Markenverantwortliche wissen oder ahnen schon lange, dass nur solche Marken Erfolg haben, die Emotionen auslösen und die wahren Motive des Konsumenten genau treffen. Die Frage allerdings, welche Motive eine Zielgruppe im Besonderen und der Konsument im Allgemeinen hat, wird von der Marktforschung eher unbefriedigend beantwortet. Über 1000 Motive und Bedürfnisse geistern durch die Fachwelt und sorgen so für mehr Verwirrung als Klarheit. Hilfe kommt jetzt von der Gehirnforschung: Durch bildgebende Verfahren, die es erlauben, dem Menschen beim Denken und Entscheiden in den Kopf zu schauen, durch Reizung und Messung einzelner Gehirnkerne ist es in den letzten Jahren gelungen, den wahren Motiven und den damit verbundenen Emotionen des Menschen auf die Spur zu kommen.
Die Gehirnforschung zeigt, dass das gesamte menschliche Verhalten neben den Vitalbedürfnissen Nahrung und Sexualität von drei großen Motiv- und Emotions-systemen gesteuert wird: „Dominanz“ (Macht, Durchsetzung, Wut), „Stimulanz“ (Exploration, Neugier) und „Balance“ (Sicherheit, Stabilität, Angst) (= „Big 3“) . Sie sind die Hauptmotive des Menschen, sie bilden aber auch das Fundament der menschlichen Persönlichkeit. Neben den Big 3 gibt es noch kleinere Submotive, die sich im Gehirn nachweisen lassen, wie z.B. „Bindung (Bonding)“, „Fürsorge (Nurturance)“, „Spiel (Play)“. Analysiert man aber diese Submotive hinsichtlich der Gehirnbereiche und den neurochemischen Prozessen, die mit ihrer Verarbeitung verbunden sind, erkennt man, das sie sehr eng an die Big 3 gekoppelt sind. Abb.1 und 2 zeigen, wie sich der Motivraum des Konsumenten aus Sicht der Gehirnforschung darstellt.
Alle Kaufentscheidungen und Markenpräferenzen gehen letztlich auf diese drei neurobiologischen Motivsysteme zurück. Damit verbunden sind neue Erkenntnisse, wo und wie unsere Motivation im Kopf abläuft und wie Entscheidungen wirklich getroffen werden. Die gesamte Steuerung des Menschen erfolgt für ihn weitgehend unbewusst durch das sogenannte limbische System. Auch das scheinbar „vernünftige“ Großhirn des Menschen, der Neokortex, wird von hier beherrscht.
Wie funktioniert nun die Steuerung? Alle von außen kommenden Reize und Signale, aber auch die vom Großhirn abgerufenen Erfahrungen werden vom limbischen System unbewusst bewertet und zensiert. Die Bewertungskategorien sind: Balance, Dominanz- und Stimulanz. Diese Bewertung erscheint im Bewusstsein in Form von Gefühlen. Es sind lustvolle Gefühle, wenn die Big 3 erfüllt werden: Geborgenheit (Balance), Prickeln (Stimulanz) oder Siegesgefühle (Dominanz). Unlustvolle Gefühle dagegen zeigen sich, wenn die Big 3 negativ aktiviert werden in Form von Angst, Langeweile oder Wut. Die Gefühle und die ihnen zugrunde liegenden Kräfte bestimmen weitgehend unbewusst unser Verhalten. Diese ungeheure Macht des limbischen Systems wird auch von einem der führenden deutschen Gehirnforscher, Prof. Gerhard Roth bestätigt. „Das Gefühl, etwas zu wollen, kommt erst, nachdem das limbische System schon längst entschieden hat, was getan werden soll. Die Quintessenz ist, dass dieses System die letzte Entscheidung darüber hat, ob wir etwas tun oder nicht“.
Limbic Map: Der Spielraum in dem sich Konsumenten-Entscheidungen abspielen.
