation sehr faul ist und nicht mehr arbeiten möchte. Und, ganz ehrlich, das haben meine Eltern und Großeltern ja über uns auch gesagt. Es findet eine Veränderung statt: Der Wille zu arbeiten ist da, aber die Menschen wollen eben nicht mehr irgendwas machen. Und das müssen Firmen verstehen, um ihre Arbeitsbedingungen, ihre Arbeitsplätze, ihre Aufgaben besser zu definieren.
MB: Ich kann bestätigen, was Harald sagt. Ich finde es bemerkenswert, dass da eine Generation mit einem sehr, sehr großen Selbstbewusstsein und einer hervorragenden Ausbildung auf den Markt gekommen ist, die von Anfang an Verantwortung übernehmen will und sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen lässt von Sätzen wie „Das haben wir schon immer so gemacht“. Es ist sehr erfrischend, dass das eine Generation ist, die danach fragt, welchen Impact ihre Arbeit auf das Unternehmen oder auf die Gesellschaft hat.
Ist New Work eine Frage des Alters?
MB: Nein, überhaupt nicht. Ich kann Ihnen auch tolle Beispiele nennen von Kolleginnen und Kollegen, die seit Jahr und Tag da sind und die sich ihre große Neugierde und eine große Probierbereitschaft bewahrt haben. Das ist keine exklusive Eigenschaft von Alter, das ist eine Eigenschaft von Menschen.
HF: Ich glaube, dass wir im Medien- und Digitalsektor näher dran sind, weil die Umgebung agiler ist. Aber ich erlebe es auch in anderen Unternehmen. New Work ist eine Typfrage. Wir beide sind die besten Beispiele: Wir haben beide eine Fünf vorm Alter und trotzdem lieben wir Veränderung und fördern sie. Während der Pandemie haben viele Leute New-Work-Erfahrungen gemacht, die sonst nicht in diesen Genuss gekommen wären. Dadurch haben sie entdeckt, dass eine Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort viel bringt. Das war ein Wachrütteln für viele.
Ist New Work nicht auch schlicht dem Fachkräftemangel geschuldet?
HF: Nein, das glaube ich nicht. Sicherlich gibt es einen Fachkräftemangel, gar keine Frage. Aber wir können uns dem Thema New Work nicht verschließen, egal in welcher Branche.
Welches ist denn das fetteste Problem bei der Umsetzung von New Work?
MB: Also so richtig fette Probleme sehe ich ehrlich gesagt nicht. Ich glaube, wenn es ein Problem gibt, dann ist es die Bereitschaft, New Work auszuprobieren – und zwar von allen Seiten. Der Rest ist gute Planung.
HF: Früher bedeutete Karriere: Ich komme in dem Unternehmen an, übernehme Führung, kriege einen Firmenwagen, verantworte Budgets – und dann halte ich an alldem fest. Heute haben wir eine Kultur mit immer mehr Stabsstellen, also mit Spezialisten, die direkt an die Geschäftsführung berichten. Wir haben auch keine Firmenwagen mehr. All das fällt weg. Erfolg ist nicht mehr definiert über Statussymbole, wie eben Budgets, Menschen oder Auto, sondern einfach über das, was ich leiste und was ich für das Unternehmen tue.
MB: Das führt natürlich zu einer Frage, die mir oft begegnet: „Wie messt ihr denn Performance, wenn alles flexibel ist?“ Da prallen zwei Denkschulen aufeinander: Bei den einen arbeiten die Mitarbeitenden von morgens um 9 bis nachmittags um 17 Uhr und es wird kontrolliert, ob sie nicht zu lange Mittagspause machen und welche Ergebnisse ihre Arbeit bringt. Wir machen es anders: Wir haben Ziele formuliert, die jede*r kennt. Und jede*r überlegt sich, wie er oder sie dazu beitragen kann, diese Ziele zu erfüllen. Das hat nichts mehr damit zu tun, wie lange jemand Mittagspause macht – und es erfordert eine ganz andere Führungskultur und Kommunikation im Haus.
HF: Der KPI „Zeit“ ist tot, das ist vorbei, und auch die Kontrolle. Es geht jetzt um Vertrauen, das ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entgegenbringe. Und es geht um Kommunikation und Transparenz.
Bis zu 20 Prozent der Belegschaft verlassen ein Unternehmen, wenn es eine neue Arbeitskultur einführt, sagen Sie. Das ist viel.
