Berlin im Winter kann gnadenlos sein. An diesem Donnerstagmorgen Mitte Februar aber zeigt sich die Hauptstadt von ihrer besten Seite: Die Sonne scheint, es ist nahezu windstill. Wir sind nicht das einzige Medium in der Abguss-Sammlung Antiker Plastik in Berlin-Charlottenburg; auch ein Kollege des „Tagesspiegel“ ist für ein Interview gekommen. Es ist viel los zwischen den rund 2000 Gipsabgüssen griechischer und römischer Skulpturen.
Katrin Kolossa, Geschäftsführerin Sapera Studios, und Carsten Dorn, Geschäftsführer der Score Media Group, nutzen die Zeit vor unserem Termin, um sich im Museumscafé warmzulaufen. Auch schon dieses Gespräch ist geprägt von einer lebhaften und offenen Diskussion. Man merkt: Hier treffen zwei meinungsstarke Persönlichkeiten aufeinander.
Im Doppelinterview sprechen die beiden über Flexibilität und Führung, und aus gegebenem Anlass – Kolossa erwartet ihr erstes Kind – auch über das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Frau Kolossa, Herr Dorn, es heißt immer so schön, Werbung muss gut gemacht und relevant für die Leser*innen sein. Was bedeutet das für Sie?
Carsten Dorn: Wir machen bei Score Media sehr viel Marktforschung zu dem Thema. Was wir feststellen: Es ist gelernt, dass in gedruckten Medien Werbung vorkommt. Und diese wird auch selten als penetrant empfunden. In unserem Kernmedium, der regionalen Tageszeitung, stellt Werbung für die Leser*innen tatsächlich einen Mehrwert dar.
Und was verstehen Sie ganz persönlich unter guter Werbung?
CD: Wenn die Menschen mit der Werbung etwas anfangen können und sie einen Mehrwert liefert, dann ist sie per se erst mal gut. Ich persönlich mag ästhetische Werbung.
Katrin Kolossa: Für mich kann Werbung durchaus mehr als Verkaufsförderung sein. Ich habe so viele verschiedene Arten von Werbung kennengelernt: von PR bis Influencer-Marketing, von klassischer bis digitaler Werbung. Bei Sapera Studios habe ich für mich eine Art von Werbung, oder besser gesagt Kommunikation, gefunden, die ich für gut halte: informativ, unterhaltsam und ansprechend – auch auf einer intellektuellen Ebene.
Warum ist Ihnen das so wichtig?
KK: Es entspricht meiner Persönlichkeit. Ich habe in jedem Job versucht, den intellektuellen Teil zu finden. Sogar beim Influencer-Marketing, was ehrlich gesagt ein bisschen stumpf ist, haben wir die Intellektualisierung des Influencer-Marketings untersucht.
CD: Ich finde es vor allem wichtig, dass Werbung als solche erkennbar ist. Inzwischen gibt es diverse Formen, bei denen man auf den ersten Blick gar nicht weiß, ob es sich um Werbung handelt. Da wird es meiner Meinung nach schwierig.
Als Geschäftsführer der Score Media Group verantwortet Carsten Dorn seit August 2018 die nationale Vermarktung von mehr als 420 regionalen Tageszeitungen, den dazugehörigen digitalen Portalen und E-Paper-Angeboten sowie Anzeigenblättern. Täglich werden mit dem Angebot mehr als 32 Millionen Menschen erreicht.
Katrin Kolossa hat im April 2022 ihre erste eigene Firma gegründet. Mit der Beratung Sapera Studios will sie faktenbasierte, analytische und kreative Kompetenz in den Bereichen Klimaschutz, Wissenschaft, Bildung und Politik zusammenbringen. Ein weiteres erklärtes Ziel: die Förderung von Gleichberechtigung und Inklusion – besonders für Barrierefreiheit in Marketing und Kommunikation.
KK: Wenn Werbung suggeriert, man könnte durch den Kauf eines Produkts ein besseres Leben führen, finde ich das ehrlich gesagt falsch und nicht inklusiv. Das sieht man sehr schön am Beispiel der Modemarke Abercrombie & Fitch, die mit dem Image einer weißen, jungen, sexy Elite punkten wollte.
CD: Ich will es nicht gutheißen, aber unter reinen Absatz-Gesichtspunkten hat es gut funktioniert.
KK: Nur eine Zeit lang! Und dann gab es einen riesigen Wandel. Worauf ich hinauswill: Der Zeitgeist hat sich dahingehend verändert, dass die Werbung eben nicht mehr suggerieren kann, mit diesem oder jenem Produkt würde man besser werden.
Heute geht es darum, ein realistisches Abbild der Gesellschaft zu zeigen, die ohnehin divers ist – und eben nicht immer schön und klug und reich und erfolgreich.
Katrin Kolossa Geschäftsführerin Sapera Studios
Worum geht es Ihrer Meinung nach dann: bewussten Konsum, Nachhaltigkeit, Diversity?
