100 Millionen Euro. Die Dimension, in der die Familie Ruhland denkt, spiegelt ihre Ambitionen wider. Ob die Myposter-Gruppe, zu der neben Myposter auch die Marken Juniqe und Kartenliebe gehören, diese magische Marke 2022 wird knacken können, hängt auch von der weiteren Entwicklung der Weltwirtschaft ab. Dass es eines Tages so weit kommt, davon ist René Ruhland felsenfest überzeugt.
Der Co-Gründer von Myposter und seine Frau, Mit-Geschäftsführerin Anna Ruhland, sitzen an diesem schwülen Vormittag in einem halb verwaisten Büro. Am Vorabend wurden die Kolleg*innen von Kartenliebe im Hauptsitz an der Nymphenburger Straße willkommen geheißen.
Es ist Freitag, der 13., und in München regnet es während des Interviews so dramatisch, wie es das nur in der Nähe der Berge kann. Die beiden lassen sich vom Prasseln und Donnern nicht aus dem Konzept bringen. Überraschend offen führen sie einen Schlagabtausch über das Leben, die Arbeit und die Grenze dazwischen, die manchmal verschwimmt wie die Tropfen auf der Fensterscheibe.
Herr Ruhland, in einem Podcast haben Sie kürzlich gesagt, dass Sie versuchen, nicht allzu viele gemeinsame Meetings zu haben. Dieses Interview ist nun also eins. Worauf muss ich mich einstellen?
RR: Es ist schon mal gut, dass wir hier zu dritt sitzen.
AR: Wenn man mit Familie arbeitet, fällt eine gewisse professionelle Distanz weg, die man normalerweise im Berufsumfeld pflegt, und es kann sehr schnell emotional werden.
Sind Emotionen unter Umständen nicht sogar gut?
AR: Es ist wichtig, in einem Meeting auch mal auf die emotionale Ebene zu gehen. Aber wir versuchen, faktenbasiert zu entscheiden und uns nicht allzu sehr von Gefühlen leiten zu lassen. Deswegen haben wir die Verantwortlichkeiten klar verteilt und versuchen, uns nicht in die Bereiche des anderen einzumischen. Heute haben wir nur noch eine gemeinsame Sitzung die Woche.
In der Zusammenarbeit ist es von Vorteil, verschiedene Stärken ins Team zu bringen. Welche Eigenschaft schätzen Sie aneinander am meisten?
RR: Wir sind grundverschieden, deswegen funktioniert die Zusammenarbeit auch so gut. Anna ist fleißig, konsequent, diszipliniert und gewissenhaft. Dass sie so strukturiert ist, hat uns dahin gebracht, wo wir heute stehen.
AR: Wir sind komplementär, weswegen ich überhaupt erst dazugekommen bin. René hat die Vision, ist kreativ und entwickelt immer neue Geschäftsmodelle. Und er kann andere selbst für die wildesten Ideen begeistern – auch wenn jemand konservativ oder wenig risikoaffin ist. Das schätze ich total, weil es uns immer weiter nach vorne bringt.
2006 beginnen die Brüder René und Marc Ruhland mit dem Import chinesischer Ölgemälde und verkaufen diese zunächst aus dem elterlichen Keller an Möbelhäuser und Baumärkte. 2011 gründen sie Myposter und steigen in den Markt für Premium-Digitaldruck ein. 2013, in einer schwierigen Phase des Unternehmens, entschließt sich Anna Ruhland einzusteigen.
Von damals rund 20 Beschäftigten wächst das Unternehmen auf heute 350 Mitarbeiter*innen, die aus 28 Nationen kommen. Für neun Märkte und an zwei eigenen Produktionsstandorten in Deutschland werden bis zu 20.000 Produkte pro Tag bearbeitet.
Frau Ruhland, haben Sie jemals gezögert, in das Unternehmen einzusteigen?
AR: Wir haben viel darüber gesprochen. Sollten wir jemals das Gefühl haben, unsere Ehe würde leiden, würde einer von uns beiden aussteigen. Das haben wir vorher so festgelegt.
Ich formuliere es mal salopp: Diese Schwierigkeit könnte man sich auch ersparen.
AR: Schwierigkeiten gibt es in jeder Beziehung. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob man es leichter hat, wenn man nicht zusammenarbeitet. Wenn René mir von seinem Tag erzählt, weiß ich genau, wovon er redet, und wir können ganz anders aufeinander eingehen – das bringt einen dann auch näher.