HF: Ich male immer ganz gerne das Worst-Case-Szenario an die Wand, damit die Geschäftsführer*innen ein Commitment abgeben und sich des Risikos bewusst sind. Tatsächlich ist die Zahl der Mitarbeitenden, die eine Veränderung nicht mitgehen wollen und eine neue Unternehmenskultur nicht akzeptieren, deutlich geringer. Und das ist dann auch in Ordnung, denn sie finden woanders wieder ein Umfeld, das zu ihnen passt. Unternehmen müssen sich immer mal wieder verändern, auch um Nachwuchstalente und innovative, digitale, spritzige Menschen zu gewinnen. Dabei verliert man vielleicht auch mal ein paar, die gehen.
Wie kriegt man es denn hin, die Leute in Zeiten des Homeoffice ans Unternehmen zu binden?
MB: Das ist eine echte Herausforderung. Wir legen Wert darauf, dass der persönliche Kontakt und die Verbindung zu den Kolleginnen und Kollegen nicht abreißen. Und natürlich spielt die Führungskraft eine große Rolle. Und da kommen wir wieder zurück zum Anfang des Gespräches: Nicht nur junge Leute, sondern jede*r Mitarbeitende möchte gerne, dass die Zeit, die er oder sie investiert, etwas bewegt und bewirkt. Sei es ein Beitrag zum Unternehmensziel, eine Prozessverbesserung und so fort. Und deswegen glaube ich, dass es ein ganz, ganz wesentlicher Faktor für Loyalität ist, wenn Führungskräfte dafür sorgen, dass Mitarbeitende an der richtigen Stelle sind und ihre Möglichkeiten und Potenziale voll entfalten können. Und wenn das Ganze dann auch noch mit Anerkennung einhergeht, dann hat man es richtig gemacht. Das simple Wort dafür wäre vielleicht Spaß.
HF: Unternehmen müssen eine Umgebung herstellen, die die Loyalität durch Leidenschaft bringt. Also genau, was Marianne sagt: dass die Leute sich gesehen fühlen, dass sie einen Beitrag leisten können, dass sie wirklich etwas tun, was sie lieben. Und dann werden sie zweimal überlegen, ob sie gehen.
Sie sagen: Schlecht geht immer schnell. Besser geht langsamer. Die Umsetzung von New Work braucht also Geduld. Haben Sie die?
MB: Geduld zu haben, fällt mir wirklich schwer. Man kann das üben. In der Regel hat man an der Unternehmensspitze unfassbar viele Themen, die alle relativ wichtig sind. Natürlich kann man auch da mal priorisieren, aber man hat immer das Bedürfnis, ein Thema ein für alle Mal zu lösen. Und das Thema der Transformation und auch die Art und Weise, wie wir arbeiten, ist nun mal permanent in Bewegung und wird auch nie zu Ende sein. Fällt mir das leicht? Nein, auf gar keinen Fall. Obwohl ich zu den Menschen gehöre, die Veränderungen lieben. Ich langweile mich, wenn alles immer gleich ist. Aber trotzdem ist es so, dass mir das manchmal in die Quere kommt.
HF: Marianne und ich ticken da nahezu gleich. Insofern, dass wir Veränderung so lieben und in den Entscheidungen unglaublich schnell sind. Das überfordert auch. Man muss sehen, dass Menschen andere Geschwindigkeiten haben. Eine Finanzbuchhaltung tickt nun mal vom Wesen her anders als die Leute im New Business. Und da muss man immer gucken: Mit wem interagiere ich gerade und wie viel Geschwindigkeit bei der Veränderung kann ich erwarten? Da müssen wir auch aufpassen.
MB: Was ich in einem Coaching gelernt habe und immer zu beherzigen versuche: Gerade wenn es um größere Veränderungen geht, ist es wichtig, erst mal zu sagen, was denn eigentlich bleibt, damit die Menschen sich entspannen können. Man muss sie auf eine Art und Weise vermitteln, die es den Menschen ermöglicht, die Veränderungen anzunehmen und zumindest mal einen ersten Schritt zu machen.
Sind Unternehmen, die nach New-Work-Konzepten arbeiten, wirtschaftlich erfolgreicher?
HF: Mir ist keine Studie bekannt, die das als Thema beleuchtet. Was ganz klar ist: Je mehr unternehmerische Verantwortung Mitarbeitende haben, desto besser wird es meinem Unternehmen gehen. Denn wenn alle am Unternehmenserfolg arbeiten und es als „mein Unternehmen“ verstehen, dann kommen bessere Zahlen heraus. Knallharte Zahlen, die zeigen, „wenn du heute New Work einführst, dann hast du in 1,5 Jahren 18 Prozent mehr Umsatz“, gibt es nicht.
MB: Ich will gar nicht sagen, dass Unternehmen, die nicht danach arbeiten, nicht erfolgreich sein können. Ich würde aber die These wagen, dass sie noch erfolgreicher sein könnten, wenn sie anfangen würden, Arbeit und Verantwortung anders zu organisieren.