Corona, der Ukraine-Krieg und die Russland-Sanktionen sind die Ursachen – Rohstoffknappheit, reißende Lieferketten und Rekord-Inflation die Auswirkungen. In dieser Gemengelage wird es für Markenunternehmen und Händler zunehmend schwieriger, die Preise anzupassen und dies auch erfolgreich zu kommunizieren. Wir beantworten die wichtigsten Fragen rund ums Thema.
Was wird alles teurer?
Die Erzeugerpreise für gewerbliche Güter, gewissermaßen die Preise aus Verkäuferperspektive, sind in den vergangenen zwölf Monaten über alle Kategorien hinweg um 31 Prozent* angestiegen – laut Statistischem Bundesamt der höchste Anstieg seit Beginn der Erhebung im Jahr 1949. Treiber waren die Energiepreise, die im März 2022 im Durchschnitt 84 Prozent höher lagen als noch ein Jahr zuvor. Den stärksten Anstieg verzeichnete infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine Erdgas mit einem Plus von 145 Prozent. Bei den sogenannten Vorleistungsgütern ragen Düngemittel (plus 87 Prozent), Verpackungsmittel aus Holz (69 Prozent), Metalle wie Aluminium (57 Prozent), Roheisen und Stahl (55 Prozent) sowie Papier und Pappe (45 Prozent) heraus. Das verteuert die Herstellungskosten für diverse Markenprodukte und in der Konsequenz auch die Preise für den Handel und die Endverbraucher*innen.
Verbrauchsgüter verteuerten sich im März 2022 um 10 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat, Nahrungsmittel um 12 Prozent. Besonders stark stiegen dabei die Preise für Butter (56 Prozent) an. Die Preise für nicht behandelte pflanzliche Öle waren 72 Prozent teurer, Rindfleisch 31 Prozent, Schweinefleisch 25 Prozent und Kaffee 20,5 Prozent. Bei Gebrauchsgütern legten die Preise für Möbel mit 9 Prozent am deutlichsten zu. Ifo-Konjunkturexperte Timo Wollmershäuser sprach schon Mitte Februar in der „Welt“ von einem bevorstehenden „Preis-Schock“ für Verbraucher*innen, damals wollten 75 Prozent der Hersteller die Preise erhöhen. Laut einer aktuellen Ifo-Umfrage planen dies 94 Prozent der Lebensmittelhändler.
Wie sollten Markenhersteller auf die steigenden Erzeugerpreise reagieren?
Antworten liefern die Ergebnisse einer gemeinsamen Studie der absatzwirtschaft und der Unternehmensberatung Anxo, für die im Zeitraum Februar und März insgesamt 132 Führungskräfte und Mitarbeiter*innen aus Marketing und Vertrieb befragt wurden. Die überwiegende Mehrheit der Befragten (89 Prozent) gehen davon aus, dass Lieferengpässe weitere Preiserhöhungen nach sich ziehen. 47 Prozent erwarten eine Reduzierung der Produktvielfalt, 25 Prozent rechnen nicht damit. „Eine Pauschal-Strategie für den richtigen Umgang mit den aktuellen Lieferengpässen gibt es nicht“, sagt Anxo-Geschäftsführer Ralf Strehlau. Es sei wichtig zu analysieren, welche Produkte und Produktattribute den Kund*innen besonders wichtig sind und welche Preiselastizität die eigenen Produkte besitzen.
Eine Pauschal-Strategie für den richtigen Umgang mit den aktuellen Lieferengpässen gibt es nicht.
Ralf Strehlau, Anxo-Geschäftsführer
Die Studie zeigt auch, wie Unternehmen nicht auf die Preisexplosion reagieren wollen: Knapp drei Viertel der Umfrageteilnehmer*innen (72 Prozent) sprechen sich gegen eine Reduzierung der Qualität aus. Lediglich 15 Prozent halten dieses Vorgehen für angemessen, um weiter profitabel arbeiten zu können. Handlungsoptionen sollten nicht ausschließlich als Entweder-oder-Entscheidung begriffen werden, rät Strehlau: „Preiserhöhungen, die Verringerung der Produktvielfalt sowie -qualität sind auch in Kombination denkbar.“ Die Preisstrategie müsse im Zusammenspiel der Abteilungen Beschaffung, Controlling, Marketing und Vertrieb erarbeitet und die Organisationen befähigt werden, die Strategie umzusetzen. „Am Beispiel Preiserhöhungen zeigt sich, dass Vertriebsorganisationen häufig verlernt haben, Preiserhöhungen durchzusetzen. Führungskräfte sollten den Faktor Mensch nicht außer Acht lassen“, sagt Strehlau.