RR: Die Gefahr ist, dass man nur noch über ein Thema spricht. Aber wir haben ja auch noch vier Kinder. Es ist nicht so, dass die Firma unser Leben wäre.
Sind Sie Workaholics?
AR: Wir sind sehr ehrgeizig und arbeiten sehr viel. Workaholic klingt so negativ. Mir macht Arbeiten Spaß. Ich liebe Arbeiten.
RR: In Stunden arbeitest du mehr als ich.
AR: Im Kopf arbeitet er viel mehr als ich: nachts, im Urlaub, beim Sport, unter der Dusche. Das empfinde ich als viel anstrengender. Ich klappe abends um elf, halb zwölf den Laptop zu und auf dem Weg ins Schlafzimmer habe ich schon wieder vergessen, was ich eben gemacht habe.
Sie sitzen beide in der Geschäftsführung des Unternehmens – und haben eine Familie. Herr Ruhland, wie bekommen Sie Kinder und Karriere unter einen Hut?
RR: Ich habe eine ganz tolle Frau (lacht). Sie hat durch ihren Organisationswahn extrem gut im Griff, wann wer wo sein muss. Und man darf nicht vergessen, dass wir ein Kindermädchen haben.
AR: Wir haben uns das 50:50 aufgeteilt. Donnerstags arbeite ich nicht, da bin ich komplett bei den Kindern. Das ist mir heilig. Drei Tage bin ich für die Kinder da und an zwei weiteren Abenden sehe ich sie.
RR: Jeden Abend ist einer von uns beiden um 18.30 Uhr zu Hause und isst mit den Kindern. Früher haben wir am Wochenende viel gearbeitet, jetzt machen wir mal was, wenn sie im Bett sind. Karriere und Kinder schließen sich nicht aus. Es ist am Ende nur eine Prioritäten- und Effizienzsache.
AR: Ohne Unterstützung würde es auf keinen Fall gehen. Und ich bin anderer Meinung: Ich glaube, dass beides für Unternehmer, Selbstständige oder sagen wir Freiberufliche sehr gut vereinbar ist. Wenn man aber irgendwo angestellt ist, Kinder hat und Karriere machen will, ist es unfassbar anstrengend und immer noch sehr schwierig, gerade als Frau. Ich würde das eher sequenziell machen als parallel, wenn ich jemandem einen Rat geben würde.
Anna Ruhland, die ihr Abitur an einer internationalen Schule in Singapur gemacht hat, zieht nach der Schule nach München, um dort zu studieren. In dieser Zeit lernt sie ihren Mann kennen. Der muss wegen schwieriger Phasen in seiner Familie bereits in sehr jungen Jahren Verantwortung übernehmen. Kurze Zeit später werden sie ein Paar. Heute haben sie gemeinsam vier Kinder im Alter von 4 bis 21 Jahren.
Die Übernahme von Juniqe Anfang des Jahres hat Ihre Marktposition noch mal gestärkt. Inzwischen beschäftigen Sie 350 Mitarbeiter*innen. Alle Unternehmensbereiche zusammengenommen, kratzen Sie dieses Jahr an den 100 Millionen Euro Umsatz.
RR: Wir challengen den Status quo jeden Tag, jede Minute. Das ist Teil unserer DNS. Wir wollen in allen Bereichen besser werden und wachsen.
AR: Wir kommen aus Unternehmerfamilien, wir sind so aufgewachsen. Ich möchte jeden Cent, den wir einnehmen, am liebsten direkt wieder reinvestieren. Das kann man als naiv empfinden. Aber ich liebe es, Risiken einzugehen und Vollgas zu geben. Wenn es schiefgeht, dann macht man halt was Neues oder fängt noch mal an oder was auch immer.
Herr Ruhland, haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet, als es 2006 losging?
RR: Ja. Man weiß ja, was machbar ist und wohin man will. Das erste Ziel war die Million, das nächste 10 Millionen und irgendwann geht man halt auf die 100 Millionen. Man hat automatisch die nächste Zahl im Kopf. Als Unternehmer mal 100 Millionen zu machen, ist schon cool, wenn man selbst gegründet hat.
Und wie fanden Sie die Idee am Anfang?
