Gegen das Verderben: Wie KI im Lager eingesetzt wird

Im Marketing ist Künstliche Intelligenz derzeit das Trendthema. Doch auch im Vertrieb wird mit intelligenten Lösungen experimentiert. Lebensmittelhändler Frutania hat mit dem Einsatz von KI den Durchlauf seiner Paletten erhöhen können – ohne hohe Kosten.
Screenshot

In der Welt des Lebensmittelhandels zählt jede Minute. Insbesondere wenn es um verderbliche Waren wie Beeren, Äpfel, Spargel und Tomaten geht, ist ein reibungsloser und effizienter Logistikprozess unerlässlich. Frutania, ein führender Zwischenhändler für frisches Obst und Gemüse in Deutschland und Europa, hat sich dieser Herausforderung gestellt und eine innovative Lösung getestet: den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zur Optimierung seiner Lagerprozesse. 

Frutania beliefert bundes- und europaweit Supermärkte und andere Einzelhändler mit frischen Produkten, die von landwirtschaftlichen Betrieben in ganz Europa bezogen werden. Im ganzjährig gekühlten Lager im Innovationspark Rheinland wird die Ware für den Weitertransport vorbereitet. Hier müssen täglich tausende Paletten schnell verderblicher Waren gezielt, strukturiert und systematisch bewegt werden. Doch genau hier lag das Problem: Die Lokalisierung der Paletten im Lager war oft zeitaufwendig und kostspielig.  

„Die Idee war, an den Übergängen zwischen den verschiedenen Lagerbereichen Kameras zu installieren, die diese Labels auf den vorbeifahrenden Gabelstaplern erfassen“, erklärt Martin Wunderwald, KI-Experte bei Telekom MMS. Der Digitaldienstleister entwickelte eine Retro-Fit-Lösung für den Obst- und Gemüsehändler, bei der jede Palette ein einfaches Papierlabel erhielt. „Diese Informationen werden dann in Echtzeit von einer KI auf einem kleinen Edge-Gerät ausgewertet.“ 

Eine kostengünstige Lösung muss her 

Diese Industrie-Kameras sind speziell dafür ausgelegt, auch bei einer Geschwindigkeit von bis zu 11 Kilometern pro Stunde die Labels fehlerfrei zu lesen. Die Kameras erfassen die Labels und leiten die Daten an die KI weiter, die sofort erkennt, welche Palette in welchen Lagerbereich bewegt wird. Diese Informationen werden dann direkt an das Warenwirtschaftssystem weitergegeben, wodurch die genaue Position jeder Palette jederzeit nachvollziehbar ist. 

Die größte Herausforderung bestand darin, die Auffindbarkeit und den reibungslosen Durchlauf der Paletten zu gewährleisten, ohne den Arbeitsprozess zu unterbrechen oder die Kosten in die Höhe zu treiben. Traditionelle Lösungen wie RFID-Chips oder andere aufwändige Sensorsysteme kamen aufgrund der hohen Geschwindigkeit und der großen Menge an Waren nicht infrage. Es musste eine praktikable und kostengünstige Lösung gefunden werden, die sich nahtlos in die bestehenden Prozesse integrieren ließ. 

Die Implementierung der Retro-Fit-Lösung stellte einige Herausforderungen dar. Es musste sichergestellt werden, dass die Kameras auch bei wechselnden Lichtverhältnissen und hohen Geschwindigkeiten zuverlässige Bilder liefern. Dafür wurden lichtstarke Objektive und Infrarottechnologie eingesetzt. Zudem wurden synthetische Daten generiert, um die KI-Modelle zu trainieren und auf verschiedene Szenarien vorzubereiten. 

KI-Lösung noch in der Konzeptphase 

„Wir haben viele Rahmenbedingungen geschaffen, um gute Bilddaten zu erhalten“, erklärt Wunderwald. „Dazu gehörte auch die Anpassung der Labels, um sie für die Kameras besser lesbar zu machen. Diese Anpassungen und die kontinuierliche Optimierung der KI haben uns am Ende eine Erkennungsgenauigkeit von über 90 Prozent ermöglicht.“ 

Zwar ist die Lösung derzeit noch in der Konzeptphase, doch durch die Einführung der KI-Lösung konnte Frutania die Effizienz im Lager steigern. Die Palettenlokalisierung wurde automatisiert, wodurch die Zeit bis zum Auffinden der Waren stark reduziert wurde. Dies führte zu einer schnelleren und übersichtlicheren Warenorganisation und unterstützte eine optimale Lagerplanung.  

Frutania plant daher, die Technologie auf weitere 30 Tore in ihrem Lager auszuweiten, um den gesamten Logistikprozess flächendeckend zu optimieren. Dies soll bis Oktober abgeschlossen sein, sodass Anfang nächsten Jahres messbare Effekte erwartet werden können.  

Offenheit und Analyse als Erfolgsfaktoren 

Eines der wichtigsten Learnings aus diesem Projekt ist die Erkenntnis, „dass auch einfache Lösungen große Effekte haben können“, betont KI-Experte Wunderwald: „Eine einfache, schnelle Lösung kann gut funktionieren, aber je weiter man in der Genauigkeit gehen will, desto mehr Aufwand ist erforderlich. Man muss sich bewusst sein, dass der Aufwand exponentiell steigt, wenn man über eine bestimmte Genauigkeit hinauswill.“ 

Für andere Unternehmen, die ebenfalls KI-Lösungen in ihrer Lagerlogistik integrieren möchten, empfiehlt Wunderwald, technologieoffen zu sein und den bestehenden Prozess genau zu analysieren. „Es ist wichtig zu schauen, an welcher Stelle innerhalb des Prozesses eine Lösung helfen kann. Oftmals kann man schon mit relativ schlanken Projekten signifikante Verbesserungen erzielen, ohne den bestehenden Prozess großartig umzubauen.“ 

(amx, Jahrgang 1989) ist seit Juli 2022 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Er ist weder Native noch Immigrant, doch auf jeden Fall Digital. Der Wahlberliner mit einem Faible für Nischenthemen verfügt über ein breites Interessenspektrum, was sich bei ihm auch beruflich niederschlägt: So hat er bereits beim Playboy, in der Agentur C3 sowie beim Branchendienst Meedia gearbeitet.