Wie sollte man steigende Preise kommunizieren?
„Aldi: Preise steigen rasant“ (Frankfurter Rundschau), „So teuer war der Einkauf beim Discounter noch nie“ (Chip 365), „Aldi und die Angst vor der Preislawine“ (FAZ). Drei Schlagzeilen, die in diesen Tagen normal wirken, hätten noch vor kurzer Zeit für kräftiges Stirnrunzeln bei den Leser*innen gesorgt. Aldi, der Platzhirsch unter den Discountern, der Inbegriff von Niedrigpreisen, und das seit Jahrzehnten, hob Anfang April die Preise für zahlreiche Produkte um bis zu 50 Prozent an. Absolut stiegen sie teils um mehr als einen Euro (Bio-Kaffee), teils nur um wenige Cent, aber dennoch mit Signalwirkung: So verteuerte der Händler den Einstiegspreis für das günstigste Mineralwasser, der über ein Jahrzehnt lang bei 19 Cent gelegen hatte, auf 25 Cent. „Aufgrund der Situation auf den Weltmärkten werden wir Sprünge in den Verkaufspreisen erleben, die es so noch nie gegeben hat“, kündigte Florian Scholbeck, Geschäftsführer Kommunikation bei Aldi Nord, bezogen auf den Discounter gegenüber der WAZ an.
Das Kontrastprogramm zur Medienberichterstattung bot der Aldi-Werbeprospekt: „Darauf ist Verlass: Unsere Preise bleiben unten – bis zu 48 % sparen“, stand dort in Großbuchstaben. Dieser höchste Rabatt galt bezeichnenderweise für Milka-Schokolade, vielleicht weil in diesen schlimmen Zeiten wirklich nur noch Schokolade hilft. Die zweigleisige Strategie, die der Discounter fährt, hält Hans-Christian Riekhof, Professor für Internationales Marketing und Experte für Preismanagement an der Privaten Hochschule Göttingen, grundsätzlich für richtig: „Zur Abfederung starker Preissteigerungen können Rabattaktionen genutzt werden.“ Er rät Händlern in der aktuellen Lage aber, auch Produkte in den Fokus zu stellen, die nicht oder nur minimal im Preis gestiegen sind.
Wie sollte das Marketing die Kommunikation von Preissteigerungen begleiten?
Riekhof sieht diese Art von Preissteigerungen gerade in vielen seiner Pricing-Beratungsprojekte. Das sind überwiegend B2B-Projekte, sowohl im Mittelstand als auch bei Dax-Konzernen. Er beschreibt die Rolle des Marketings dabei wie folgt: „Es hat die Aufgabe, Erhöhungen anzukündigen und Endverbraucher darauf vorzubereiten.“ Diese Botschaften würden sich immer auch indirekt an die Wettbewerber richten. Auf der B2B-Ebene zwischen Herstellern und Händlern sei die Rolle des Marketings hingegen geringer. „Hier muss das Marketing oder Product Management die Argumentationslinie entwickeln, aber die tatsächliche Durchsetzung der Preiserhöhungen liegt in der Verantwortung des Vertriebs“, sagt der Experte zur strategischen Preisstrategie. Anschließend sei gutes Preis-Controlling gefragt, also die nachträgliche Analyse der eigenen Preisstrategie, „eine Funktion, die in vielen Unternehmen unterentwickelt ist“, so Riekhof.
„Bei Preissteigerungen ist es zudem wichtig, dass nicht nur Kostensteigerungen als Argument genutzt würden, da die Kund*innen die Kosten gar nicht kennen oder bei sinkenden Kosten reduzierte Preise erwarten, was häufig nicht umsetzbar ist“, sagen Tim Brzoska und Tobias Maria Günter vom Pricing-Spezialisten Simon-Kucher. Idealerweise werde auch ein Produktmehrwert als Grundlage für eine Preissteigerung genutzt, empfehlen sie.
Wie verändert Nachhaltigkeit die Preisgestaltung?