AR: Ich weiß es nicht mehr so genau. Ich habe ein sehr schlechtes Gedächtnis, leider. Beziehungsweise es hilft mir beim Abschalten. Aber ich kann mich erinnern, dass ich mir gedacht habe: Er macht sein Ding und ich mach mein Ding. Inhaltlich habe ich das nie hinterfragt.
RR: Du hast es auch nie bewertet. Für mich war immer klar, dass ich nicht mein Leben lang Ölbilder importiere oder Poster verkaufe. Es ist Teil meiner Journey und irgendwo musste ich ja anfangen.
AR: Ich habe mir nur manchmal Sorgen gemacht, wenn es ihn psychisch zu sehr mitgenommen hat. Das ist bis heute so.
Im Unternehmen lief nicht immer alles super. Wie sind Sie in diesen Phasen motiviert und fokussiert geblieben?
RR: Ich bin intrinsisch motiviert. Ich wache auf und bin motiviert. Man muss mich schon ziemlich kaputtmachen am Tag davor, aber selbst wenn ich mal müde bin und nicht den höchsten Akkustand habe, motiviert bin ich zu 100 Prozent. Ich habe meine Ziele immer vor Augen. Ich weiß, wo ich hinwill. Ich weiß, wenn ich dranbleibe, dass ich sie auch erreichen werde. Daran zweifle ich nicht.
AR: Das geht mir ähnlich. Wenn es schwierig wird, werde ich so richtig wach. Vielleicht ist es auch eine Schwäche, dass ich mich nicht frage, warum etwas passiert ist. Das sollte man vielleicht an der ein oder anderen Stelle tun, um etwas daraus zu lernen. Aber so hat es eben den Vorteil, dass ich nach vorne gewandt agiere und sehr lösungsorientiert handele.
RR: Es gibt äußere Faktoren, klar. Manchmal geht es nicht so schnell, du musst vielleicht sogar mal dein Geschäftsmodell adaptieren. Aber am Ende ist alles nur eine Frage der Priorität, der Fokussierung: Willst du es oder nicht?
AR: Ich bin total bei dir. Aber wir hatten auch schon finanzielle Situationen, wo uns jemand unterstützt hat. Sonst wäre es an der ein oder anderen Stelle eng geworden.
RR: Natürlich gehört auch Glück dazu. Aber Glück kommt gefühlt mit Fleiß. Und wir haben einfach unfassbar gute Mitarbeiter. Ohne die hätten wir keine Chance, es wäre unmöglich.
AR: Wir sind sehr wählerisch. Wenn jemand arrogant ist oder zu sehr an sich selbst denkt, sind wir radikal – egal, wie gut jemand fachlich ist, die Person wird nicht eingestellt. Wir wollen, dass man hier reinkommt und Spaß hat. Diese positive Atmosphäre macht mich glücklich und motiviert mich auch in schlechten Zeiten.
Arbeiten Sie gerne im Homeoffice oder sind Sie lieber hier vor Ort?
RR: Wir sind beide lieber im Büro – hier oder an unseren anderen Standorten.
AR: Natürlich wird auch manchmal das Kindermädchen krank und fällt aus. Am liebsten bin ich aber entweder bei den Kindern oder bei der Arbeit. Die Kombination stresst mich.
RR: Ich komme einfach gerne ins Büro. Für mich ist dieser klischeemäßige Tapetenwechsel total wichtig und der Austausch mit unseren Kollegen und Mitarbeitern ist mir wahnsinnig viel wert. Ich bin nicht der Typ, der acht oder zehn Stunden in den Monitor glotzt. Da fehlt mir jegliche emotionale Nähe.
AR: Wir sitzen qua Position den ganzen Tag in Terminen und da ist es natürlich schöner, man hat diese in Person. Wenn ich mal ruhig arbeiten will, dann kann ich das auch hier.
Die Null-Covid-Politik der Chinesen, steigende Papierpreise, Inflation. Es sind schon besondere Zeiten für Unternehmer*innen. Es steht in keinem Lehrbuch, was man in einer Pandemie tun soll.
RR: Wieder eine neue Challenge.
AR: Wenn der Auftragseingang explodiert, ist das schöner, als wenn er einbricht. Aber: Wenn es hart wird, dann kribbelt es mir in den Fingern.