Mit den drei Kräften ist das Fundament gelegt – tatsächlich ist das menschliche Verhalten komplexer, wie ein Blick in die Konsumwelt zeigt. Diese Komplexität löst sich aber auf, wenn man beachtet, dass diese Kräfte selten alleine vorkommen, sondern sich meist in Mischformen zeigen. Durch Beachtung dieser Mischungen entsteht der Motiv- und Emotionsraum, in dem sich letztlich alle Konsumentscheidungen abspielen. Die Hauptachsen werden von den Big 3 gebildet. Zwischen diesen Hauptachsen liegen die Mischmotive. „Abenteuer / Thrill“ ist die Mischung aus Dominanz ( „Ich will mich durchsetzen“) und „Stimulanz („Ich will etwas Neues erleben“). Offenheit / Sanfter Genuss ist die Mischung Balance ( „Ich suche Ruhe“) und Stimulanz. „Disziplin / Kontrolle“ setzt sich aus Balance („Ich will Stabilität“) und Dominanz ( „Ich will Macht über meine Umwelt haben“). Nun noch zum letzten Schritt: Den menschlichen Werten und Lebensformen. Unterwirft man diese einer semantischen und empirischen Analyse, ergibt sich ein klar strukturierter Werteraum. Motive und Werte stehen nämlich in einem kausalen Zusammenhang.
Erfolgreiche Marken haben eine klare Positionierung
Die so gewonnene „Limbic Map“ bildet das Fundament jeder Markenpositionierung.
Erfolgreiche Marken unterscheiden sich von weniger erfolgreichen dadurch, dass sie einen festen Platz in diesem menschlichen Motiv- und Werteraum einnehmen, also ganz bestimmte Motive und Werte ansprechen und diesen daraus entstehenden Logenplatz im Kopf des Konsumenten hegen und pflegen. Wie das funktioniert, zeigt ein Blick auf drei bekannte Zigaretten-Marken: Marlboro, West und Camel. In Abbildung 3 sind die Positionen der Marken auf der Limbic Map und jeweils ein typisches Kampagnen-Motiv dargestellt.
Der Markenkern von Marlboro liegt auf der Limbic Map eindeutig in der Position „Abenteuer“. Verbundene Kern-Werte sind Kampf, Freiheit, Männlichkeit oder Entdeckung.
Der Markenkern von West („Test it“ = Stimulanz /Entdecken) dagegen spricht stark die Stimulanz-Instruktion an. Genauer, soziale Entdeckung mit einem Schuss Abenteuer. Die Hauptmotive zeigen meist extrem ausgefallene, soziale Situationen und Begegnungen zwischen einem Mann und einer Frau, wobei die Frau meist die dominierende Rolle in diesen Begegnungen spielt.
Der neue Markenkern von Camel („Slow down, pleasure up“) liegt im Sektor des sanften Genusses, also einer Mischung aus Balance und Stimulanz.
Obwohl diese Zigaretten geschmacklich im Blindtest von Konsumenten kaum unterschieden werden können, sprechen sie doch sehr unterschiedliche Motiv – und damit auch Emotionswelten an. Am Beispiel Camel wird aber noch ein weiteres Erfolgsgesetz, besser gesagt Misserfolgsgesetz, deutlich. Camel hat in den vergangenen 15 Jahren mehrmals die Position auf der Limbic Map gewechselt. Vom „Urwald-Meilenweit-Mann“ (= Abenteuer/Thrill) über die “Witz-Kamele“ (eher Stimulanz) bis zur heutigen Positionierung (Sanfter Genuss/Offenheit) ist es ein weiter Weg durch das emotionale Gehirn. Im Gehirn des Konsumenten entsteht so ein undefinierbarer Gefühlsbrei – die Marke hat ihr Profil völlig verloren. Dramatische Marktanteilsverluste sind das Ergebnis dieser „limbischen Irrfahrt“.
Ein weiteres Beispiel aus dem Milchmarkt (Abb. 4) zeigt, wie wichtig es ist, eine klare „limbische“ Positionierung zu haben, und wie durch die Limbic Map neue Zusammenhänge sichtbar werden. Betrachten wir dazu die bekannten Marken “Müller-Milch“, „Landliebe“, „Onken“ und „Weihenstephan“. Eine limbische Analyse der Markenauftritte und der Markenphilosophie ergab folgende Wert- und Motivdimensionen.