KK: Heute geht es darum, nicht mehr nur eine Gruppe von Menschen zu zeigen, sondern ein realistisches Abbild der Gesellschaft, die ohnehin divers ist – und eben nicht immer schön und klug und reich und erfolgreich. Da geht noch mehr, etwa bei der Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung. Ich fände, wir täten mal richtig gut daran, wenn beispielsweise Zott Sahne Joghurt ganz selbstverständlich von Menschen im Rollstuhl beworben würde. Ohne dass man es erklärt, einfach mal ein TV-Spot mit einem Menschen im Rollstuhl, der Joghurt isst – und Spaß hat. Das wäre doch mal was.
Erstmals begegnet sind sich die beiden vor rund 13 Jahren, erzählt Kolossa. Damals ist sie Junior Managerin im Marketing bei Axel Springer Media Impact, kurz: ASMI, und soll zunächst ein YouTube-Format aufbauen. Als dieses eingestellt wird, übernimmt sie Verantwortung für ein anderes Projekt – und lernt so den Vorstand kennen. Ihr unkonventionelles Verhalten fällt auf. Doch bald fängt Kolossa an, sich zu langweilen.
Dorn, der zu dieser Zeit Chief Operating Officer und Chief Financial Officer der ASMI und Chef von rund 600 Mitarbeiter*innen ist, bekommt mit, dass sie wechselwillig ist. Er bittet Kolossa um ein Treffen und engagiert sie kurzerhand für das Projekt, einen gemeinsamen Vermarkter für Funke und Springer zu entwickeln. „Es brauchte jemanden, der Power hat und sich nicht von Hierarchien abschrecken lässt“, sagt er. Kolossa schlägt ein. Dorn wird ihr erster und bis heute einziger Mentor. Was folgt, sind Monate des Number-Crunchings.
Wie lange haben Sie beide zusammengearbeitet?
CD: Als Katrin etwa ein Drittel des Projektes geschafft hatte, saß sie bei mir und fragte: Was machen wir als Nächstes? Sie wollte die Aussicht auf eine neue spannende Aufgabe.
KK: Ich hatte ein konkretes Angebot für die Leitung der Marketingabteilung, in der ich als Juniorin angefangen hatte, wollte aber nicht dorthin zurück. Ich war damals 25 und hatte Angst, wenn ich so eine Führungsposition annehme, würde ich mein ganzes Leben in einem einzigen Konzern verbringen. Ich fand diese Vorstellung unfassbar langweilig und bin dann lieber in ein Start-up gegangen.
Wie hat sich die Beziehung nach dem Jobwechsel von Katrin Kolossa entwickelt?
CD: Zunächst hatten wir keinen Kontakt, erst nach einem weiteren Jobwechsel wieder. Irgendwann hatte auch ich ganz viele Themen, bei denen es mir um eine Meinung ging und Katrin mir Ratschläge gegeben hat. In meiner Wahrnehmung hatte unsere Beziehung dann eine andere Qualität.
KK: In meiner Wahrnehmung waren wir immer auf Augenhöhe (lacht). Du hast gemerkt, dass ich am besten funktioniere, wenn du mich machen lässt. Und wenn ich Rat brauchte, konnte ich immer mit dir sprechen. Du hast mir vertraut. Das hat dazu geführt, dass ich dich als Mentor gesehen habe.
Und wie war es, als Carsten Dorn Springer verließ?
KK: Er war wie ausgewechselt, als wir uns wiedergesehen haben. Er wirkte so leicht, positiv und offen. Diese ganze Schwere, die auch ich noch aus den Konzern-Konstrukten kenne, war abgefallen. Das war ein toller Wechsel und eine tolle Veränderung für dich.
CD: Ex-post betrachtet sehe ich das genauso. Der Wechsel war gut und wahrscheinlich auch überfällig. Nur: Ich hätte das vermutlich nicht selbst eingeleitet.
Was ist Ihnen in der Führung wichtig?
CD: Transparenz und Vertrauen. Dazu gehört auch, Kennziffern, Informationen über Projekte, aktuelle Entwicklungen und auch Wissen zu teilen und zur Verfügung zu stellen. Bei Score Media weiß das gesamte Team unglaublich viel über unser Unternehmen. Ich bin davon überzeugt, dass jeder und jede für sich so die richtigen Entscheidungen treffen kann. Auf der anderen Seite hat man in einem kleinen Unternehmen auch riesige Herausforderungen.
Haben Sie ein Beispiel?
CD: In großen Unternehmen kann man auf ein enormes Schulungswesen zurückgreifen, man hat einen großen Katalog an Fortbildungsmöglichkeiten, möglicherweise sogar Mitarbeiter*innen, die sich darum kümmern. In einem kleinen Unternehmen kann man das so nicht abbilden. Jede und jeder muss so ein bisschen alles übernehmen. Aber das macht es eben auch so spannend.
Ich finde es wichtig, dass Werbung als solche erkennbar ist. Inzwischen gibt es diverse Formen, bei denen man auf den ersten Blick gar nicht weiß, ob es sich um Werbung handelt. Da wird es meiner Meinung nach schwierig.