Die Simon-Kucher-Berater sind in dieser Frage eher zurückhaltend: Zwar sei Nachhaltigkeit inzwischen ein „wichtiger Faktor“ bei der Kaufentscheidung, „wir sehen jedoch, dass bei vielen Produkten keine zusätzliche Zahlungsbereitschaft entsteht, sondern es eher ein Hygienefaktor ist, um im relevanten Set des Kunden zu bleiben“, sagen Brzoska und Günter. Die Zielgruppe, die für nachhaltige Produkte mehr zu zahlen bereit ist, würden zwei markante Merkmale auszeichnen: eine tiefere Überzeugung in das Thema und das nötige Budget. Den Kostenfaktor nennt auch Hans-Christian Riekhof als wichtige Barriere, etwa beim Beispiel der Modebranche: „Nur wenige Menschen kaufen und tragen konsequent Kleidung, die nachhaltig hergestellt wurde.“
Schließen sich Rabattstrategien und Nachhaltigkeit per se aus?
„Nein, überhaupt nicht“, sagt Riekhof. Nachhaltig hergestellte Produkte würden in unterschiedlichen Vertriebssystemen angeboten, die auch mit Rabatten arbeiten. Ähnlich sehen es auch Brzoska und Günter: Rabatte würden häufig mit zusätzlichen Kommunikationsmaßnahmen kombiniert. „Ein Händler kann nachhaltige Produkte auch mit einem Rabatt versehen, um sich als nachhaltiger Händler zu positionieren“, so die Unternehmensberater.
89 % der Entscheider*innen gehen davon aus, dass Lieferengpässe weitere Preiserhöhungen bedeuten.
Quelle: Umfrage von Anxo/absatzwirtschaft
Wieso sind Preisstrategien im unteren und oberen Segment erfolgreicher?
Als eine gleichermaßen simple wie erfolgreiche Preisstrategie bezeichnet Hans-Christian Riekhof das Discount-Modell bei Lebensmitteln. Auch Unternehmen wie die Modekette Primark oder der Billigflieger Ryanair zielten auf einen Massenmarkt ab und erreichten durch entsprechende Kostendegressionen „unschlagbare“ Preise, so der Fachmann. In diesem unteren Marktsegment, aber genauso im oberen, seien die Strategien häufig klarer und eindeutiger und sie würden meistens sehr konsequent umgesetzt. Riekhof sagt: „Im Luxussegment gibt es ein überlegenes und hoch attraktives Produkt, das bei einer engen Zielgruppe eine hohe Wertschätzung erfährt. Das ist das Prinzip von Ferrari, Apple, Loro Piana und von Konzernen wie LVMH.“ Die entsprechenden wohlhabenden Bevölkerungsgruppen bilden ein attraktives Marktsegment.
In der Mitte bräuchten Unternehmen hingegen sehr viel mehr von dem, was der Marketingprofessor „Pricing-Kompetenz“ nennt. Neben Führungs- und Sozialkompetenz sei diese Eigenschaft auf der Managementebene häufig zu wenig ausgeprägt. „Wenn man Pricing-Kompetenz besitzt, kann man auch in der Mitte sehr erfolgreich sein“, so der Experte. Gute Beispiele seien Zara oder Bonprix. Für Tim Brzoska und Tobias Maria Günter kommt es weniger auf die Preispositionierung als auf das richtige Preis-Leistungs-Verhältnis an: „Der Preis muss zur Zahlungsbereitschaft des Kunden für Produkte, Services und Einkaufserlebnis passen.“
Temporär können sehr tiefe Preise sinnvoll sein, um Frequenz zu treiben. Langfristig ist es aber keine gute Strategie, da sowohl der Ertrag des Händlers als auch der ganzen Branche sich negativ entwickelt. Der Ertrag wird nachhaltig zerstört, da Kunden zu Rabattkäufern erzogen werden. Ein Pionier dieser Entwicklung war Aldi, das mit der Einführung seines Discount-Modells den Grundstein gelegt hat. Nun wird das „Prinzip Aldi“ auf die Probe gestellt. Die im internationalen Vergleich vor allem mit europäischen Nachbarn eher niedrigen Lebensmittelpreise in Deutschland könnten durch die aktuellen Krisen nachhaltig ins Wanken geraten. Dass sich die Preissteigerung bei Lebensmitteln hierzulande noch im Rahmen bewegt, zeigt ein Blick über die deutschen Grenzen hinaus: Nach Angaben der Vereinten Nationen sind die Weltmarktpreise für Lebensmittel im vergangenen Jahr um 28 Prozent gestiegen.