- Weihenstephan = Sicherheit, Qualität, Kontrolle, Reinheit, Wissenschaft, Frische
- Landliebe = Fürsorge, Geborgenheit, Vertrauen, Heimat
- Müller = Kreativität, Genuss, Entdecken, Unbeschwerter Spass, Extravaganz
- Onken = Bewusster Genuss, rundum wohlfühlen, natürlich sinnliches Erleben, Hamonie
Daraus ergeben sich klare Positionen auf der Limbic Map: Müller-Milch ist auf der Stimulanz-Dimension angesiedelt, Onken im Bereich des sanften Genusses, während Landliebe eher warm und regressiv die Balance-Kraft und das Fürsorge-Modul im Gehirn anspricht. Weihenstephan dagegen hat ebenfalls Balance-Elemente, ist aber auf der „rationalen“ Seite Disziplin und Kontrolle positioniert. Diese Positionierung wird auch durch den blauen Weihenstephan-Markenauftritt verstärkt.
Ins Herz der Zielgruppen treffen
Der ungeheure Nutzen einer eindeutigen limbischen Positionierung zeigt sich am Beispiel den Marken Müller und Weihenstephan. Beide Marken gehören zum Müller-Konzern in Argetsried. Weil sich aber beide Marken fast diametral auf der Limbic Map gegenüber liegen, schöpfen sie den Markt höchst intelligent aus, weil sie völlig unterschiedliche psychologische Zielgruppen ansprechen. Was sind psychologische Zielgruppen? Tatsächlich bilden die „Big 3“ mit den Submotiven nicht nur das Motivationssystem des Menschen, sie bilden auch das Fundament der menschlichen Persönlichkeit. Bei allen Menschen sind alle drei Kräfte vorhanden, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung.
Konsumenten unterscheiden sich nun erheblich in ihrer Motiv- und Persönlichkeitsstruktur und damit auch in ihren Kaufentscheidungen. Konsumenten mit einer hohen Ausprägung der Balance-Kraft („Bewahrer“) präferieren eher Produkte, die Sicherheit und Harmonie versprechen, für Konsumenten mit hoher Dominanz-Ausprägung („Performer“) haben dagegen Status-Produkte einen hohen Wert. Untersuchungen von mehr als 1.000 Konsumenten zeigen, dass sich diese selbst prototypischen limbischen Welten und damit Konsumententypen zuordnen. Abb. 5 zeigt die Konsumententypen (weiblich) und ihren prozentualen Anteil an der Bevölkerung.
Gleichzeitig bestätigten diese Untersuchungen auch Ergebnisse aus der Gehirnforschung, die erhebliche Alters- und Geschlechtsunterschiede in der Motivations- und Persönlichkeitsstruktur feststellten. Beispielsweise unterscheidet sich das weibliche Gehirn vom männlichen Gehirn in über 100 Merkmalen! Da Milchprodukte überwiegend von Frauen gekauft werden, ergibt sich für Weihenstephan und Müller eine klare Aussage: Müller spricht eher Frauen mit einer hohen Stimulanz Ausprägung an („Hedonistin“). Der Altersschwerpunkt dieser Zielgruppe liegt zwischen 20 und 30 Jahren. Weihenstephan dagegen trifft sowohl die Bewahrerin, als auch die Disziplinierte. Deren Altersschwerpunkt liegt mit 35 plus deutlich über dem der Müller-Käuferinnen.
Mit dem Kauf von Weihenstephan hat sich Müller so ein Marktsegment erworben, dass mit der Marke Müller nie erschließbar gewesen wäre, ohne der Marke zu gefährden.
Limbic Branding: Der wissenschaftliche Background
Der vorgestellte LimbicBranding-Ansatz der Gruppe Nymphenburg basiert auf:
- einer gemeinsamen Untersuchung mit Prof. Dr. mult Brengelmann, ehem. Direktor am Max Planck-Institut für Psychiatrie, München über psychologische und neurobiologische Grundstrukturen des Geld- und Konsumverhaltens
- der Analyse von etwa 1800 Untersuchungen der Gehirnforschung und Neurochemie zum Aufbau des menschlichen Motivationssystems
- vielen eigenen empirischen Untersuchungen im Rahmen der Konsumentenforschung der Gruppe Nymphenburg.
Viele nationale und internationale Konsumgüterhersteller setzen Limbic Branding heute zur Markenentwicklung und Produktpositionierung ein
Autor: Dr. Hans-Georg Häusel, Dipl. Psychologe, Geschäftsführer der Gruppe Nymphenburg, München. Die Gruppe Nymphenburg berät viele namhafte Handelskonzerne und Konsumgüterhersteller in Marketing-Fragen.