Carsten Dorn, Geschäftsführer Score Media Group
Frau Kolossa, Sie haben über einige Jahre bewusst Interimsführungsrollen angenommen. War das ein Zufall oder geplant?
KK: Ich wollte schon immer meine eigene Firma haben und flexibel leben können. Die Überlegung war schon: Je mehr ich weiß, je mehr Erfahrung ich sammele und je mehr Aspekte ich in meine Vita einbringe, umso klüger und besser werde ich.
CD: Immer wenn wir gesprochen haben, hatte Katrin spannende Angebote. Als du dann überlegt hast, dich selbstständig zu machen, war mir sofort klar: Das ist genau das Richtige, mach das!
KK: Du warst auch einer der Ersten, die ich angerufen habe. Aber ich erinnere mich auch, dass du beeindruckt warst.
CD: Ich bin auch beeindruckt. Ein Stück weit beneide oder bewundere ich auch alle, die den Schritt in die Selbstständigkeit machen und bereit sind, dieses Risiko einzugehen. Und ich freue mich für jeden, der da auch erfolgreich ist. Ich bin nur leider selbst nicht der Typ dafür.
KK: Eine eigene Firma zu haben ist erfüllender als jeder andere Job, den ich gemacht habe. Wir treffen Entscheidungen gemeinschaftlich. Ich kann ganz anders führen. Außerdem verändert sich mein Leben. Ich bekomme jetzt ein Kind. Es ist schön, etwas zu haben, was ich mitgestalten und aufbauen kann und auch, nicht mehr über 25 Optionen nachdenken zu müssen.
CD: Im Moment (lacht).
Wie wollen Sie Ihre Führungsrolle mit der Mutterrolle zusammenbringen?
KK: Eine Sache macht mich sauer. Als Geschäftsführerin einer GmbH habe ich keinen Anspruch auf Mutterschutz. Das finde ich ungerecht, auch wenn es mich persönlich nicht so sehr betrifft. Ich kann von zu Hause und flexibel am Rechner arbeiten. Wäre ich aber zum Beispiel Tischlerin, hätte ich ein großes Problem. Das finde ich echt scheiße.
Warum betrifft es Sie nicht so sehr?
KK: Das Set-up ist nun so gut – ich habe drei Leute, die mich in der Beratung unterstützen –, trotzdem will ich eigentlich nicht weniger arbeiten, sondern anders. Nach der Geburt nimmt mein Partner zwei Monate Elternzeit und geht danach für ein halbes Jahr in Teilzeit. Ich werde zwei Wochen pausieren, dann so um die zehn Stunden arbeiten und dann flexibel aufstocken. Ich habe die Firma erst letzten April gegründet, es ist einfach zu früh, um sich ein halbes Jahr komplett rauszuziehen. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, sechs Monate nichts von meinem Team zu hören. Ich liebe diese Firma, ich liebe meine Mitarbeiter*innen und ich würde eher leiden als mich entspannen, wenn ich ein halbes Jahr untertauchen würde.
Sie haben selbst drei Kinder. Haben Sie sich, als Sie Vater wurden, viele Gedanken um die Vereinbarkeit gemacht?
CD: Ehrlicherweise nicht. Eigentlich ist das auch sehr schade, in Teilen bereue ich das auch. Nur als mein erster Sohn vor 23 Jahren geboren wurde, hat keine männliche Führungskraft Elternzeit genommen. Das war kein Thema. Heute ist es so, wenn du eine gute Führungskraft sein willst, musst du Elternzeit nehmen. Wenn du, warum auch immer, sagst, du möchtest keine Elternzeit nehmen, wirst du auch schon wieder komisch angeschaut. Da hat ein krasser Wandel stattgefunden. Was damals nicht denkbar war, kann man heute fast nicht verneinen.
Was haben Sie sich für 2023 vorgenommen?
KK: Ich hatte früher von mir diese Vision, dass ich irgendwann einmal so leben möchte: eine Familie, eine eigene Firma, tatsächlich ein Umfeld, in dem ich mich frei bewegen kann und nicht so starr eine Rolle erfüllen muss, sondern Vereinbarkeit flexibel leben kann. Und das ist mein Ziel für dieses Jahr. Mal sehen, wie es dann in Realität ist.
CD: 2023 wird bei uns in der Vermarktung ein anstrengendes Jahr, uns werden keine Umsätze geschenkt. Es ist herausfordernd, auch im positiven Sinne. Man muss viel Klarheit haben und sich fokussieren können. Gerade die Corona-Zeit war eine Zeit, wo ich mich sehr viel mit dem Thema Selbstreflexion beschäftigt habe. Neue Begebenheiten, neue Arbeitssituationen. Da sind bei mir noch so einige Themen offen, die ich mir für 2023 vorgenommen habe. Themen, für die ich nach Klarheit suche. Unterschiedliche private und berufliche Themen.