RR: In der Coronazeit ist der Umsatz explodiert. Jetzt geht die Konsumlaune durch Krieg und Inflation runter und gleichzeitig steigen die Materialpreise.
AR: Wir rechnen verschiedene Szenarien durch und entwickeln einen Stufenplan, was in welchem Fall zu tun ist. Im Moment ist es eher ungemütlich.
RR: So wie draußen halt (lacht).
AR: Wir sitzen hier ganz entspannt, aber eigentlich sind wir im Krisenmodus. Wir liegen deutlich unter unseren Erwartungen und unter Plan. Die Preise steigen, es gehen immer wieder Materialien aus. Wir machen gerade die Weihnachtsplanung. Q4 ist für uns mit Abstand das stärkste Quartal und muss laufen. Das ist unser Gewinn fürs Folgejahr.
Herr Ruhland, in Ihrem Leben gab es verschiedene Schicksalsschläge, sodass Sie früh Verantwortung in der Familie übernehmen mussten. Ist Ihnen die Rolle zugeflogen oder mussten Sie sie sich hart erarbeiten?
RR: Ich übernehme gerne Verantwortung, wenn ich damit helfen kann oder uns das weiterbringt. So war das damals auch. Zum Glück war ich privilegiert genug, das zu leisten.
AR: Wenn ich so drüber nachdenke, ist das kein Gegensatz. Es kann schon sein, dass es einem zufliegt und dass man sich dafür prädestiniert fühlt, Verantwortung zu übernehmen. Ich habe solche Situationen auch häufig. Trotzdem ist es sehr kräftezehrend.
RR: Man reflektiert ja immer erst im Nachhinein. Dieser Ehrgeiz, diese intrinsische Motivation, dass ich Menschen liebe und dass ich gerne Unternehmer bin, das ist alles damals entstanden. Diese Zeit hat mich geprägt. Heute habe ich eine tolle Frau mit vier gesunden Kindern und eine ganz okay laufende Firma. Irgendwas hat es mit mir gemacht und sicher auch dazu beigetragen, wo ich heute stehe. So hake ich das für mich ab.
In Ihren Rollen verantworten Sie sehr unterschiedliche Bereiche. Anna, Sie kümmern sich um die Finanzen, Personal und Produktion, René, Sie sind in der Entwicklung tätig. Marc kümmert sich um IT und Einkauf. Wann bitten Sie die anderen beiden Geschäftsführer*innen um Rat? Und folgen Sie diesem dann auch?
AR: Größere strategische Fragestellungen klären wir gemeinsam. Es passiert selten, dass mal einer eine Entscheidung trifft und die anderen sagen, es wäre nett gewesen, wir hätten es auch gewusst. Gerade Marc, der Dritte im Bunde, ist Weltmeister im Outside-the-box-Denken. Er ist wie ein wandelndes Lexikon und weiß einfach alles. Der Austausch ist immer bereichernd.
RR: Ich bin ja schon sehr risikoaffin, aber manchmal merkt man, dass man eine zweite Meinung oder Hilfe braucht. Und dann schnappe ich Anna, Marc oder beide.
AR: Natürlich könnte ich es auch allein entscheiden, wenn ich es müsste. Aber die Tatsache, dass man die anderen fragen kann, ist ein Riesen-Asset.
RR: Wir haben unfassbares Vertrauen ineinander. Das Wissen, dass die anderen stets im Sinne des Unternehmens entscheiden, lässt dich in Ruhe in deinem Bereich nach vorne laufen.
Kompromisse gehören zum Leben dazu, aber zu viele führen zu mittelmäßigen Ergebnissen. An welchen Stellen sind Sie kompromisslos?
RR: Meine Frau macht keine Kompromisse (lacht). Wenn unser Wertekonstrukt verletzt wird, dann sind wir knallhart. Sind wir gegenüber Meinungen kompromisslos? Nein, nie. Das kannst du als Geschäftsführer nicht sein.
AR: Wir setzen uns oft durch, aber wir drücken eine inhaltliche Meinung nicht durch, weil wir es können. In solch einem Unternehmen würde ich nicht arbeiten wollen. Wir würden uns immer von guten Argumenten überzeugen lassen.
RR: Wir sind sehr berechenbar. Die Leute wissen, wie ambitioniert wir sind, wohin die Reise geht und dass wir noch lange nicht am Ende sind.